Schönheit und Politik

politische Kunst Das Zentrum für Politische Schönheit bringt sich wie jüngst durch die Aktion "Die Toten kommen" in die Politik ein. Wie hängen Politik und Schönheit eigentlich zusammen?

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Das Zentrum für Politische Schönheit hat mit seiner Aktion „Die Toten kommen“ bereits für viel Wirbel gesorgt. In der deutschen Medienlandschaft können Schlaglichter darauf aus den verschiedenen politischen Perspektiven zur Kenntnis genommen werden. Dass die Aktion besonders rund um den Weltflüchtlingstag (20. Juni) einen Nerv trifft ist unbestritten. Das Thema der Außengrenzen Europas spielt für das Zentrum auch bei anderen Aktionen eine wichtige Rolle, ist aber nicht das Einzige, dem durch das Zentrum mit künstlerischen Mitteln kritisch-aktiv begegnet wird, wie etwa aus dem Text der Homepage über das ZPS hervorgeht. Politische Kunst – sie ist lebendig.
Die Existenz und die Medienwirksamkeit des ZPS ist nur ein Beispiel für diesen Befund. So ist etwa auch die Documenta 13 deutlich einen politischen Kurs gefahren.
Vom 18. April – 14. Juni 2015 war in Berlin in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst die Ausstellung "Verbotene Bilder. Kontrolle und Zensur in den Demokratien Ostasiens" zu sehen. Die dort ausgestellten Kunswerke, von denen manche in den Heimatländern der ausstellenden KünstlerInnen nicht ohne weiteres öffentlich ausgestellt werden dürfen, die teilweise von der zuständigen Spedition gar nicht nach Deutschland geliefert worden sind, stammen unter anderem von Veteranen politischer bzw. gesellschaftskritischer Kunst Ostasiens aber auch von jüngeren Künstlern.
Während eines Künstlergesprächs im Rahmen jener Asusstellung erklärte der südkoreanische Künstler Hong Sung-Dam, dass nach einer vorübergehenden Phase, in der Kunst in Südkorea eher unpolitisch war, es nun wieder viele junge Künstler gibt, die immer zur Stelle sind, wenn es Ereignisse mit gesellschaftspolitischer Tragweise gibt und wichtige Prozesse kritisch begleiten.
In dem Rahmenprogramm ging es um Fragen der künstlerischen Freiheit aber auch um konkrete Themen der ausgestellten Werke, wie etwa der Aufarbeitung der Vergangenheit, die - etwa im Falle der Beziehung der Bundeswehr zum umstrittenen Yasukuni-Schrein auch etwas mit Deutschland zu tun hat.
In Europa ist das Thema des Umgangs mit den Flüchtenden angesichts der weltweiten Krisen und der bisherigen europäischen Reaktionen darauf ein besonders virulentes. In einem viel kleineren Rahmen als das ZPS und mit dem Fokus auf die Überlebenden, statt auf die während der Flucht zu Tode gekommenen, macht ein dänischer Fischerkutter mit einer Kunstaktion auf Fluchtursachen und das Schicksal von zur Flucht gezwungener Menschen aufmerksam. 70 lebensgroße Bronzestatuen bestücken den alten Fischkutter MS Anton, zu denen es jeweils auf Tatsachen beruhende Fluchtgeschichten gibt. Demnächst mach das „Flüchtlingsboot MS Anton“ Station in Rostock während der Warnemünder Woche.
Dass Kunst eine „fünfte Gewalt“ ist, wie es etwa das ZPS postuliert und dass Kunst dazu taugt die politischen Debatten zu bereichern, ist schon allein aus den zum Teil recht heftigen Reaktionen darauf zu schließen.
Das ZPS hebt sich in einem gewissen Sinn von anderen künstlerischen Akteuren mit politischem Anspruch ab. Es steht ja für Schönheit. Dass zum Teil auch kritische Kunst eine ästhetische Komponente implizieren kann, ist, wenn zwar nicht selbstverständlich, aber auch nicht gänzlich überraschend. Überraschender ist nun die Übertragung von Schönheit auf die Politik. Handelt es sich dabei überhaupt um Übertragung oder birgt Politik in sich selbst bereits einen Ansatzpunkt, einen Keim für Schönheit? Was könnte politische Schönheit ausmachen und ist Schönheit überhaupt eine geeignete Kategorie um Politik zu bewerten oder zu charakterisieren?
Es handelt sich hierbei um eine Grenzüberschreitung, ein direktes Einwirken von Ästhetik auf die Sphäre der Politik. Politik bedeutet Auseinandersetzung, Machtausübung, das Herbeiführen von Entscheidungen. Zur Politik gehören Institutionen wie einzelne Akteure, die in komplexen Zusammenhängen interagieren oder gegeneinander agieren und agitieren.
Dies wird schließlich durch die Nutzung ästhetischer Mittel unterstützt,dies kann ästhetische Implikationen haben und in ästhetisierter Form rezipiert werden.
Bei gesellschaftskritischer Kunst geht es oftmals darum, Schönfärbungen zu vermeiden, Zustände ungeschönt darzustellen, manchmal mit Irritation und bewusster Provokation eine Stimmung zu erzeugen, die nur schwer mit Schönheit in Verbindung zu bringen ist.
