Vom Campus in die Berge

Film Im Januar vor 50 Jahren wurde das Yasuda-Auditorium der Tokyo Universität geräumt. Wakamatsu verfilmte die Geschichte einiger derer, die sich nun weiter radikalisierten

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Vor 50 Jahren, am 18. und 19. Januar 1969, kam es zur letzten großen Auseinandersetzung zwischen linken Studierenden und der Polizei zur Zeit der Studentenbewegung in Japan. Studierende der Medizin hatten aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen von Praktikanten das Yasuda-Auditorium der Tokyo Universität besetzt, die nun am Ende eines erbitterten Kräftemessens geräumt wurde.

Die Studentenbewegung in Japan innerhalb derer sich verschiedene linke Gruppierungen bildeten, die sich zum Teil auch gegenseitig bekämpften, speiste sich thematisch zuvor aus einer Ablehnung der Erneuerung des Vertrags über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, welcher bereits bei der Ratifizierung 1960 groß angelegten Protest auslöste. Außerdem spielten, wie auch andernorts zu jener Zeit, u.a. die Haltung zum Vietnamkrieg und schließlich auch solche universitären Probleme wie ein Skandal um 2000.000 veruntreute Yen an der Nihon Universität eine Rolle. Die Besetzung der Tokyo Universität wurde schließlich durch Gruppen wie der Todai Zenkyoto (Todai: Abkürzung für Tokyo Daigaku, also Tokyo Universität; Zenkyoto: Einheitsfront) in den Rahmen breiterer politischer Konflikte hineingetragen.

Alex Martin schreibt für die Japan Times in einem Beitrag über Hitomi Watanabe, damals die einzige Fotographin, welche Zugang hinter die Barrikaden der Tokyo Universität erhielt, dass nach dem Ende der Besetzung der linke studentische Aktivismus bald nachließ, unter anderem auf Grund neuer Gesetzgebungen. Diese gaben der Polizei etwa mehr Autorität bei der Niederschlagung von Universitäts-Protesten.

Kōji Wakamatsu (1936-2012) hat in dem 190-minütigen Film United Red Army aus dem Jahr 2007 die Geschichte eines Teils derjenigen erzählt, die sich in jener Phase des Abklingens der Studentenproteste weiter radikalisierten und sich schließlich dem mit Waffengewalt vollzogenen Umsturz verschrieben hatten.

Kōji Wakamatsu hatte zu jener Zeit, als Hitomi Watanabe, die ikonischen Aufnahmen der Studentenbewegung gelangen, bereits an zahlreichen Filmproduktionen mitgewirkt.

Viele Filme aus dessen früher Schaffenszeit sind den erotisch bis pornographisch geprägten auch oftmals mit keineswegs immer unproblematischen Gewaltfantasien etwa von sexualisierter Gewalt an Frauen durchdrängten Genres des Pink-Films zuzurechnen.

Die Pink-Filme passten in jene Zeit, in der politisches Statement, Provokation und künstlerische Experimentierfreude nur allzu fließend ineinander übergingen. Die Generation jener Filmemacherinnen und Filmemacher, haben sich von solchen klassischen Filmsprachen wie derjenigen Yasujirō Ozus bewusst abgewandt. Die Drehbücher wurden teils im Kollektiv geschrieben und es wurde auch mal an mehreren Filmen gleichzeitig gearbeitet. Den Soundtrack bildeten passend zum radikalen Schnitt und manchmal surrealen Plots, bei denen es sich beispielsweise um die obligatorischen erotischen Szenen herum angelegte Gangster-Geschichten handelte, nicht selten avantgardistischer Jazz. Es war ein Experimentierfeld für junge Filmemacherinnen und Filmemacher, da dieses Genre einen relativ großen Freiraum ließ.

Im Jahr 1969, das für die linke Studentenbewegung eine Wende darstellte, erschien Wakamatsus Film, „Running in Madness, Dying in Love“ mit einer Szene des Studenten-Protests. Ein Aktivist, mit dem ikonischen Helm auf dem Kopf, geriet in eine Auseinandersetzung mit der Polizei und auch mit seinem Bruder, der Polizist ist. Sein Bruder kommt in den Streitigkeiten, bei denen dann auch die Frau des Polizisten zugegen ist, um und eine wilde Flucht nimmt ihren Lauf.

Der studentische Aktivismus ist in United Red Army nun nicht in einen weitestgehend fiktiven Zusammenhang eingefügt, sondern der Beginn dieses Mal einer Geschichte, bei der es ebenfalls um Flucht aber auch um Radikalisierung, Unerbittlichkeit und äußerst grausame Vorkommnisse geht. Jene haben bei vielen damaligen Sympatisanten der neuen Linken, so beschreibt es William Andrews in seinem Buch Dissenting Japan (erschienen bei Hurst & Co., London 2016) einen regelrechten Schock ausgelöst, als sie an die Öffentlichkeit gerieten.

