Unerwünscht und preisgekrönt

Hausbesetzung Eine ehemalige Klinik in Prag, welche seit 2014 von einem Kollektiv besetzt wird, ist preisgekrönt und von der Räumung bedroht. Interview mit einem Kollektiv-Mitglied

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Die Praxis der Hausbesetzung dürfte hierzulande bei einigen vielleicht eher nostalgische Gefühle hervorrufen, die etwa mit dem Sound von Ton Steine Scherben verbunden sind oder mit Erinnerungen an die Herkunft der Toten Hosen. Doch vor kurzem haben besetzte Häuser wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit erlangt, so zum Beispiel ein Wohnprojekt in Göttingen, bei dem Studierende und Geflüchtete in einem ehemaligen Gewerkschaftshaus wohnen und schließlich das Projekt in der Rigaer Straße 94 in Berlin, letzteres vor allem wegen der verschärften Konflikte um selbiges inklusiver geschehener nicht rechtmäßiger Teilräumung.

Auch in anderen europäischen Städten finden nach wie vor Hausbesetzungen als symbolhafte und mit sozialem Anspruch versehene Akte innerhalb der Auseinandersetzungen um aktuelle urbane Politik und Vorstellungen postmoderner Gesellschaftsordnungen statt.
Beispiele sind etwa das Soziale Zentrum Rog in Ljubljana, Slowenien und eine alte Klinik in der tschechischen Hauptstadt Prag, die in ein autonomes, soziales und kulturelles Zentrum umgewandelt wurde, das "Autonomní sociální centrum Klinika".

Über letzteres Projekt heißt es in einem auf der Plattform politicalcritique.org erschienenen Beitrag vom 11.04.2016, dass es im ersten Jahr seiner Existenz zum Symbol des Widerstands gegen konservative und autoritäre Tendenzen innerhalb der tschechischen Gesellschaft geworden ist.

Im November 2014 besetzten AktivistInnen ein vormals als Lungenklinik genutztes Gebäude im früheren Arbeiterviertel Žižkov, im Bezirk Prag 3. Hausbesetzung hat in Prag, so auch in Žižkov, eine Geschichte, die bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht. In jener Zeit besetzten etwa Anarchisten des Schwarze-Hand-Kollektivs Häuser besetzt, um diese Arbeiter-Familien zum Wohnen zur Verfügung zu stellen.

Nach dem Zerfall des Ostblocks und der politischen Wende in Europa war Landronka das womöglioch bekannteste besetzte Haus. Am 09. November 1999 wurde Landronka schließlich geräumt.

Ist in jener Zeit eine eher hedonistische, vor allem gesellschaftliche sowie kulturelle Offenheit betonende Atmosphäre vorherrschend, so unterscheidet sich das Klinika-Kollektiv von ihren Vorbildern aus der Post-Sozialismus-Ära durch ihren dezidiert politischen Anspruch.

Nachdem die AktivistInnen jenes Kollektivs die Klinik am 29. November 2014 in Besitz genommen hatten, wurde die Klinik nach kurzer Zeit bereits wieder geräumt. Zunächst blieb das Kollektiv nur zehn Tage bevor es die Klinik wieder unfreiwillig freigab. Die AktivistInnen haben jedoch viel Solidarität erfahren und betreiben, seitdem sie wieder eingezogen sind, weiterhin ihr vielfältiges kulturelles und soziales Programm, das neben Filmvorführungen, Lesungen, Sprachkursen für Geflüchtete unter anderem auch Universitätsvorlesungen umfasst.

Tatsächlich wurde nach der ersten Räumung ein richtiger Vertrag ausgehandelt, jedoch lediglich für die Dauer eines Jahres. Mit Auslaufen des Vertrags befindet sich das Kollektiv im Prinzip wieder illegal in der Klinik. Dieser ungewisse Zustand dauert nach wie vor an.

Die bisher mit der Stadt und der tschechischen Regierung geführten Verhandlungen haben bislang zu keiner dauerhaften legalen Lösung geführt. Offiziell ist die Klinik Staatseigentum.

