Lob der Nacktheit

Badekultur In japanischen Badehäusern kommen Leute unterschiedlicher sozialer Schichten zusammen- und nackt zuweilen ganz ungezwungen ins Gespräch.

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Zu Beginn des Februars ist es vielerorts auf der nördlichen Erdhalbkugel ziemlich kalt. Eine Möglichkeit angesichts dieses Umstands besteht darin, es sich zuhause gemütlich zu machen- wenn man nicht etwas naturverbundener, abenteuerlustiger oder schlichtweg nicht besonders kälteempfindlich ist, ganz zu schweigen davon, dass dazu natürlich überhaupt ein eigenes Zuhause vonnöten ist. Aber auch nach einer Skitour, einem Schneespaziergang oder anderen Outdoor-Aktivitäten mag man es selbst in solchen Fällen zumindest abends vielleicht gern warm haben. Winter kriegt, legt man eine hier beschriebene Lebenswirklichkeit zugrunde einen romantisierten Anstrich, doch zeigen Debatten wie etwa diejenige um die Berichterstattung über Schneesturm in Nordamerika und vor Kälte sterbende syrische Flüchtende, dass der Winter wirklich eine bedrohliche Seite hat - und auch der Winter politische Implikationen in sich birgt.

Sollte man nun jedoch ohne den Ernst der Lage zu vergessen oder verdrängen zu wollen, nun einmal in der Lage sein, über die Aktivitäten an einem kalten Winterabend selbst zu entscheiden, warum sich nicht an einem öffentlichen Ort aufwärmen und entspannen? In Skandinavien sowie Finn- und Estland wäre an einen Saunagang zu denken, in Deutschland eventuell auch, ist aber zumindest hier nicht ganz billig. Da lohnt es sich schon fast, über den eigenhändigen Bau einer privaten Sauna nachzudenken.

In Japan bietet sich ein Sento-Besuch an, also der Besuch eines öffentlichen Bades, mit einem Standard-Preis von 430 Yen vergleichsweise erschwinglich. Hier lassen sich dann auch das Aufwärmen, ja das Saunieren meist inklusive und die Entspannung gleich noch mit der Körperhygiene verbinden - wäscht man sich schließlich vor dem eigentlichen Baden in solchen Badehäusern.

Dass man in einer Badewanne leicht ins Gespräch kommt, dürfte dem deutschsprachigen Publikum bereits aus dem 1978er Sketch Loriots "Herren im Bad" bekannt sein. Dabei geraten allerdings die beiden Herren in Streit, zunächst über praktische Fragen bezüglich des Badens. In einem japanischen Sento gibt es darüber nichts zu streiten, die Regeln sind klar und meistens gibt es im Umkleidebereich auch ein illustriertes Hinweis-Poster, durch welches diese auch ohne Japanisch-Kenntnisse schnell zu erschließen sind. Ganz wie in Loriots berühmtem Sketch sitzt man im Sento dann nackt in der Wanne zusammen und in kleineren Einrichtungen jener Art kommt man mit den Mitbadenden - so meine eigene Erfahrung während meines Japanaufenthalts- leicht ins Gespräch. Das auch über alters- und anderer sozialer Grenzen hinweg und ungezwungen, ganz so wie sonst nur in der Kneipe. Hier ist es nicht die Wirkung des Alkohols, der so manche Zunge zu lösen vermag, sondern - so meine These - die Nacktheit der GesprächspartnerInnen, welche es eben gar nicht ermöglicht, allzu viel Wert auf seinen Status zu legen.

Der Status wird in der Umkleidekabine buchstäblich abgelegt, wer nackt ist an einem Ort wo Nacktsein nicht nur erwünscht sondern gefordert ist, ist dann auch nicht nackt unter Wölfen oder potentiellen SpannerInnen, oder vielleicht doch - wer weiß. Vor allem ist man an einem solchen Ort aber nackt unter Nackten. Ja, manches wird tatsächlich dann erst sichtbar. So sind etwa, um beim eingeführten Beispiel zu bleiben, im japanischen Sento Angehörige der Yakuza auf Grund ihrer Tättowierungen auf dem ersten Blick zu erkennen. Doch Angst braucht man vor solchen Mitbadenden nicht zu haben, tatsächlich bleibt auch für jene zweifelhaften Gestalten das Geschäft draußen. Kleider machen Leute aber im Sento oder an ähnlichen Orten kommen Leute zusammen, so wie sie sind, nicht wie sie "gemacht" sind. Das entspannt und wer sich einfach nur entspannen will und auf Konversation verzichten, hat in solchen Einrichtungen ebenso die Möglichkeit dazu.

Wer sich in einer geselligeren Stimmung befindet, kann im Sento jedoch leicht Leute kennen lernen, ganz so wie sich Herr Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner im Sketch in der Badewanne kennen lernen. Doch der steife Umgangston der beiden Zeichentrickfiguren wäre doch eigentlich eher etwas fürs Business, für die Arbeit oder die Universität, aber eben nicht fürs gemeinsame nackt-das-heiße-Bad-genießen. Der Sketch funktioniert ja auch nur, weil dem Publikum jenes Gesprächssetting doch recht merkwürdig vorkommt. Da es sich ja auch um keine öffentliche, sondern eine private Badewanne handelt, wäre es das sogar im japanischen Kontext.

Für Menschen, die in jener Gegend Deutschlands aufgewachsen sind, wo die FKK-Kultur schon lange kultiviert wurde und fest verankert ist, mag ein solcher Ort, wo man ganz unbefangen und frei unbekleidet auf andere unbekleidete Leute trifft, stets ein angenehmer sein. Beim FKK-Baden am Ostseestrand besteht vielleicht sogar noch eher die Gefahr, in gewissem Sinne "ausgespäht" zu werden, ist dieser ja normalerweise nicht abgeschnitten von der bekleideten Außenwelt, sondern auch für Voyeure ohne ein eigenes Interesse am Baden oder am Strand leicht zugänglich. Andererseits, ist man erst einmal im Wasser drin, gibt's ja sowieso fast nichts mehr zu sehen. Umspült von Wellen, fügt sich der Körper in die Natur, bewohnt für einen Moment ein Element, das nicht sein Zuhause ist.

Gerade diese vorübergehend bewohnte "Fremde" ist wiederum ein geeigneter Ort, um für einen Moment ganz bei sich selbst zu sein, so wie in dem japanischen Trickfilm, einem Klassiker unter den Animes, "Ghost in the shell", die Hauptfigur beim Tauchgang zu existentiellen Fragen zu ihrer eigenen Person angeregt wird. Sie trägt allerdings im Anime dabei einen Taucheranzug, nunja, dafür ist "Ghost in the shell" an anderer Stelle vielleicht auch schon so voyeuristisch genug. In Deutschland ist die Sauna ein Luxusobjekt. Der FFK-Strand nur für manche eine Option, für eben jene, die sich nicht schämen, aber auch dijenigen, die nicht von der Gesellschaft dazu gebracht worden sind, sich dafür zu schämen nackt zu sein. Ferner ist es auch nicht üblich, wie z.B. in Japan die eigene Hygiene in einer öffentlichen Einrichtung zu pflegen. Dabei täte es gut, mal an einem geschützten Ort mit Bekannten und Unbekannten über Statusgruppen-Grenzen hinweg zusammen gemeinsam sich zu entspannen und befreit von Status-Symbolen eventuell dabei ganz ungezwungen ins Gespräch zu kommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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