United Red Army ist weniger experimentell angelegt als die frühen Filme Wakamatsus und trägt die Handschrift eines gewissermaßen gereiften Filmemachers. Einen, der zu reflektieren bereit ist und selbstkritisch die Ambivalenz und dunklen Züge einiger Akteure der neuen Linken ungeschönt und schonungslos darstellt. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten und arbeitet u.a. mit Originalaufnahmen aus der Zeit und bedient sich eines dokumentarischen Stils wenngleich es sich um einen Spielfilm handelt.

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Im Vergleich dazu drehte er im Jahr 1971 zusammen mit Masao Adachi im Libanon eine tatsächliche Dokumentation über die japanische Rote Armee u.a. mit der echten Fusako Shigenobu. Doch dieses Mal, im Film von 2007, handelt es sich um einen Rückblick. Im Mittelpunkt steht das Schicksal einiger derjenigen Akteure, die zusammen die Vereinigte Rote Armee (Rengō Sekigun) bildeten. Zu jener wurden im Jahr 1971 von deren Kommandos die Roten Armee Fraktion (Sekigunha) und die Gruppe Japan Kommunistische Revolutionäre Linke Fraktion Kanagawa Präfektur Permanentes Komitee (Nihon Kyōsantō Kakumei Saha Kanagawa-ken Jōnin Iinkai) zusammengelegt. Fusako Shigenobu, die nun von der Schauspielerin Anri Ban gespielt wurde, hat einen kurzen Auftritt bis zu ihrem Abflug in den Nahen Osten, wo sie sich von der Roten Armee Fraktion losgesagt hatte und im echten Leben die Japanische Rote Armee (Nihon Sekigun) gründete.

Bald wird die Handlung für den Rest des Films nahezu komplett in die Berge verlegt, wo sich Mitglieder der Vereinigten Roten Armee einem militärischen Training unterziehen und mehrmals umziehen – aus Sorge, ansonsten von der Polizei gefunden zu werden.

In den Bergen dann beginnen die Führungspersönlichkeiten, Tsuneo Mori, gespielt von Go Jibiki und Akie Namiki als Hiroko Nagata allmählich ihre Macht, ihren Neid und ihre Brutalität auszuleben. Die Strafen, die Mitglieder als „Selbstkritik“ zu erdulden haben, so zeigt sich schnell, auch wenn die Phrasen, die dabei gedroschen werden, dies suggerieren, werden nicht auf Grund ideologischer, einem bestimmten System folgender Überlegungen verhängt, sondern immer willkürlicher. Schließlich dezimiert sich die Gruppe dabei selbst. Geradezu herzzerreißend ist dann jeweils der Kontrast der anfänglichen Begeisterung bei der ersten Beteiligung bei Protesten, der bei einigen Figuren nochmals eigens gezeigt wird.

Für manche ZuschauerInnen mag es an Zumutung grenzen, wie detaillreich und wie ausgedehnt die schrecklichen Szenen gezeigt werden. Getragen ist der gesamte Film von einer besonderen atmosphärischen Dichte, einer Spannung, die so fesselt, dass man durchaus geneigt sein kann, die Brutalitäten zu ertragen, da man in einen fesselnden Sog mit hineingezogen wurde. Unterstützt wird diese atmosphärische Dichte durch den brillanten Soundtrack von Jim O‘Rourke und der Konzentration auf eine bestimmte Anzahl an Personen und Orten. Es entsteht gewissermaßen eine Intimität und manch ein Zuschauer mag sich später dabei erwischen, wie in den letzten Momenten des Films, in denen ein Showdown mit der Polizei zu sehen ist, mit denjenigen, die die Säuberungen innerhalb der Gruppe und all die Strapazen nun überlebt haben, mitzufiebern beginnt. Die Polizei findet die klein gewordene Gruppe in einem Haus in den Bergen, das sie besetzen, um bis zum Ende gegen die Ordnungskräfte zu kämpfen.

Es ist nicht nur ein Film um Macht, zerstörerische zwischenmenschliche Beziehungen und eine auf Grund von Resignation sich radikalisierenden Aktivisten. Es ist auch ein Film über Eifersucht und Freundschaft, um Handlungsoptionen inmitten auswegloser Situationen und gescheiterte Träume. Er ist auch ein Stück weit Katharsis und ohne Frage ein Epos.

Wer im Nachklang an die Erinnerung an 68 nun auch der Beendung der Besetzung des Yasuda-Auditoriums der Tokyo Universität 69 und dem Abklingen des Massen-Protests gedenken möchte, ist gut beraten, auch die Abwege, wie die der Vereinigten Roten Armee, die seitdem ihren Lauf nahmen, nicht auszuklammern. Der linke Filmemacher Koji Wakamatsu hat uns die Gelegenheit gegeben, wenn es die Stärke der eigenen Nerven erlaubt, bei einem nunmehr auf DVD verfügbaren Kinoereignis Anregungen dafür zu finden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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