Aus der Klinik gingen indes, als vielerorts in Europa – auch in Tschechien – ein allgemeiner Anstieg der Xenophobie zu verzeichnen war, spontane Hilfsangebote für Geflüchtete hervor. Die mit dem Klinika-Kollektiv eng verknüpfte "Iniciativa Ne Rasismu!" (dt.: Initiative Kein Rassismus!) wurde bereits von Hooligans angegriffen, die Klinik selbst wurde ebenfalls Ziel einer Neo-Nazi-Attacke. Die Angeifer
hatten die Klinik mit Steinen und Brandsätzen beworfen.
Schutz durch die lokalen Behörden gab es daraufhin nicht. Stattdessen bezeichnete der Bürgermeister von Prag 3, Vladislava Hujová von der liberal-konservativen Partei TOP 09 die Klinik als Sicherheitsrisiko.

Die Anstrengungen, die Klinik zu räumen wurden daraufhin noch verstärkt. Das Kollektiv beruft sich, wie andere AnarchistInnen auf einen Absatz der Verfassung, nach dem Eigentum bindend ist. In ihrer Interpretation kann also auch kein Staatseigentum, wie jene Klinik, einfach dem Verfall überlassen werden.

Den Willen, das Kollektiv nicht als Mieter anzuerkennen, empfinden dessen Mitglieder, wie etwa aus einer in diesem Jahr verfassten Erklärung hervorgeht, als Schikane.

Ist das Schicksal der Klinik weiterhin offen, so finden die vom Kollektiv angebotenen Veranstaltungen weiterhin statt.

In Berlin ist der Konflikt um die Rigaer Straße 94 eskaliert, in Göttingen wird die Besetzung des ehemaligen Gewerkschaftshauses sogar von Teilen des Stadtrats geachtet. Obwohl die Klinik in Prag von Stadt- und Staatsregierung keine Anerkennung bekommt, hat sie in diesem Jahr dennoch den prestigeträchtigen, seit 1987 jährlich von der Charta77-Stiftung verliehenen František Kriegl-Preis erhalten. František Kriegl hat seinerzeit Berühmtheit erlangt, da er als einziger hochrangiger Politiker, als der Prager Frühling jäh unterbunden wurde, das umstrittene "Moskauer Protokoll" nicht zu unterzeichnen bereit war.

Könnte Prag von einem solchen Zentrum, wie dem der besetzten Klinik am Ende sogar profitieren? Jakub. Mitglied des Klinika-Kollektivs, war bereit, 10 Fragen zur Klinik, den Auseinandersetzungen um sie und ihrem Verhältnis zu Stadt und Universität zu beantworten.

F.L.: Wie kam es dazu, dass in Prag eine ehemalige Klinik besetzt wurde?

J.: Ursprünglich war es eine von mehreren Aktionen des Kolektivs Obsaď a žij! (Besetz und lebe!). Dieses Kollektiv hat schon mehrmals einige Häuser in Prag demonstrativ besetzt, um z.B. auf die Spekulationen mit den Immobilien aufmerksam zu machen. Diese Versuche waren immer sehr kurz, die Polizei hat die Leute schnell geräumt.

Bei der Besetzung der ehemaligen Klinik, die schon seit fünf Jahren unbenutzt war, hat das Kollektiv die Strategie verändert. Es hat ein skizzenhaftes Projekt des autonomen sozialen Zentrums ausgearbeitet. Dieses Dokument wurde zu den wichtigen Institution (Staat, Stadt, Stadtbezirk) gesendet, zugleich wurde aber das Haus besetzt. So war die Offenheit zur Aushandlung singalisiert aber auch die Methode der direkten Aktionen genutzt. Nach dieser spannungsvollen aber erfolgreichen Kombination handelt das Kollektiv bis heute.

Die ganze Besetzung war auch mit einer großen Entrümpelungsaktion verbunden und auch das hat geholfen, das mediale Bild der „schmutzigen Squatters“ teilweise zu verändern. Der Bruch lag aber vor allem darin, dass die Polizei das Haus nicht sofort geräumt hat. In den ersten zehn Tagen wurde das Haus spontan geräumt und genauso spontan wurde das Programm organisiert. Es kamen viele Leute aus der Nachbarschaft und von außen und die öffentliche Unterstützung war überraschend groß und breit.

F.L.: In welchem politischen Klima kam es zu dieser Idee, können Sie das kurz beschreiben?

J.: Klinika war und ist wahrscheinlich der größte Erfolg der autonomen Linken in den letzten Jahren. Paradoxerweise ist in derselben Zeit der Anstieg der xenophoben und konservativen rechten Politik in der tschechischen Gesellschaft sehr spürbar. Paradoxerweise hat für manche Leute die Klinika eine so große Legitimität wie niemals zuvor, zugleich muss aber die Klinika den harten politischen und physischen Angriffen standhalten. Es ist symptomatisch, dass die Klinika die größte Anerkennung aber auch den größten Hass im Zusammenhang mit der Hilfe für die Flüchtlinge auf sich zieht.

