Im Juli diesen Jahres finden in Japan die Oberhaus-Wahlen statt. Noch bei den Unterhaus-Wahlen vom 14.12.2014 profitierte das Regierungslager, eine Koalition aus LDP und Komeito unter anderem von der niedrigen Wahlbeteiligung. Ein anderer Faktor, der für den zu jenem Zeitpunkt überragenden Wahlerfolg eine beträchtliche Rolle gespielt haben dürfte, war die Fokussierung der Regierung auf die Wirtschaftspolitik, die nach dem amtierenden Premierminister genannten "Abenomics" während des Wahlkampfs.
Auch dieses Mal versucht die LDP besonders kontroverse Punkte ihrer politischen Agenda nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Einem Artikel der englischsprachigen Online-Ausgabe der Mainichi Shinbun vom 06. Juni zufolge spielen die Pläne, die Verfassung Japans zu revidieren, in den bisherigen Wahlkampfkampagnen der LDP keine Rolle. Im Unterhaus hat die Regierungskoalition bereits eine Zweidrittelmehrheit inne, wenn ihr das im Oberhaus auch gelänge, so stünde derartigen Plänen allerdings kaum noch etwas im Wege.
Shinzo Abe wird indes im selben Artikel mit am 01. Juni während einer Pressekonferenz getätigten Worten zitiert, die darauf abzielen, erneut die "Abenomics" ins Zentrum zu stellen. Eine LDP-nahen Quelle, so weiter, gäbe aber zu, dass Verfassungs-Änderungen durchaus Teil der LDP-Agenda darstellen.
Abe konnte sich kürzlich während des G-7-Gipfels als bedeutende globale Führungsgestalt präsentieren, an dem nicht ganz ohne Grund gewählten traditionsreichen Ort Ise-Shima, der zur konservativen Ausrichtung der Regierung passt.
Doch, wenngleich Abe die Strategie der Betonung der "Abenomics" weiterverfolgt, hat sich seit den Unterhaus-Wahlen Japans Öffentlichkeit stark gewandelt. Bei einem immer größer gewordenen Teil der Bevölkerung stehen ganz andere Themen im Vordergrund, wie etwa die Gewährung solcher Grundrechte wie der Presse- und Meinungsfreiheit, die Energiepolitik und nicht zuletzt das Beibehalten des Artikel 9 der Verfassung, der Japan dazu verpflichtet, seine Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Gerade dieser Punkt könnte sich bei einer Änderung oder einer völligen Streichung auf die gesamte, von Spannungen unter den Nachbarländern geprägten Region mit noch unabsehnbaren Folgen auswirken. Ein weiterer Streitpunkt, der für potentielle WählerInnen von Bedeutung ist, ist die geplante Verlegung der US-Militärbasis auf Okinawa.
Bereits nach dem Dreifach-Unglück vom 11.03.2011 fromierte sich eine Anti-Atombewegung, die ihren Höhepunkt im Jahr 2012 erreichte. Dieser Bewegung entstammte auch Aki Okuda, einer der Begründer einer anfangs noch überschaubaren Gruppe von Studierenden, die Japan seit 2014, was Mobilisierung und Politisierung verschiedenster Bevölkerungsgruppen angeht, regelrecht aufgemischt haben.
Dabei war das politische und gesellschaftliche Klima nicht von vornherein auf ihrer Seite. Nach den heftigen Auseinandersetzungen der 68er mit dem Establishment, war es eine Strategie um so etwas nicht wieder geschehen zu lassen, politisch kritisches Denken möglichst einzudämmen. Bis heute findet seitdem an Schulen so gut wie keine politische Diskussion statt. Dass sich aus dem studentischen Milieu eine solche Gruppe von AktivistInnen gründen würde, ist vor diesem Hintergrund geradezu erstaunlich.
Wie gesagt war für Gründungsmitglied Aki Okuda die Dreifachkatastrophe von Fukushima ein Wendepunkt. Gerade als er anfing ein angesehenes College zu besuchen, begann er als Reaktion darauf als Frewilliger zu helfen und auf Anti-Atom-Demonstrationen zu gehen.
Protest galt zu der Zeit noch als eher uncool, als etwas, das man mit Gewalt und linksradikalen Hardlinern in Verbindung brachte. Diese hatten sich in Japan ja auch tatsächlich sehr stark radikalisiert. Es entstand etwa die terroristische Vereinigung Japanische Rote Armee, von der ein Teil schließlich in die Vereinigte Rote Armee überging.
Als im November 2014 drei Linksaktivisten, darunter mindestens ein Studierender der renommierten Kyoto-Universität im Rahmen von Protesten verhaftet wurden, da ihnen Gewalt gegen die Polizei vorgeworfen wurde und im Zuge dessen wenig später im Wohnheim der Kyoto-Universität eine Razzia durchgeführt wurde, konnte man sich wohl an jene Zeiten erinnert fühlen, doch insgesamt betrachtet ist von dieser aufrührerischen Stimmung in der Zwischenzeit nicht besonders viel zu spüren gewesen.
SchülerInnen und Studierende sind in allen möglichen Clubs aktiv und durchaus bereit als Freiwillige zu helfen, doch besonders politisch engagiert war noch vor kurzem die Mehrheit eher nicht.
Aki Okuda und Mitbegründerin der Gruppe "Students Emergancy Action for Liberal Democracy" (kurz SEALDs), Wakako Fukuda, sind mittlerweile zu regelrechten Rockstars geworden. Sie erscheinen auf Postern, die auch für Hiphop-Events werben könnten. Okuda und andere waren sogar schon im Rolling Stone.
Genau das ist charakteristisch für ihre äußerst erfolgreiche Strategie: Sie wollen normal, sie wollen cool sein. Sie arbeiten mit Mode und Musik und haben eine "Don't thrash your vote"-Mode-Linie, also eine "Schmeiß Deine Stimme nicht weg"-Mode-Linie entworfen. Sie verteilen stylische Flyer, die dazu aufrufen wählen zu gehen und dabei aussehen, als ob sie auf irgendein Musikfestival hinweisen.
Die Oberhaus-Wahlen sind nach einer Erklärung Okudas das letzte Ziel der Gruppe.
Aktuell läuft ihre Kampagne, die möglichst viele Leute dazu bewegen soll zur Wahl zu gehen, um die Oppositionsparteien mit dem nötigen Stimmgewicht auszustatten, die dafür nötig ist, der Regierung Vorhaben wie die Revision der Verfassung nicht zu ermöglichen, läuft auf Hochtouren.
Im Vorfeld gab es zuerst nach Inkraftreten eines Gesetzes, dass es der Regierung ermöglicht alle möglichen Angelegenheiten als Staatsgeheimnnis zu deklarieren durch die SEALDs organsierten Proteste. Sie sahen sich aufgerufen, für den Erhalt der liberalen Demokratie einzutreten. Daher rührt auch ihr Name, der auf Deutsch soviel heißt wie "Studentische Notfall-Aktion für liberale Demokratie". Als im letzten Jahr Premierminister Abe ein Gesetz verabschiedete, das den Selbstverteidigungsstreitkräften mehr Befugnisse, etwa auch zu Auslandseinsätzen einräumt, hielten sie wöchentlich Demonstrationen vor dem Parlamentsgebäude ab.
Die SEALDs sind expandiert und haben gleichzeitig ganz unterschiedliche Bevölkerungs- und AktivistInnen-Gruppen zusammen gebracht. Auf betreiben der SEALDs haben die Oppositionsparteien sich auf eine gemeinsame Kampagne geeinigt und zwei von ihnen haben sich sogar zusammengeschlossen. Am vergangenen Sonntag demonstrierten angesichts der nahenden Wahlen laut Reuters erneut tausende DemonstrantInnen gegen die Politik der Abe-Regierung.
Im vergangenen Jahr wurde das Mindestwahlalter in Japan herabgesetzt. Selbst wenn es noch nicht abzusehen ist, wieviele Jugendliche davon wirklich Gebrauch machen, könnte die Mobilisierung durch eine Gruppe wie die SEALDs, die es geschafft hat, politischem Engagement ein cooles Image zu verleihen, sich insgesamt positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken, die gesellschaftliche Diskussion haben die SEALDs bereits spürbar befördert.
Die Gesichter der Bewegung, zu sehen auf Postern und in Magazinen, die Tausende zu inspirieren vermochten, werden auch nach Auflösung der SEALds mindestens in der Erinnerung für coolen Protest stehen.
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