Seehofer macht Ernst

Bayern Die CSU-Landesregierung will es Balkan-Flüchtlingen so schwer wie möglich machen und schafft Zentren zur Schnellabschiebung
Ausgabe 32/2015
Bayerische Gastfreundschaft
Bayerische Gastfreundschaft

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Keine zehn Kilometer entfernt von Horst Seehofers Wohnhaus wird seine Rhetorik Realität: In die Max-Immelmann-Kaserne in Manching bei Ingolstadt ziehen ab September die ersten von rund 500 Balkan-Flüchtlingen ein. Die Flüchtlingsunterkunft wird zur Sammelstelle für Asylbewerber „mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit“. Das Ziel: Asylanträge sollen in diesen Balkan-Zentren innerhalb kurzer Zeit gesammelt und bearbeitet – heißt: abgelehnt – werden.

Seit Monaten verschärft die CSU ihre Linie gegen Asylbewerber aus Serbien, Mazedonien, Albanien und dem Kosovo. „Massenhaften Asylmissbrauch“ werfen die Politiker den Menschen vom Balkan vor. Horst Seehofer kündigte an, er wolle es diesen Flüchtlingen in Bayern so unangenehm machen wie möglich. Staatliche Hilfen sollen auf die „Minimalversorgung“ heruntergefahren, Arbeitserlaubnisse verweigert, Taschengeld gestrichen und Lebensmittel statt Geld ausgegeben werden. Schließlich seien Menschen aus diesen Ländern nicht politisch verfolgt, sondern nur arm. Aber stimmt das? Schon jetzt werfen NGOs dem Bundesamt für Migration vor, Balkan-Flüchtlinge pauschal abzulehnen und das Recht auf Asyl nicht genau zu prüfen.

Rund ein Drittel der Asylanträge in Deutschland stellen in den letzten Monaten Menschen vom Balkan. Ihre Chance, anerkannt zu werden, tendiert gegen null. Wiederum ein Drittel dieser Balkan-Flüchtlinge sind Roma, das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Roma sind in allen Balkanländern von wirtschaftlicher, politischer und sozialer Teilhabe weitgehend abgeschnitten. Es gibt für sie weder Jobs, höhere Bildung noch Gesundheitsvorsorge. „Sie gehören zu den am stärksten diskriminierten Minderheiten Europas“, erklärt die Roma-Selbstorganisation Amaro Foro.

In die neuen Zentren sollen die Balkan-Flüchtlinge direkt nach der Erstaufnahme gebracht werden. Hier stellen sie ihre Asylanträge. Richter und Sachbearbeiter entscheiden vor Ort, innerhalb „weniger Wochen“, wie Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) hofft. Vor drei Jahren schwärmte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) von einem Verfahren nach Schweizer Vorbild: Antrag, Bescheid, Abschiebung – alles in 48 Stunden.

Rhetorik mit Nebenwirkung

Viele bezweifeln, ob bei einem Asylverfahren im Schnelldurchlauf von wenigen Wochen überhaupt eine ernsthafte Prüfung möglich ist. „Bayern will Balkan-Flüchtlinge in diesen Abschiebelagern unterbringen, um sie von der Gesellschaft fernzuhalten und zu isolieren. Ohne Zugang zu rechtlicher Beratung werden sie in Fließbandverfahren mit Ablehnungsvordrucken abgefertigt und außer Landes geschafft“, kritisiert Alexander Thal vom Bayrischen Flüchtlingsrat. Dabei gibt es durchaus Gründe, auch Asylanträge vom Balkan genau zu prüfen: Mazedonien wird immer mehr zu einer Autokratie samt politischer Willkür. Flüchtlingsorganisationen berichten davon, wie Menschen bei der Ausreise an der mazedonischen Grenze die Pässe abgenommen werden. Auch im Kosovo, Albanien und Bosnien-Herzegowina taumelt der Rechtsstaat. Besonders die Roma leiden. „Wenn etwa Roma keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Bildung, medizinischer Versorgung haben, ihre Siedlungen zwangsgeräumt werden und das alles im Zusammenwirken massive Folgen hat, dann kann dies kumulative Verfolgung im Sinne des Asylrechts darstellen“, erklärt die Organisation Pro Asyl.

Massenhafter Asylmissbrauch? Die Schweiz zum Beispiel sieht genug Gründe, Balkan-Flüchtlingen Asyl zu gewähren: Die Anerkennungsquoten liegen je nach Herkunftsland zwischen 3,7 und 5,3 Prozent und damit deutlich über den Anerkennungszahlen in der Bundesrepublik, wo weniger als ein Prozent der Bewerber Schutz bekommen. Belgien nahm 4,7 Prozent der gestellten Asylanträge von Menschen aus Serbien an – in Deutschland hingegen gilt der Staat als „sicheres Herkunftsland“.

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg will nun die bayrische Idee der Balkan-Zentren aufgreifen. Allerdings ist für die Bearbeitung der Asylanträge – und damit auch für die Dauer – das Bundesamt für Migration zuständig und keine Landesregierung.

Das stört den bayrischen Ministerpräsidenten jedoch wenig, solang er medienwirksam Flüchtlinge abschrecken kann. Seehofers Rhetorik birgt allerdings ernste Nebenwirkungen. Vom neuen Balkan-Zentrum in der Max-Immelmann-Kaserne bis nach Reichertshofen sind es neun Kilometer. Dort brannten Unbekannte vor drei Wochen eine geplante Asylbewerberunterkunft nieder.

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