F.L.: Die Stadt Prag ist nicht bereit, die Klinik zu vermieten. Was haben Sie bisher für ein Angebot gemacht und welchen Nutzen hätte die Vermietung an das Klinika Kollektiv für die Stadt?

J.:
Die Situation ist noch ein bisschen komplizierter. Das Haus gehört dem Staat und es war unter der Verwaltung eines konkreten Amts. Wir hatten ein Vertrag für ein Jahr, das Amt hat aber abgelehnt diesen zu verlängern. Wir haben das Haus nicht verlassen und jetzt verläuft ein Rechtsstreit.

F.L.: Welche Kooperationen gibt es mit der Universität? Es wurden schon Vorlesungen in der Klinik gehalten?

J.: Klinika ist eindeutig vor allem mit der linken autonomen Bewegung verbunden. Die Unterstützung ist aber breiter. Wir kooperieren mit manchen NGO´s und auch mit den Leuten aus der Universität. Es ist keine offizielle Verbindung, aber in Zeiten der Krise, als die Ausräumung drohte, haben manche Leute aus der Universität in Klinika regelmäßige Veranstaltungen gemacht, um ins Haus mehr Leute zu locken.

F.L.: Haben Sie Kontakte zu anderen alternativen Wohn- bzw. Kulturzentrums-Projekten?

J.:
In der tschechischen Republik gibt es kein so großes Projekt wie die Klinika, wir kennen aber fast alle Leute aus der linken Szene die ähnliche Projekte machen. Wir haben auch Kontakte im Außland.

F.L.: Wie beurteilen Sie die Auseinandersetzung um die Rigaer Str. 94 in Berlin?

J.:
Rigaer 94 hat unsere Unterstützung und wir haben auch eine kleine Solidemo vor der deutschen Botschaft gemacht. Die Riots sind etwas, das im tschechischen Umfeld nicht vorstellbar ist, und wir nutzen diese Strategien nicht.

F.L.: Sehen Sie die Gefahr, dass durch die Bündelung, besonders der progressiven Kräfte auf solche Zentren wie der Klinik, die alternative Szene zu stark zentralisiert wird? Wie wirkt die Klinik auch in die Gesellschaft hinein und welche Impulse werden von außen aufgenommen?

J.: Das ist eine sehr gute Frage. Es hat natürlich immer Vorteile und Nachteile. In diesem Fall bin ich aber überzeugt, dass die Existenz eines autonomen Zentrums wie die Klinika für die linke Szene enorm wichtig ist. Es ist eine Möglichkeit auch andere Projekte und Gruppen zu propagieren, es entstehen neue Kontakte, Kooperationen und ganz neue Erfahrungen. Für viele Leute, die vorher nicht so politisch profiliert waren war es auch eine Inspiration.

Das Kollektiv der Klinika ist jedenfalls verankert in der autonomen linken Szene, zugleich aber arbeiten wir auch mit vielen Leute aus dem liberalen Milieu oder aus apolitischen NGO´s. Auf der einen Seite können wir ihnen zeigen, wo die Grenzen der etablierten Institutionen sind, der liberalen Politik und der apolitischen Hilfe und bieten ihnen neue Formen des politischen Denken und Handelns an. Auf der anderen Seite bleiben wir nicht im politischen und kulturellen Ghetto und lernen, unsere Prinzipien neu und verständlich zu formulieren.

F.L.: Sehen Sie die Klinika auch als europäisches Projekt?

J.:
Diese Frage verstehe ich nicht ganz gut. Klinika ist ganz konkret lokalisiert, zugleich denken wir aber antinationalistisch und internationalistisch. Die meisten Kontakte, die wir haben sind in Europa, aber nicht nur und auch im Kollektiv gibt es Leute die z.B. aus den USA stammen.

F.L.: Gibt es in der Klinik eine Sommerpause?

J.:
Nein. Das Programm ist nicht so voll, und manche regelmäßige Sprachkurse fallen aus. Es gibt aber Aktionen für die Öffentlichkeit.

F.L.: Was wäre eine Vision für die Klinik für die nächsten fünf Jahre?

J.:
Erstmal ein fester Vertrag und dann eine soziale Revolution, damit wir in der Welt ohne solche Verträge lebe könnten.

F.L.: Herzlichen Dank für das Interview.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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