Zum Erfolg verdammt

Klimagipfel Ein vorteilhaftes Abkommen für alle Staaten ist in Paris erreichbar. Aber wird es auch gerecht sein?
Ausgabe 50/2015

Katar hat den höchsten CO2-Ausstoß der Welt. Jedenfalls, wenn man ihn pro Kopf berechnet. Im Durchschnitt verursacht dort jeder Mensch 40 Tonnen Kohlendioxid im Jahr, mehr als vier Mal so viel wie in Deutschland. Trotzdem muss Katar keinen Klimaschutz betreiben. Laut Kyoto-Protokoll zählt der monarchistische Staat im Nahen Osten nämlich zu den Entwicklungsländern – und die dürfen bisher so viele Treibhausgase in die Luft pusten, wie sie wollen. Allerdings ist Katar bekanntlich gar nicht arm. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 100.000 US-Dollar pro Kopf, reicher sind nur Luxemburg und Norwegen. Weil Katar aber als Entwicklungsland gilt, kann es sogar noch Geld für die Anpassung an Folgen der Erderwärmung bekommen. Die anderen Staaten müssen zahlen. Gerechtigkeit sieht anders aus.

Seit den 90er Jahren, als das Kyoto-Protokoll erarbeitet und beschlossen wurde, hat sich die Welt enorm verändert. Katar ist reich geworden durch die Erdölförderung, und auch sonst lassen sich die Staaten nicht mehr so klar einteilen in Industrieländer, die den Klimawandel verursachen, und Entwicklungsländer, die darunter leiden. Die Schwellenländer gehören inzwischen selbst zu den größten CO2-Verursachern. China allein ist inzwischen für fast ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich. Künftig muss daher die ganze Welt mitmachen beim Klimaschutz. Im Jahr 2011 wurde vereinbart, dass ein Abkommen mit allen Staaten ausgehandelt werden soll. Jetzt wird auf dem Gipfel in Paris wohl endlich ein neuer Vertrag beschlossen.

Kann das funktionieren? Eine Vereinbarung wird es nur geben, wenn sie von allen Regierungen, auch von denen der armen Länder, als vorteilhaft empfunden wird – zumindest im Vergleich zur jetzigen Situation. Doch das heißt noch lange nicht, dass ein neues Abkommen wirklich gerecht wäre. Das Klimaschutz-System der Zukunft wird sich nicht an begründbaren Gerechtigkeitsmaßstäben orientieren, sondern an den ökonomischen Machtverhältnissen zwischen den Staaten. Wenn ein Land nicht zustimmen will, bekommt es finanzielle Hilfen oder darf etwas mehr CO2 ausstoßen. Anders formuliert: Manche Staaten werden einfach gekauft. Am Ende muss es für alle eine Win-win-Situation sein.

Grund zur Hoffnung

Werden die Verhandlungen erfolgreich sein? Schon seit Jahren arbeiten die Diplomaten an einem neuen Abkommen. Und seit Jahren enttäuschen die Ergebnisse der Konferenzen. Diesmal sind die Ausgangsbedingungen aber vergleichsweise günstig: Zum Beginn des Klimagipfels reisten rund 150 Staats- und Regierungschefs an, um ihren guten Willen zu betonen. Normalerweise kommen die meisten von ihnen erst gegen Ende, falls überhaupt.

Neben diesen symbolischen Gesten gibt es auch objektive Gründe, die für ein positives Ergebnis sprechen. Bisher wurde in den Verhandlungen ein Top-down-Ansatz verfolgt: Zunächst wurde beschlossen, die globale Erwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Dann wurde berechnet, wie viele Treibhausgase noch ausgestoßen werden dürfen, und anschließend wurden diese Zahlen heruntergebrochen auf die einzelnen Länder. Vielen Staaten gingen die notwendigen Minderungspflichten aber zu weit. Nun setzen die Diplomaten auf den Bottom-up-Ansatz: Zunächst geben alle Länder an, zu welchen Maßnahmen sie freiwillig bereit sind. Dann wird berechnet, wie viel noch zum Zwei-Grad-Ziel insgesamt fehlt und anschließend sollen die Länder ihre Selbstverpflichtungen schrittweise nachbessern.

Die gute Nachricht ist: Vor der Konferenz in Paris haben 184 Länder ihre Klimaschutzpläne eingereicht, darunter auch zahlreiche Entwicklungsländer, die bislang zu gar nichts verpflichtet sind. Die schlechte Nachricht ist: Selbst wenn alle Staaten ihre Pläne umsetzen, wird das Zwei-Grad-Ziel noch verfehlt; ganz zu schweigen von einer Begrenzung auf 1,5 Grad, wie sie Inselstaaten fordern. Daher wird in Paris auch diskutiert, ob, wann und in welchem Rhythmus die dort beschlossenen Minderungspflichten verschärft werden sollen.

