Wirklich das Allerletzte

Ökologie Kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit setzt die EU-Kommission noch einige Umweltschweinereien durch – von geschönten Klimabilanzen bis zu subventioniertem Atomstrom
Ausgabe 44/2014
Fakten auch in der Atompolitik: Subventionen für zwei neue Reaktoren
in Hinkley Point wurden genehmigt
Fakten auch in der Atompolitik: Subventionen für zwei neue Reaktoren in Hinkley Point wurden genehmigt

Foto: Matt Cardy / Getty Images

Kann das sein? In Europa blasen sechs Millionen Autos Abgase in die Luft, und die Treibhausgasemissionen tauchen in keiner offiziellen Klimabilanz auf? So ähnlich wird es demnächst kommen, das hat die EU-Kommission noch schnell beschlossen, bevor sie ab kommender Woche vom neuen Team um Jean-Claude Juncker abgelöst wird. Es geht um Öl aus Teersanden, das deutlich klimaschädlicher ist als herkömmliches Öl. Die EU-Kommission gibt das auch offen zu: Pro Tonne werden 15 bis 22 Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen. Doch bei importiertem Öl soll überhaupt nicht geprüft werden, ob es aus Teersanden stammt. So lässt sich die Klimabilanz der EU wunderbar grün färben. Laut einer Studie der Umwelt-NGO Transport & Environment entspricht das im Jahr 2020 etwa sechs Millionen Autos, die unberücksichtigt bleiben.

Eigentlich ist das ein großer Skandal. Doch im Geschacher um die Posten für die kommende EU-Kommission bleiben die Themen auf der Strecke. Parlament und Medien haben anderes zu tun. Die EU-Kommission hingegen nutzt ihre letzten Tage, um noch verschiedene Umweltschweinereien durchzuboxen. Geschenke gibt es nicht nur für die Ölkonzerne, sondern auch für die Atomindustrie. Die britischen Subventionen für zwei neue Reaktoren sind mit dem europäischen Recht vereinbar, verkündete die Kommission. Und veröffentlichte einen Subventionsbericht, der die Zahlen so zurechtbiegt, dass am Ende die erneuerbaren Energien als Gefahr für die Steuerzahler erscheinen.

Druck aus Kanada

Zum Öl aus Teersanden hatte die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard im Jahr 2011 bereits einen Vorschlag gemacht, der ohne Grünfärberei auskam. Heute sagt sie ganz offen: „Es ist kein Geheimnis, dass unser ursprünglicher Vorschlag sich aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedstaaten nicht durchsetzen konnte.“ Mittlerweile bezeichnet Hedegaard dies als eine der größten Niederlagen in ihrer Amtszeit.

Doch bei der Richtlinie zur Treibstoffqualität, in der nicht nur die Berechnung der Klimawerte für Teersand-Öl festgelegt ist, drängt die Zeit. Also hat die Kommissarin noch einen Anlauf gewagt. Selbst Umweltschützer finden das gut. „Wir sind nicht zufrieden, aber wir erwarten auch nicht, dass mit der neuen Kommission alles besser wird“, sagt Franziska Achterberg von Greenpeace. Ohne den Vorstoß könnte es sein, dass die Richtlinie nicht umgesetzt wird und Klimaschutzvorgaben für die Ölbranche komplett fehlen. Wenn Parlament oder Mitgliedsstaaten jetzt nicht innerhalb von drei Monaten widersprechen, ist der Vorschlag der EU-Kommission angenommen.

Dass nun die Teersand-Importe bevorzugt werden, dürfte auch an den Verhandlungen über die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA liegen. „Wir denken, dass CETA und TTIP definitiv eine Rolle gespielt haben“, sagt die Umweltschützerin Nuša Urbančič von Transport & Environment. Sie verweist auf interne Papiere des Europäischen Rats, die das belegen sollen. Kanada ist jedenfalls der weltweit größte Exporteur von Öl aus Teersanden.

Was bedeutet das für das Klimaziel von 40 Prozent Treibhausgasminderung, das von der Kommission vorgeschlagen und in der vergangenen Woche von den europäischen Regierungschefs beschlossen wurde? Es liegt nicht nur kaum über dem „Business as usual“-Szenario der Kommission; es ist auch nicht nur deutlich zu niedrig, um die Erderwärmung auf gerade noch akzeptable zwei Grad zu begrenzen; und es fehlen auch nicht nur die Sanktionen für den Fall, dass das Ziel verfehlt wird. Nein, die Vorgabe wird jetzt zusätzlich noch mit Rechentricks weichgespült.

Subventionen für Atomkraft

Auch in der Atompolitik schafft die noch amtierende Kommission Fakten: Die britischen Subventionen für zwei neue Reaktoren in Hinkley Point wurden genehmigt, Parlament und Mitgliedsstaaten haben in solchen Fragen überhaupt nicht mitzureden.

Umweltschützer hatten mit dem Beschluss eigentlich zu einem späteren Zeitpunkt gerechnet. „Die Entscheidung kam relativ schnell, wahrscheinlich unter dem Druck der britischen Regierung“, heißt es bei Greenpeace. „Cameron wollte die Entscheidung lange genug vor den Wahlen im Mai 2015.“ Für die Steuerzahler wird der milliardenteure Neubau nämlich eine schwere Belastung. Der Staat zahlt für den Strom fast elf Cent pro Kilowattstunde, das ist mehr, als Windräder und große Solaranlagen in Deutschland erhalten. Der feste Abnahmepreis gilt in Großbritannien auch noch 35 Jahre lang und nicht 20 Jahre wie in Deutschland.

Das Anti-Atom-Vorzeigeland Österreich (mit offiziellem „Anti-Atom-Beauftragten“ der Regierung) will vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Die deutschen Grünen haben die Bundesregierung aufgefordert, sich dem anzuschließen – doch die große Koalition aus Union und SPD hat den Antrag im Bundestag abgelehnt. Auch der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger, CDU, hat mit den britischen Atomsubventionen kein Problem. Schließlich werde damit kein Präzedenzfall geschaffen, betont seine Sprecherin.

Folgt Oettinger nur der Meinung von Kanzlerin Angela Merkel? Die habe Ja zu den Atombeihilfen gesagt, weil die EU-Kommission im Gegenzug das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz für rechtmäßig erklärt habe – so will es die grüne Fraktionssprecherin im Europaparlament, Rebecca Harms, auf den Fluren gehört haben, wie sie in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt schreibt.

Oettinger veröffentlichte jedenfalls wenige Tage später einen Bericht, der „erstmals vollständige Daten zu Energiekosten und -subventionen“ enthalte. Ergebnis: Die Erneuerbaren sind teurer als die Fossilen. Dafür wurde jedoch vieles weggelassen oder kleingeredet: die kostenlose Verteilung von CO2-Zertifikaten an die Industrie; verschiedene Steuervorteile; die Subventionen vor 2012 und vor allem die externen Kosten wie zum Beispiel Umweltschäden, für die die fossile Industrie nicht aufkommen muss. Darum kann sich dann ja die nächste EU-Kommission kümmern.

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