Eine bei der Documenta 13 ausgestellte Sammlung von Zeichnungen aus den Federn bzw. den Bleistiften und Pinseln von Vietcong-Künstlern aus der Zeit des Vietnamkriegs hat gezeigt, wie sich die Ästhetik einzelner Kunstwerke den politischen Vorgaben auch zu entziehen vermag, indem sie einen sehr intimen und persönlichen Blick offenbaren. Es handelte sich bei den gesammelten Zeichnungen um Skizzen, einer Gattung bei der es eben, anders als es bei den von denselben Künstlern angefertigten Propagandaplakaten möglich war, eine vergleichsweise weitgehende künstlerische Freiheit in Anspruch zu nehmen.
Beim Zentrum für Politische Schönheit kommen tatsächlich Schönheit und politische Kritik zusammen. Bei der Aktion „Die Toten kommen“ etwa wird nichts schön gefärbt, sondern mit einer aus mehreren Bestandteilen bestehenden Kunstaktion ein Tabuthema auf besonders würdevolle Weise in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gestellt. Dass Menschen auf der Flucht nach Europa sterben ist im Grunde kein gänzlich tabuisiertes Thema. Die Zahlen der im Mittelmeer Ertrunkenen kursieren hin und wieder durch die Medien. Das Tabu betrifft den Tod selbst. Der Tod wird außerhalb Europas wahr- aber auch hingenommen. Es werden als Antwort darauf zwar fragwürdige Maßnahmen ergriffen, wie militärisches Vorgehen gegen diejenigen, die Menschen zur Flucht verhelfen. Dass Militärisches Vorgehen mitunter auch Tod bedeutet, wenn auch nicht in jedem Fall, ist für Europa im engeren Sinne kein unmittelbares Problem. Europäische Soldaten einschließlich deutscher Soldaten befinden sich vornehmlich in Gefechten außerhalb der EU. Am Rande der EU finden handfeste Auseinandersetzungen statt, der EU-interne Frieden hingegen hält.
Menschen, die durch Flucht Europa erreichen, haben es unmittelbar nach der Ankunft natürlich nicht leicht. Menschen, die dann mit allerlei Problemen konfrontiert sind, können sich immerhin organisieren und versuchen gegen die Zustände zu protestieren, wie etwa im vergangenen Jahr an verschiedenen Orten geschehen.
Tote können aber nicht selbst die Stimme erheben, nicht selbst in dieser Weise anklagen und einfordern.
Tod ist auch in anderen Zusammenhängen ein Thema, dem man sich hierzulande nur wenig aussetzt. Vielleicht unter anderem deshalb, weil Tod zuweilen eben doch unangenehme Fragen aufwirft, selbst wenn die Toten nicht mehr sprechen können.
Einige der Toten, die sonst so unwürdig an den EU-Außengrenzen begraben werden, werden nun auf würdige Weise bestattet. Wie etwa eine im Mittelmeer ertrunkene Syrerin ganz ordnungsgemäß auf einem Berliner Friedhof durch einen Imam.
Das Thema des Todes jener Menschen betrifft nicht nur die Frage nach der dafür verantwortlichen Politik, die nach einem würdevollen Umgang, welcher in gewisser Weise in seiner Würde ein schöner wäre, sondern auch die nach der Religion.
Es gab ja auch bereits Kritik daran, dass das Kreuz das vornehmliche Symbol für die verstorbenen Geflüchteten während des im Rahmen der Aktion durchgeführten „Marsches der Entschlossenen“ war. Kritik, weil hier nun das christliche Symbol schlechthin ganz pauschal für alle verwendet wird.
In diesem künstlerisch-politisch-religiösem Kontext geht es um Repräsentation und um Inszenierung, wie es immer um Repräsentation und Inszenierung geht bei Akten der Politik, der Kunst und nicht zuletzt der Religion. Das nimmt jenen Sphären nicht per se ihren Wahrheitsgehalt und die Wirksamkeit.
Das eminent Politische der Aktion liegt hier nicht auf einer institutionellen Ebene und ist zwar durch das Thema unmittelbar, aber in der Wirksamkeit auf den ersten Blick nur mittelbar zu fassen. Doch gerade durch den Tabubruch, den Tod derjenigen sichtbar zu machen, die an den EU-Außengrenzen gestorben sind und dabei den Anlass dazu nicht außen vor zu lassen verändert bereits die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der Angehörigen, die Wirklichkeit unserer aller Wahrnehmung und die Wirklichkeit der Orte, an denen die Aktion konkret stattgefunden hat.
Das Zentrum für Politische Schönheit bezieht die beiden Größen Politik und Schönheit in einer Weise aufeinander, dass nicht das eine dem anderen als Hilfsmittel dient.
Die davon ausgehenden Aktionen greifen in politisch definierte Räume ein und verändern diese. Das passiert auf spektakuläre Weise und hohem Anspruch. Denn das langfristige Ziel ist es, die Politik schöner zu machen. Was dabei „schön“ konkret bedeutet ist wiederum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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