Was wäre überhaupt gerecht? Die bisherige Unterscheidung in Industrie- und Entwicklungsländer wird mit einer Passage in der UN-Klimarahmenkonvention begründet, die Grundlage sämtlicher Verhandlungen ist. Darin heißt es etwas vage: „Die Vertragsparteien sollen auf Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten das Klimasystem zum Wohl heutiger und künftiger Generationen schützen.“ Das bedeutet: Wer früher viel CO2 ausgestoßen hat, muss jetzt stärker reduzieren. Und auch wer mehr Geld hat, muss Emissionen stärker reduzieren. Im Prinzip ist das keine schlechte Idee. Aber lassen sich diese beiden Aspekte in eine Formel packen, um zu errechnen, wer wie viel zum Klimaschutz beitragen muss?

Milliarden für den Süden

Besser wäre es, nicht die jetzige Situation zum Ausgangspunkt zu nehmen. Stattdessen sollten die erlaubten CO2-Emissionen einfach gleichmäßig auf alle Menschen dieser Erde verteilt werden, das Budget der Länder würde sich also an ihrer Bevölkerungsgröße bemessen. Diese Idee ist nicht neu, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie vor acht Jahren ins Spiel gebracht – sich jedoch freilich nie um die Umsetzung gekümmert, weil dann Deutschland drastisch CO2 sparen müsste.

Gleichzeitig müsste man einen weltweiten Handel mit Verschmutzungsrechten einführen, an dem sich alle Länder beteiligen. Dadurch könnten sich Industrieländer zusätzliche Rechte kaufen, damit ihre Wirtschaft nicht einbricht. In Wirklichkeit würden sie also immer noch überdurchschnittlich viel ausstoßen, aber im Gegenzug bekämen die Entwicklungsländer viel Geld. Dafür würden sie erstmals akzeptieren, dass ihr CO2-Ausstoß begrenzt wird und trotzdem profitieren: Solange sie unter dem weltweiten Schnitt der Pro-Kopf-Emissionen liegen, können sie entweder mehr ausstoßen. Oder sie bleiben auf dem niedrigen Level und bekommen dafür Geld aus den verkauften Zertifikaten. Das System würde Milliarden Euro in den Süden spülen.

Einige Fragen sind jedoch zu klären. Gibt es für den Schutz der Wälder Emissionsgutschriften? Oder wird davon ausgegangen, dass die grünen CO2-Speicher ohnehin erhalten bleiben – und wer sie abholzen will, muss sich dafür Zertifikate kaufen? Werden ölreiche Staaten wie Saudi-Arabien kompensiert, wenn sie ihre Vorkommen im Boden lassen? Am einfachsten zu handhaben wäre all das, wenn vom jetzigen Zustand ausgegangen und jede Veränderung – sei es Abholzen, Aufforsten oder Ölförderung – mit Zertifikaten ausgeglichen würde. Aber ist es gerecht, wenn die Industrieländer in der Vergangenheit ihren Wald abgeholzt, ihre fossilen Rohstoffe verbrannt und sich so ihren heutigen Wohlstand gesichert haben – und die Entwicklungsländer müssen jetzt dafür zahlen?

Zudem sind die Länder unterschiedlich stark betroffen von den unvermeidbaren Folgen des Klimawandels. Wie kann ein fairer Ausgleich aussehen für die Anpassungskosten? Bei all diesen Fragen ist es extrem schwer, schlüssig herzuleiten, was aus globaler Sicht gerecht wäre. Am nähesten käme wohl einfach der Versuch, für alle Menschen weltweit ähnliche Lebensverhältnisse zu schaffen.

In der Realität geht es aber um knallharte wirtschaftliche Interessen: Jedes Land möchte die negativen Folgen der Erderwärmung vermeiden, will gleichzeitig aber die eigene Industrie auch nicht durch Emissionsbegrenzung einschränken und möglicherweise schwächen. Die Weltwirtschaft würde zwar von Klimaschutz enorm profitieren, für ein einzelnes Land sieht es aber mitunter anders aus: Es muss die Kosten einer nationalen Maßnahme komplett allein tragen, den Nutzen haben aber alle Staaten. In der Spieltheorie gibt es dafür eine Lösung: Es muss einen Vertrag geben, mit dem sich die Länder gegenseitig zum Klimaschutz verpflichten.

Im Prinzip ist das Problem also lösbar, selbst wenn im Konsens entschieden wird. Jedoch ist eine Lösung umso komplizierter, je mehr Länder beteiligt sind. Auf dem Pariser Klimagipfel verhandeln fast 200 Nationen. Hinzu kommt, dass gar nicht jedes Land genau weiß, wie sich Klimawandel und Reduktionsverpflichtungen für es auswirken werden. Und weil jeder Staat das beste Ergebnis für sich herausholen möchte, ziehen sich die Verhandlungen über Jahre hin.

Eine Lösung, der alle zustimmen, kann durchaus ungerecht sein. Die vom Untergang bedrohten Inselstaaten zum Beispiel sind auf ein Abkommen angewiesen und haben in den Verhandlungen kaum Druckpotenzial. Die Ölstaaten hingegen können blockieren – und sich somit finanzielle Kompensationen für nicht geförderte Brennstoffe erstreiten. Vielleicht wird Katar am Ende also wieder als großer Gewinner dastehen.

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