Von einer sozialen Nicht-Bewegung

Flüchtlingsdebatte Auch wenn Rechte Kräfte und das erneut verschärfte Asylrecht darauf abzielen dies zu unterbinden, sind Menschen die in Europa Schutz suchen gesellschaftliche Akteure.

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Über Flüchtlinge wird dieser Tage viel debattiert, sei es in den traditionellen Medien oder im Internet. Vielfach wird dabei angesichts der zahlreichen Gewalttaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte und die aggressive Stimmung auch neuerer rechter Bewegungen a lá Pegida das Internet und die sozialen Medien als eine Art Akkumulator von Gewalt betrachtet. Es geht um den Hass im Netz, der dort so quantitativ wie qualitativ bedrohliche Ausmaße erreicht hat, dass dies die Hemmschwelle zur Gewalt in der Realität niedriger werden ließe, so eine weitverbreitete Tendenz.

Doch das Internet, welches angeblich durch die dort vorhandene Anonymität jene Hemmschwelle besonders niedrig ansetzt, bietet diese Anonymität gar nicht in Gänze, außerdem findet die Debatte,wie eingangs erwähnt, ja auch außerhalb des Netzes statt. Auch jenseits der Medien.

Es ist ja geradezu erstaunlich, wie stark politisiert die Öffentlichkeit plötzlich ist. Überall wird diskutiert, in der Bahn, im Imbiss, ja auch in der Sauna tauschen Menschen ihre Ansichten über die Flüchtlingskrise aus. Nicht alle Beteiligten sind nun dem rechten Lager zuzuschreiben, auch wenn jenes heutzutage wieder sehr lautstark und ungehemmt in Erscheinung tritt. Doch Hass, der sich im Netz niederschlägt, ist auch bei solchen beiläufigen, alltäglichen Gesprächen herauszuhören. Die Gemüter sind mehr als nur erhitzt.

Gerne wird von der Rolle der sozialen Medien in politischen Prozessen berichtet, wie auch während des Arabischen Frühlings 2011 geschehen. Vielleicht, weil es hierzulande noch eine Weile braucht, bis die Menschen sich an diese Kommunikationsmöglichkeiten gewöhnt haben. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen jedenfalls die Rechten auch ohne Facebook und Twitter aus, um Hass zu verbreiten und sich gegenseitig in diesem zu bestätigen.

Ein Merkmal des Internets, nämlich die Geschwindigkeit, mit dessen Hilfe Informationen verbreitet werden können, scheint allerdings dennoch den Rechten Bewegungen in die Hände zu spielen. So ermöglicht die Schnelligkeit, mit der es täglich neue Berichte über Flüchtlinge gibt, dass die größeren Zusammenhänge aus dem Blick geraten, Unsicherheit entsteht und es viele Anknüpfungspunkte für Gerüchte gibt. Andererseits haben Zeitungen und das Fernsehen auch ihren Anteil daran.

Bei den vielen Diskussionen im Alltag meint jeder und jede, Experte zu sein und zu wissen, wie man mit Flüchtlingen umgehen sollte. Es gibt zwar eine große Bereitschaft, Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu unterstützen, andererseits hat das Ausmaß der Gewalt gegen jene eine Dimension angenommen, die unsere Demokratie mehr als nur herausfordert. So müssen auch die Rhetorik und die Ermunterungen Angela Merkels, die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen, so verstanden werden, dass sie natürlich nicht ignorieren kann, dass ein zu großes Entgegenkommen gegenüber den Rechten, deren Taten und deren demokratiefeindliche Ideologie auch noch zusätzlich legitimieren würde.

Gleichzeitig ist hinsichtlich der im Gegensatz zu anderen führenden Politikern deutlich positiven Rolle Angela Merkels nicht zu vergessen, dass nun wieder einmal Asylrechtsverschärfungen unter ihrer Kanzlerinnenschaft durchgesetzt wurden. Letztendlich soll die aktuelle Stimmung auf diesem Wege wohl beruhigt werden.

Pegida und anderen ist die Politik der Bundesregierung dennoch viel zu lasch, andersherum hat sogar Thomas de Maizière Pegidas Gefährdungspotential öffentlich anerkannt.

Dass sich in Deutschland eine solche rechte Bewegung etablieren konnte ist ja auf europäischer Ebene kein Einzelfall. In Frankreich haben wir es mit einem starken Front National zu tun, in Polen wurde eine rechtskonservative Regierung gewählt, Viktor Orban regiert in Ungarn. Linke Regierungen hingegen haben innerhalb Europas einen äußerst schweren Stand, wie das Beispiel Griechenlands zeigt.

Es wäre an dieser Stelle einmal zu fragen, ob die Idee der Europäischen Integration eigentlich noch aufrecht erhalten werden kann oder sich hier auf Grund des nach wie vor vorherrschenden Nationalismus in Kombination einer Priorisierung der Wirtschaftsleistung vor anderen Werten die EU bald eine Revolution von rechts erleben könnte.

