Seit einem Jahr sind die Wahlkämpfer im Dauereinsatz: Europawahl, Bundestagswahl, Landtagswahl und jetzt im dritten Anlauf: Bürgermeisterwahl. Am Sonntag wird im münsterländischen Telgte nicht nur die Frage Kraft oder Rüttgers entschieden, sondern auch: Pieper oder Deitmer. Es ist ein Ausnahmefall in Nordrhein-Westfalen.
Eigentlich ist das Münsterland pechschwarz. In vielen Dörfern und Kleinstädten regiert die CDU mit absoluter Mehrheit. Auch im Wallfahrtsort Telgte galt das schwarze Parteibuch bislang als Voraussetzung für den Bürgermeisterjob – nur einmal wurde die 20.000-Einwohnerstadt an der Ems von einem Sozialdemokraten regiert.
Neue politische Farbenlehre
Doch nun wird die politische Farbenlehre komplett durcheinandergewirbelt. Der Grüne Wolfgang Pieper bewirbt sich um das Amt des Bürgermeisters – und wird unterstützt von der FDP. Sein Konkurrent Ingo Deitmer ist Sozialdemokrat – und hat das Vertrauen der CDU. Die Linkspartei gibt es hier nicht, die möglichen Koalitionen sind aber auch so bunt genug. Denn mit einem grünen Bürgermeister würde es für Rot-Grün reichen, aber die SPD will lieber mit der Union.
Dass überhaupt gewählt werden muss, ist kurios. Zweimal war derselbe Kandidat angetreten - ohne Konkurrenz und doch ohne Erfolg. Im letzten Herbst wurde regulär gewählt. Für die CDU tritt der amtierende Bürgermeister Dietrich Meendermann an. Die anderen Parteien haben keinen Kandidaten gefunden – sonderlich große Erfolgsaussichten hätten sie wohl nicht gehabt. Meendermann bekommt die Mehrheit der ausgezählten Stimmen – doch der Verwaltung ist eine Panne unterlaufen. Über 500 Stimmzettel von Briefwählern sind versehentlich im Schredder gelandet, die Wahl muss wiederholt werden.
Bis Dezember muss der Verwaltungschef die administrativen Aufgaben des Bürgermeisters übernehmen, das Besuchen der Kaninchenzüchtervereine übernehmen zwei Ratsmitglieder - eine Grüne und ein Christdemokrat. Dann folgt der zweite Wahlversuch, wieder tritt Meendermann allein an. Viele hoffen, dass Telgte nun endlich wieder einen richtigen Bürgermeister kriegt. Doch Meendermann wird diesmal von den Telgter Bürgern eiskalt abserviert: Die Mehrheit votiert gegen ihn. Das Besondere an den Wahlregeln: Tritt nur ein Kandidat an, ist er nicht automatisch gewählt. Auf den Wahlzetteln steht ein Ja und ein Nein.
Wer in der Nachbarstadt wohnt, darf kein Bürgermeister werden
Es ist knapp: 4.151 Menschen stimmen für Meendermann, 4.185 sind dagegen. Das heißt: 49,8 Prozent dafür, 50,2 Prozent dagegen. Oder: Hätten sich 18 Wählerinnen anders entschieden, bräuchte Telgte an diesem Sonntag nicht zum dritten Mal wählen. Was ist dem CDU-Kandidaten zum Verhängnis geworden? Vier Jahre vorher hatte es schließlich noch geklappt.
Neu ist zum Einen der Streit in der Telgter CDU: Wenn es ein großes Einkaufszentrum gibt, sind dann die Geschäfte in der Altstadt bedroht? Zum Anderen hat Meendermann aber ein Wahlversprechen gebrochen: Er wohnt noch immer in Warendorf – einer Nachbarstadt, rund 15 Kilometer entfernt - und pendelt für seine Arbeit nach Telgte. Im vorherigen Wahlkampf hatte er zugesagt, sich ein Haus in Telgte zu suchen. Nun sind einige Telgter enttäuscht und Meendermann verteidigt sich, er habe keine passende Wohnung gefunden. Anscheinend muss man sich auch auf dem Land erstmal integrieren, bevor man Bürgermeister werden darf.
SPD und Grüne finden Kandidaten
Nun ist es für Meendermann zu spät, eine dritte Enttäuschung möchte er sich ersparen. Die Parteien fahnden also fleißig nach Kandidaten und die Grünen finden Wolfgang Pieper. Er ist in Telgte aufgewachsen, engagiert sich seit über 25 Jahren in der Kommunalpolitik. Für die CDU ein idealer Kandidat – hätte er nicht das falsche Parteibuch. Auch die Union sucht einen neuen Anwärter für das Bürgermeisteramt – mitbringen soll er oder sie vor allem die lokale Verwurzlung.
Erfolg hat die CDU nicht, dafür wird die SPD fündig: Ingo Deitmer soll Bürgermeister werden – den Namen hat in der Telgter Kommunalpolitik vorher noch fast nie jemand gehört. Und obwohl Deitmer von Schwarz-Rot unterstützt wird, glauben die Grünen an einen Sieg ihres Kandidaten. Denn Pieper ist in Telgte überaus beliebt, kennt die halbe Stadt und die Grünen können hier inzwischen durchaus als Volkspartei bezeichnet werden.
Bei der letzten Wahl haben sie ein Drittel aller Stimmen bekommen. Im Rat sind sie nun mit 11 Abgeordneten vertreten – knapp hinter der CDU (12) und weit vor SPD (5) und FDP (4). Wird Pieper nun noch Bürgermeister, gibt es eine Mehrheit für Rot-Grün, doch die SPD möchte als Juniorpartner nicht koalieren. Der grüne Bürgermeisterkandidat müsste eventuell gegen eine schwarz-rote Ratsmehrheit arbeiten.
Egal, wie die Wahl am Sonntag ausgeht: Die Wahlkämpfer aus Telgte dürfen sich erstmal zurücklehnen. Die nächsten Wahlen kommen erst in knapp vier Jahren – wenn der Bundestag neu zusammengesetzt wird. Bis dahin wird noch viel Wasser die Ems hinabfließen.
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