Praktische Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Hartz IV-Sanktionen!
Anmerkung: Es ist nicht zu erwarten, dass die Jobcenter freiwillig rechtswidrige Sanktionsbescheide abändern werden.
Das hat zum einen fiskalische Gründe wie zum Beispiel: Hoher Arbeits - und Überprüfungsaufwand. Den Jobcenter entgehen nämlich mit den nachträglich zu zahlenden Leistungen eigene Kapazitäten für den internen finanziellen "Verschiebebahnhof".
Zum anderen baut die Bundesagentur und ihre Jobcenter nach wie vor darauf, dass sich nur wenige gegen die Sanktionspraxis wehren und die gesamtgesellschaftliche Wirkung des Sanktionsregimes erhalten bleiben soll / muss.
Die Strategie, auf Kosten der Ärmsten zu sparen, wird sich auch in Zukunft nicht ändern.
Perry Feth
Rechtliche Einschätzung / Zusammenfassung der Fachanwältin Monika Blum
Hintergrund
Mit Urteil vom 05.11.2019, 1 BvL 7/16, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Sanktionsregelungen des § 31a Abs. 1 SGB II teilweise verfassungswidrig sind.
Unter Rn 220ff. hat das Bundesverfassungsgericht Übergangsregelungen geschaffen, die das allgemeine Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X verdrängen.
Welche praktischen Auswirkungen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Sanktionen mit einer Kürzung von mehr als 30 % sind verfassungswidrig.
Zu unterscheiden sind verschiedene Fallgestaltungen:
1. Der Sanktionszeitraum liegt in der Vergangenheit, es wurde kein Widerspruch/Klage erhoben
Es verbleibt bei der Sanktion. Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ist nicht möglich.
2. Der Sanktionszeitraum dauert noch an, die Widerspruchsfrist ist abgelaufen, es wurde kein Widerspruch erhoben
Ab dem Datum der Urteilsverkündung am 05.11.2019 ist die Kürzung auf 30 % der Regelleistung zu vermindern. Hierzu muss ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X durch den Leistungsempfänger gestellt werden.
3. Der Sanktionszeitraum dauert noch an, die Widerspruchsfrist ist noch nicht abgelaufen
Es sollte unverzüglich Widerspruch erhoben werden. Eine „automatische“ Korrektur durch das Jobcenter findet nicht statt.
4. Der Sanktionszeitraum liegt in der Vergangenheit, es wurde Widerspruch bzw. Klage erhoben und das Widerspruchs-/Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen:
In diesen Sachverhalten wird die Kürzung auch für die Vergangenheit auf 30 % beschränkt. Die zuviel gekürzten Leistungen werden an den Leistungsempfänger ausgezahlt.
Sanktionen für unter 25-jährige und Sanktionen bei Meldeversäumnissen
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht nur über die Sanktionsregelung in § 31a Abs. 1 entschieden hat, so können die grundsätzlichen Ausführungen im Urteil auch auf die anderen Sanktionstatbestände übertragen werden.
Auch Sanktionen für unter 25-jährige Leistungsempfänger von mehr als 30 % dürften verfassungswidrig sein.
Auch die Zusammenrechnung von Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen, die zu einer Kürzung von zeitgleich mehr als 30 % führen, dürften verfassungswidrig sein.
Zwingend notwendig ist, dass innerhalb der Frist Widerspruch und ggf. anschließend Klage erhoben wird. Nur so kann die Verfassungswidrigkeit der Regelung geltend gemacht werden. Wird kein Widerspruch erhoben, kann voraussichtlich für rückwirkende Zeiträume die Verfassungswidrigkeit nicht geltend gemacht werden.
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