Was die Atomlobby verheimlicht

Intransparenz Die gesundheitlichen Folgen von Fukushima dürfen von den Ärzten nicht einfach so offengelegt werden. Die Uniklinik braucht die Erlaubnis der Atomlobby-Organisation IAEA
Ausgabe 10/2014

Atomkraft und Öffentlichkeit schließen sich aus. Was würde passieren, wenn alle Bürger informiert wären, welche Schwachstellen ein Reaktor hat? Was, wenn selbst Kriminelle und Terroristen davon wüssten? Kraftwerksbetreiber und Regierungen sind daher in diesen Dingen seit jeher verschlossen. Aber auch wenn es um die gesundheitlichen Auswirkungen von Reaktorunfällen geht, ist es mit der Transparenz nicht weit her. Das hat Tschernobyl gezeigt, das zeigt Fukushima.

Eine unrühmliche Rolle spielt dabei die Internationale Atomenergiebehörde, IAEA. In der Satzung bekennt sich die UN-Organisation unmissverständlich zur Unterstützung der Atomenergie: „Die Behörde bemüht sich, den Beitrag der Kernkraft für Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit zu beschleunigen und auszuweiten.“ Diese Behörde soll aber auch die gesundheitlichen Schäden von Atomunfällen aufarbeiten. Der Interessenkonflikt ist nicht zu übersehen.

Maulkorb möglich

Die IAEA hat 2012 ein Abkommen mit der Universitätsklinik Fukushima geschlossen, über die Zusammenarbeit bei der Dekontamination und den Gesundheitsuntersuchungen. Darin heißt es: „Die Parteien gewährleisten die Geheimhaltung von Informationen, die von der jeweils anderen Partei als gesperrt oder geheim eingestuft wurden.“ Die Atomkraftlobby der IAEA kann dem Krankenhaus also einen Maulkorb verpassen.

Bei Kritikern ruft das schlimme Erinnerungen hervor. Eine ähnliche Passage findet sich in dem Vertrag zwischen IAEA und der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dort heißt es, beide Seiten „erkennen an, dass es notwendig sein kann, bestimmte Einschränkungen zur Wahrung geheimer Informationen anzuwenden“.

Nach dem Atomunfall in Tschernobyl gab es wohl Meinungsverschiedenheiten über die gesundheitlichen Auswirkungen. Aber die UN-Organisationen sprechen mit einer Stimme. Offiziell hieß es dann, man habe rund 6.000 Krebserkrankungen entdeckt, die wahrscheinlich auf die Strahlung zurückzuführen seien. Zum Vergleich: Die atomkraftkritische Ärzteorganisation IPPNW rechnet mit hunderttausenden Krebsfällen.

Über Fukushima gehen die Angaben ebenfalls auseinander. Während die IPPNW von mehr als 10.000 Erkrankungen ausgeht, erklärt die WHO, dass „keine beobachtbaren Anstiege der Krebsraten“ über das normale Niveau hinaus zu erwarten seien. Wie gründlich das untersucht wird, entscheidet dann womöglich die IAEA gemeinsam mit der Uniklinik.

Zehn Jahre Gefängnis für Geheimnisverrat

Und sollten der Regierung die Ergebnisse nicht passen, kann sie das unter Umständen mit dem neuen Geheimhaltungsgesetz unterbinden, das erst vor drei Monaten vom Parlament beschlossen wurde. Whistleblowern und Journalisten drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, wenn sie „bestimmte Geheimnisse“, die der nationalen Sicherheit dienen, weitergeben. Um welche Geheimnisse es geht, ist nicht genau definiert – gerade das schürt die Angst vor der Strafe. Könnten nicht auch beunruhigende Gesundheitsdaten eine Panik auslösen und damit die Sicherheit bedrohen?

Die atomkraftkritische Journalistin Oshidori Mako aus Japan berichtet, dass Informanten aus den Ministerien jetzt vorsichtiger seien. Auch als sie mit Müttern in der Nähe von Fukushima reden wollte, seien diese eingeschüchtert gewesen – weil Mitarbeiter des Nachrichtendienstes deren Autokennzeichen fotografiert hätten.

Oshidori Mako selbst fühlt sich ebenfalls unter Druck gesetzt – von der Politik, aber auch von der Wirtschaft. „Die Stromkonzerne haben solche Macht, weil sie die größten Sponsoren der Medien sind.“ Manche Redaktionen seien dazu angehalten worden, bei jedem atomkraftkritischen Artikel im Gegenzug mindestens drei atomkraftfreundliche Texte abzudrucken.

Und dann gibt es noch Toru Nakakita, den Journalisten der Japanischen Rundfunkgesellschaft, dessen atomkraftkritische Sendung aus dem Programm genommen wurde. Vom Sender hieß es dann, vor den Gouverneurswahlen in Tokio müssten „beide Seiten“ zu Wort kommen. Toru Nakakita kündigte wenige Tage später den Job.

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