Einfühlsames Drama über eine angespannte Mutter-Tochter-Beziehung in Zeiten der Pandemie

Film The Falls (2021) richtet den Fokus in einfühlsamer Weise auf eine Mutter-Tochter-Beziehung unter erschwerten Bedingungen

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Wenn vor 2020 in ostasiatischen Filmen Menschen mit OP-Masken auftraten, handelte es sich oftmals um Gangster, die die in jener Region auch sonst nicht unüblichen Schutz-Artikel nutzen, um unerkannt zu bleiben. Die pandemische Realität hat mittlerweile wenig überraschend den Einzug in die Serien- und Filmwelt gefunden. Am Ende der Serie The Journalist von 2022, bei der Fujii Michihito Regie führte, sehen wir vereinzelt schon Personen die OP-Maske tragen. Eine Universitätsabsolventin kann ihre Stelle nicht antreten, da ihr potenzieller Arbeitgeber auf Grund der Pandemie niemanden einstellen kann. In dem ebenfalls bei dem Streamingdienst Netflix veröffentlichten Film The Falls von 2021 treten schon von Anfang an Personen mit dem Mund-Nasen-Schutz auf. Auf den Film-Stills, die der Streamingdienst anzeigt, sind die Hauptfiguren ebenfalls mit OP-Maske zu sehen.

Ganz intuitiv lässt sich die Maske nun mit dem Infektionsschutz assoziieren. Der von Chung Mong Hong inszenierte Film The Falls spielt inmitten einer Corona-Welle, die auch Taiwan erreicht hat, das ja lange Zeit die Infektionen weitestgehend eindämmen konnte. Jingle Wang (chin. Name: Wáng Jìng) spielt die Schülerin Jiao Xiao, die auf Grund einer Infektion einer Mitschülerin in Quarantäne muss. In der Zeit der Quarantäne passieren schließlich seltsame Dinge. Langsam wird klar, dass die Pandemie als Thema zwar explizit mitschwingt aber doch lediglich als Katalysator anders gelagerter Probleme fungiert. Was nun aufbricht, ist eine spannungsvolle Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Dass Mutter, in diesem Fall Lo Pin-wen, gespielt von Allyssa Chia (chin. Name: Jiǎ Jìngwén) und Tochter, in diesem Fall Jiao Xiao, gerade wenn die Tochter am Ende ihrer Schulzeit steht, zuweilen aneinander geraten oder auch mal nichts voneinander wissen wollen, ist nun nicht weiter ungewöhnlich. Lo Pin-wen ist alleinerziehend und nun können sich die beiden während Jiao Xiaos Quarantäne-Zeit nicht mehr so häufig aus dem Weg gehen.

Doch wird deutlich, dass Lo Pin-wen und Jiao Xiao offenbar bestimmte Erlebnisse anders wahrzunehmen scheinen. Hat Jia Xiao nach dem Essen wirklich auf dem Teller den Schriftzug „bitch“, zu Deutsch „Schlampe“ geschrieben? Ist Jia Xiao während eines Unwetters wirklich nicht in ihrem Zimmer gewesen?

Als Lo Pin-wen schließlich einen Zusammenbruch erleidet, sucht Jiao Xiao Hilfe bei ihrem Vater. Dieser ist mittlerweile mit einer anderen Partnerin zusammen, mit der er einen Sohn hat. Das ist für Jia Xiao eine Überraschung, Lo Pin-wen weiß bisher auch nichts davon. Sie und ihr Ex-Partner haben sich offenbar stark auseinandergelebt.

Nach einem Krankenhausaufenthalt bricht noch mehr auf. Das Arbeitsleben, die finanziellen Mittel, um die Miete zu zahlen: Vieles scheint Lo Pin-wen sich vorzumachen, tatsächlich anders wahrzunehmen, als es von außen objektiv aussieht. Lo Pin-wen wirkt müde. Die Beziehung zu ihrer Tochter Jia Xiao bleibt weiter angespannt. Lo Pin-wen glaubt zudem, sie werde mit ihrem Ex-Partner wieder zusammen kommen. Schließlich muss sie noch einmal in eine Klinik und fängt nach einem dieses Mal längerem Aufenthalt an, sich wieder in ein normales Leben hineinzufinden. Sie findet auch eine neuen Job, auch wenn sie für diesen wohl überqualifiziert ist. Allmählich, nähern sich Mutter und Tochter wieder an. Ob nun das Glück anhält und es ein Happy End gibt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Der Film zeichnet ein einfühlsames Bild einer spannungsvollen Mutter- und Tochter-Familie, die durch verschiedene Faktoren unter Druck geraten ist – das Zerbrechen der Familie, die psychische Krankheit der Mutter, finanzielle Schwierigkeiten. Anfangs erscheint der Film als realistisches Werk, das ziemlich unmittelbar den Zeitbezug sucht. Doch im Zusammenhang mit der mentalen Gesundheit der Mutter werden zur Darstellung Szenen gezeigt, die über das Realistische hinausgehen.

Mutter und Tochter werden in ihrer Vielschichtigkeit gezeigt, ihre Beziehung als komplex. Als Zuschauer wird man in diese Familien- und etwas weniger Pandemie-Geschichte mit hineingezogen - auch durch die realistischen aber doch stilisierten Bilder und durch die schauspielerische Leistung. Der Fokus auf nur wenige Figuren passt zudem in unser Pandemie-Erleben, zumindest jenem in den verschiedenen Lock-Down-Phasen. The Falls überzeugt als zeitgenössischer Kommentar aber eben auch und gerade als Drama über eine fragile Mutter-Tochter-Beziehung und psychische Krankheit sowie das Einbrechen einer Tragik in den Alltag wie deren Bewältigung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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