In Deutschland spielen für die heutige Stärke der rechten Bewegungen sicherlich unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Die ungebrochene unreflektierte Islamfeindlichkeit erweist sich hier wie anderswo als wirksamer und über unterschiedliche soziale Schichten hinweg verbindender Integrationsfaktor. Die rechten Bewegungen mögen zwar auch durch soziale Ungleichgewichte an Zulauf gewinnen, aber gerade die Agitation gegen Flüchtlinge enttarnt den rechten Aufstand als Aufstand der Privilegierten. Dass auch hier und dort Feministinnen auf islamfeindliche Deutungsmuster zurückgreifen, ist insofern nicht sonderlich erstaunlich, partizipieren sie ja doch auf diese Weise an den Privilegien der weißen, was die Machtverhältnisse angeht männlich dominierten- nicht muslimischen - deutschen Mehrheitsgesellschaft.

Wer bei all den Auseinandersetzungen in der Flüchtlingsdebatte allerdings nur selten und nur am Rande zu Wort kommt, sind jene, die selbst geflüchtet sind. Hier und da wird zwar ihre Geschichte gezeigt oder beschrieben, aber als politische und partizipierende Akteurinnen und Akteure werden sie meist nicht wahrgenommen.

Wenn nun hier einmal mehr anstatt mit Flüchtlingen über Flüchtlinge gesprochen wird mit dem Hinweis darauf, dass das, sofern dies der einzige Modus bliebe, zu ihrer Nicht-Beteiligung beitragen würde, so soll dies hier einmal mit Zuhilfenahme der etwa durch Asef Bayat geprägten soziologischen Kategorie der Nicht-Bewegung geschehen. Bayat hat in dem auf Deutsch bei Assoziation A erschienenen Band "Leben als Politik: Wie ganz normale Leute den nahen Osten verändern" die Straßen-Politik in Staaten des Nahen Ostens betrachtet. Er hat dabei das Augenmerk auf den Alltag gelegt und auf jene Menschen, die nicht so organisiert sind, wie eine etablierte politische Bewegung, die aber auf Grund der alltäglichen Durchsetzung ihrer Interessen das politische Geschehen prägen. Dies sind z.B. Menschen ohne Wohnung,Arme, die um ihr Überleben kämpfen, Jugendliche, die für das Recht auf Jugend eintreten, Frauen, MigrantInnen.

So kann für Europa gesagt werden, dass die rechten Bewegungen aktuell - und dies mit aller Brutalität sich gegen die soziale Nicht-Bewegung der Menschen auf der Flucht stellen.

Jene, die dieser Nicht-Bewegung zuzurechnen sind, verfolgen einerseits im Einzelfall differenzierte Interessen, jedoch vereint sie unter anderem, dass sie vor dem Tod fliehen, sich also für das Leben entschieden haben. Es wird unter ihnen Menschen geben, die aus politischen Gründen geflohen sind, also von denen wir vielleicht etwas über den Wert unserer bisher noch bestehenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung lernen können.

Es sind zum Teil Menschen, die mit enorm viel know-how und Fertigkeiten der bisher in Deutschland lebenden Bevölkerung bei technologischen Herausforderungen und Arbeitsprozessen unterstützen können und auch ein Stück mehr Heterogenität in unsere Gesellschaft bringen. Es sind Menschen, die uns dazu herausfordern über Kultur als im Fluss befindliches Phänomen zu reflektieren und uns befähigen, im Prozess der Globalisierung nicht im Provinzialismus zu verbleiben.

Es sind Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind, also nicht selbst aktiv zu den Waffen gegriffen haben. Sicherlich sind es Menschen, die unsere Hilfe brauchen.
Und sicherlich ist dies, da es in dieser Hinsicht in den letzten Jahren etliche Versäumnisse gegebenhat, einschließlich der mangelnden Verfügung von sozial verträglichem Wohnraum, nicht ohne Anstrengung zu vollziehen.

Es sind aber vor allem Menschen, die kommen, die Fahrten über das Meer in Kauf nehmen, die mit Schleusern kooperieren, die sich mit Schwierigkeiten, die unser Asylrecht ihnen bietet, stellen. Und unter jenen, die abgeschoben werden, wird es jene geben, die erneut kommen. Menschen, die ihre Rechte im Alltag durchsetzen oder dies versuchen, wo etwa unsere Gesetzgebung es ihnen verunmöglicht. Wenn also eine Asylrechtsverschärfung eine angebliche Befriedung der deutschen Bevölkerung bringen soll, so hilft sie nicht, die Fragen zu beantworten, die alteingesessene EuropäerInnen durch die Nicht-Bewegung der Menschen auf der Flucht gestellt bekommen, hilft sie nicht dabei, die von ihnen vorgebrachten Probleme zu lösen, hilft sie ganz und gar nicht, Menschenrechte zu fördern.

Da die aktuellen Konfliktherde nicht sobald erlöschen werden, auch wenn man sie, so wie etwa zum Teil Afghanistan, formal als sicher bezeichnet, um eine Rechtsgrundlage zu haben, dorthin abschieben zu können, wird jene Nicht-Bewegung uns auch weiter daran erinnern, dass es Kriege gibt, die auch mit deutschen Interessen etwas zu tun haben, dass Europa einst die Menschenrechte hervorgebracht hat, die es selbst an so mancher Stelle geneigt ist, mit Füßen zu treten. Europas Linke tun um der Demokratie, um freiheitlicher Werte sowie um des Pazifismus gut daran, sich mit jener Nicht-Bewegung zu verbünden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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