Fragwürdige Werte

Europa Es wird immer wieder von der "Europäischen Wertegemeinschaft" gesprochen, nicht zuletzt von Angela Merkel. Für welche Werte steht die EU eigentlich?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Immer wieder wird von Europa als sogenannter "Wertegemeinschaft" gesprochen, nicht zuletzt von Angela Merkel. Dennoch will die Bundesregierung das Asylrecht weiter verschärfen und die Inhaftierung von Schutzsuchenden massiv ausweiten. Dem Problem der prekären Fluchtwege für Menschen aus Krisengebieten wird mit militärischen Mitteln begegnet.

Die aufklärerische Idee der Menschenrechte war zu Beginn als Teil des Konzepts der Moderne nicht als für alle Menschen geltend gemeint. Europa scheint bis heute seinem kolonialen Erbe treu zu bleiben. Die Moderne offenbart sich im Nachhinein recht deutlich als eurozentrisches Projekt und dies recht nachhaltig. Die Menschenrechte als Teil der westlichen, modernen Kultur werden nur selektiv angewandt. Heute ist ein unmenschliches Europa zu erleben, das sich eben ganz bewusst einmauert. Die von diesem Europa geforderten Toten kommen teilweise nur auf Betreiben von AktivistInnen und KünstlerInnen zu einer würdigen Bestattung.

Dass auch in Europa Menschen, die Schutz suchen nicht nur großer Unsicherheit angesichts des Aufenthaltstitels, sowie einer insgesamt prekären sozialen Situation ausgesetzt sind, sondern Todesopfer von Rassismus werden, wird gerne heruntergespielt, wie nun etwa in Bezug auf die Statistik über Opfer rechter Gewalt in Brandenburg aufgedeckt wurde.

Die Rede von gemeinsamen Werten muss aktuell entweder als scheinheilig aufgefasst werden oder der Begriff der "Werte" muss in der ursprünglichen rein ökonomischen Bedeutung verstanden werden.

Ökonomie - und zwar keine, die möglichst sozialverträglich wäre - kommt gegenwärtig vor dem Recht auf Asyl, ebenso vor dem Sozialstaat, welcher in der Vergangenheit mal als europäisches Modell verhandelt worden ist, kommt auch, wie sich an Hand der Reaktionen auf das angekündigte Referendum in Griechenland zu beobachten ist - vor Demokratie.

Könnte denn wenigstens der Humanismus im Sinne einer Bildungsbewegung einer der auch heutzutage hochgehaltenen europäischen Werte darstellen? Das ließe sich nicht mit der Austeritätspolitik vereinbaren. Dazu kann der Fokus auch ruhig mal von Griechenland abweichen und den Blick nach Spanien, Italien aber auch nach Deutschland selbst richten. Deutschland ein Bildungsland? Mit Schuldenbremsen und in der jüngsten Vergangenheit abgeschlossenen Bildungspakten etwa in Hessen nicht umsetzbar.

Ökologie bzw. Nachhaltigkeit könnte ja auch ein europäischer Wert sein. Was passiert in Europa eigentlich noch in Sachen Energiewende?

Die EU als Verbund ist sich in vielen Punkten nicht oder nicht mehr einig. Das muss ja nicht immer schlecht sein, in einem demokratischen Verbund wäre ja eine Vielfalt an Standpunkten und damit verbundenen Debatten ja sogar wünschenswert.

Die trotz allem beschworene "Wertegemeinschaft" von der Merkel und andere sprechen ist gegenwärtig eine höchst fragwürdige. Von dem so dominanten Deutschland gehen derzeit hierzu auch kaum ernst zu nehmende Impulse aus, die auf positive Werte -abgesehen von ökonomischem Wachstum, dieses allerdings nicht für alle- hinwirken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden