Nationale Identität steuert Empathie

Migrationspolitik Rassismus und Neoliberalismus erzeugen nationale Identitäten wobei Verantwortungsgefühl in hohem Maße an diese gebunden ist.

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Am heutigen Tag wird der als "nationale Katastrophe" inszenierte jüngst erfolgte Absturz der German Wings-Maschine mit einer Trauerfeier gedacht. Dies wird in der deutschen Medienlandschaft aufgegriffen, Sueddeutsche, Deutschlandradio Kultur und andere berichten darüber. Dass es sich bei jenem Ereignis um eine Tragödie handelt, ist nicht zu bestreiten, es ist in jedem Fall schlimm, wenn viele Menschen sterben. Es ist auch in einigen Fällen solcher Katastrophen durchaus angebracht, dem stärker medial nachzugehen, etwa die Hintergründe und Verantwortlichkeiten zu ermitteln, wie z.B. bei dem sich vor etwa einem Jahr vor Südkorea ereigneten Fährunglück der Sewol, wo immer noch Klärungsbedarf besteht und es um die Frage nach der Gerechtigkeit und die Rolle des Staates geht.

Im Falle des German Wings-Unglücks wurde ja von Anfang an auch über Ursachen spekuliert, doch die deutsche Medienlandschaft hat vielfach den Grad zwischen investigativer Berichterstattung hin zu Voyerismus und unnötigen Spekulationen überschritten. Bettina Schmieding vom Deutschlandfunk kommentierte:
"Das Haus des Co-Piloten wurde im Fernsehen gezeigt, sein voller Name in verschiedenen Medien veröffentlicht. Hinzukommen die mehr als voreiligen Spekulationen - ganz zu schweigen von Formulierungen in äußerst schlechtem Stil. Festzuhalten bleibt: Abgestürzt ist nicht nur ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord, sondern leider auch der Journalismus.


Hinzu kommt schließlich eben jene nationalistische Dimension, die diese Inszenierung des tragischen Ereignisses impliziert. Diese trifft wiederum auf breite Akzeptanz und wäre alleine als solche kaum wahrzunehmen. Doch da zeitlich das jüngere Unglück, bei dem 400 Geflüchtete ums Leben gekommen sind nicht weit entfernt ist, fällt das starke Ungleichgewicht einerseits der Berichterstattung aber andererseits der Betroffenheit nun besonders auf. Freitag-Community-Mitglied dbenjamin benennt den sich hierbei zeigenden Rassismus sehr klar und stellt fest: "Diese Körper zählen nicht".


"Diese Körper", damit sind die Körper der Geflüchteten gemeint, die Körper derjenigen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten eine riskante Fahrt unternehmen, um in eine Region zu gelangen, in der hoffentlich menschenwürdigere Umstände herrschen, Umstände, in denen ein Leben möglich ist, ohne um dieses ständig fürchten zu müssen. Doch diejenigen, die es bis nach Europa schaffen, sind meistens auch Repression ausgesetzt, Asylverfahren haben nur in wenigen Fällen eine Aussicht auf Erfolg, jahrelanges Arbeitsverbot etc. erschweren Intergration in hohem Maße. Zu der hier ja nur angedeuteten längst nicht vollständigen Liste an handfesten Schwierigkeiten bei dem Versuch als Geflüchtete sich in Europa eine Existenz aufzubauen, kommen die rassistischen Ressentiments hinzu, die ja wiederum die hier angesprochenen politischen Rahmenbedingungen aufrechterhalten.

PolitikerInnen nehmen auf die kleinbürgerlichen Befürchtungen vieler EuropäerInnen Rücksicht, es geht eben darum das eigene potentielle Wahlvolk zufrieden zu stellen, eine Verantwortung darüber hinaus zu übernehmen, erscheint heute nicht opportun. Neben dem offenkundigen Rassismus, der heutzutage ja auch nicht mehr nur in ganz so platter Manier daherkommt, sich z.B. auf "kulturelle Errungenschaften" oder Ähnlichem beruft, wird dabei von neoliberaler Logik gestützt, welche eine Verwertbarkeit von "Human ressources" fordert. So muss ja auch der Streit zwischen Bund und Ländern verstanden werden, wo es um die ach so hohen Kosten geht, die die Aufnahme von Geflüchteten verursachen würden. Wie wäre es denn mal damit, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, Abschlüsse anzuerkennen und - nun kommt die außenpolitische Verwantwortung ins Spiel - zu versuchen militärische Konflikte zu entschärfen und den deutschen Rüstungsexport einzuschränken?

Gerade, was den Rüstungsexport angeht wird wiederum deutlich, wie stark sich die nationale Identität auf ein Empfinden für Betroffenheit oder eben einer gewissen Verantwortung auswirkt. Wenn Heckler & Koch und co. nicht mehr so viel produzierten, würden ja Arbeitsplätze wegfallen. Dass besonders die Verbreitungswege von Kleinwaffen kaum zu kontrollieren sind und in vielen Krisengebieten es eben solche sind, die von Konfliktparteien zahlreich genutzt werden, interessiert dabei weniger. Doch wie kommt es, dass heute diese starke nationale Identität und die Abgrenzung des Fremden solche Überhand gewinnt? Liegt es an der Wirtschaftskrise, die etwa auch bei der deutschen Mittelschicht Besitzängste wachsen lässt? Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg schon die Erfahrung gemacht, Geflüchtete aufzunehmen. Dies war am Ende des zweiten Weltkriegs der Fall. Der Gießener Regierungspräsident Lars Witteck betont etwa die Erfahrung, die seine Stadt bei der Aufnahme von Geflüchteten hat.


Doch bei dem historischen Beispiel handelt es sich ja auch eben um Angehörige der deutschen Nation. Ein anderes Beispiel war aber einst die vorhandene Solidarität mit den damals so bezeichneten "Boat people", die einst aus Vietnam fliehen mussten. Eine Diakonie-Mitarbeiterin, die in der Flüchtlingsberatung tätig ist, hat mal in einem persönlichen Gespräch erwähnt, dass sie es nicht verstehen könne, warum die Solidarität die es in diesem Zusammenhang gab, so stark nachgelassen hätte. In diesem Jahr, dem 40. Jubliäum des Endes und des 60. Jubiläums des Beginns des Vietnam-Krieges wäre es doch auch angebracht einmal daran zu erinnern.


Seit dem Ende des Vietnamkriegs ist natürlich viel passiert, die Wende hat es für einige Kreise im ehemaligen Osten erst ermöglicht nun entweder den immer schon gehegten Fremdenhass voll und ganz auszuleben oder den allgemeinen Frust in einen solchen zu kanalisieren. Die Wende als deutsche Erfolgsgeschichte ist eine der zahlreichen nationalen Errungenschaften, wie auch die Fußball-WM im eigenen Land, wirtschaftlich steht Deutschland trotz Krise auch vergleichsweise gut da. In anderen europäischen Staaten ist es gerade nicht der vermeintliche "Erfolg" der unterschiedlichen Regime, sondern deren Misserfolg oder eben die Auswirkungen der Austeritätspolitik unter denen sie zu leiden haben, welche zu einem Auftrieb rechtspopulistischer und -extremer Meinungen verhelfen. Wenn nun ein deutsche Minister "Schlepper" für den Tod hunderter von Menschen verantwortlich macht und behauptet, Seenotrettung würde deren Aktivitäten fördern, gibt er damit denjenigen, die fremdenfeindliche Ressentiments kultiviertv haben und weiter reproduzieren Recht.

Wenn de Maizere vorher betont hat "Tröglitz ist nicht überall", so verharmlost er offenkundig auch noch das Problem. Das Problem des Rassismus, der sich nur allzu gut mit neoliberaler Logik verbinden lässt. Beide, bzw. auf diese beruhende Politik werden ja auch oftmals mit der Argementation scheinbarerer Alternativlosigkeit begründet.


Eine große Betroffenheit angersichts zahlreicher Geflüchteter, die im Mittelmeer ertrinken ist unter diesen Umständen außer von linken AktivistInnen und ihren SymaptisantInnen kaum zu erwarten. Strategien, die zugrundeliegende Logik zu durchbrechen müssen vielfältig sein und schon bei der Bildung, nämlich antirassistischer Bildung bereits im Kindesalter einsetzen. Neben Bildungs- Aufklärungs- und Solidaritätskampagnen sind es eben auch die eminent politischen Debatten, die geführt werden müssten, sind es schließlich auch die konkreten Vorschläge für eine Veränderung der Migrationspolitik, welche an entsprechender Stelle eingebracht werden müssten, wenn das zweierlei Maß, mit denen Menschen in Europa begegnet wird endlich zugunsten einer menschlicheren und nicht entmenschlichenden Politik abgeschafft werden soll. Es muss auch offensiv gegen Rechts vorgegangen werden, das "rechte Auge" geöffnet und Verharmlosung oder sogar noch Entgegenkommen gegenüber rechtsextremen Gruppierungen gestoppt werden. Neben der Bekämpfung der hier angesprochenen Wurzeln dieser Politik, müssten also auch die Gegenvorschläge diskutiert werden, um Veränderungen herbeizuführen.


Solange, wie die deutsche Gesellschaft weiterhin von ihrem so tief sitzenden Rassismus geprägt bleibt, bleiben auch für sich genommen völlig legitime Trauerfeiern für Angehörige - in solchen Fällen eben deutscher Opfer, sofern sie medial stark rezipiert werden - mit einem verärgernden Beigeschmack behaftet. Sie erinnern daran, dass Menschen aus Sicht vieler EuropäerInnen - eben jener, die sich sonst so gerne so lautstark auf Menschenrechte berufen - in Europa nicht gleich "viel wert" sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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