Eigentlich sollte man sich als Betroffener ja über die mediale Präsenz des Themas Bildungsstreik freuen. Endlich wird berichtet, über den Ausdruck des Unmutes, den Studierende in ganz Europa verspüren.
Dennoch, viel rumgekommen ist dabei bisher nicht.
Was also ist los in Deutschland und Europa?
Hat nicht unsere werte Frau Kanzlerin Merkel noch, anläßlich des 60. Jahrestages des GG, in ihrer Festrede beteuert: "Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle“ und die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen? Das sie mit ihren Schühchen nicht in die Fußstapfen von Erhard oder Scheidemann passt, nur mal nebenbei. Aber was bedeuten diese großen Worte vor dem Hintergrund der seit 10 Jahren scheiternden Bologna-Reform? Sind es Worte, die ihr in geistiger Umnachtung entsprudeln? Oder steckt doch mehr dahinter?
Ich glaube, dahinter steckt eine Definition von Wohlstand, denn das ist ja das von Frau Merkel definierte Ziel zu dem man durch Bildung gelangen soll, die vor gut 150 Jahren von einem anderen großen Namen auf eine interessante Art dargestellt wurde wie ich finde:
"Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, daß ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, daß eine bestimmte Klasse von ihrer besonderen Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, daß die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also z.B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann."
Besonders hervorzuheben, wäre hierbei die Vorraussetzung die Karl Marx beschreibt.
Klar, jetzt heißt es vermutlich gleich wieder "Ah, die Neo 68er linken Spinner Ideologen und faulenzenden Sozialromantikerstudenten." Ganz aktuell ähnlich geäußert von Frau Wintermantel. Das diese Argumentation unsinnig ist, bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung, aber ich will dennoch präventiv noch auf zwei weitere große Namen verweisen, die sich eindeutig NICHT im linken Spektrum verorten lassen: Habermas und Dahrendorf, die schon vor Jahrzehnten die zunehmende Ökonomisierung der Universitäten bzw Bildung allgemein kritisiert haben. Von Humboldts Ideal brauchen wir gar nicht erst anfangen...
Klar ist aber auch, dass diese perfide Selektionsmaschinerie nur einem Zweck dienen kann: Dem Klientel von Frau Merkel und Gleichgesinnten genüge zu tun.
Es werden keine kritischen, selbstdenkenden, kreativen Köpfe mehr verlangt (sei denn, jene auserkorenen, auserwählten, dauergeförderten und längst indoktrinierten baldigen Erben des Systems), sondern nur noch verwertbares Humankapital, möglichst horizontbeschränkt und kleingeistig um dem Konsumkult inklusive stetigem 2% unendlich Wachstum aufrecht zu erhalten.
"In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland, ist nichts wichtiger als die Bildung unserer Kinder." Wie herzzereißend. Das dieser Satz die ausformulierte Version von dem prägnanteren Gegenstück "Bildung = Humankapital = Ware." bedeutet erschließt sich nicht jedem auf den ersten Blick, das ist auch so gewollt.
Genauso wird dieses "Humankapital" (in sich schon ein hässlicher Begriff) auch verheizt, wie Gas, Öl und andere "Rohstoffe".
Solange die Zustände so sind wie sie sind, bleiben die Chöre der Studenten, die das Lied der freien Bildung singen in der richtigen Tonlage. Sie dürften doch gerne noch lauter erklingen.
Kommentare 2
Ich bin angesichts dieser im EU-Gehorsam bravdumpf im Irrsinn versinkenden deutschen Universitätslandschaft heute, verdammt froh, daß ich mein Diplomstudium vor über zwanzig Jahren machen durfte, mit intensiven Studien von Marx und Hegel. Diese helfen heute jeden Tag weiter - und führen zu Depressionen, neben der herbei geredeten "Krise", auch wegen der grenzenlosen Dummheit sogenannter "Bildungspolitiker" und Funktionäre und ihrer kritik- und ebenso grenzenlosen Führer-sorry-gestrichen-EU-Gläubigkeit.
GW
Gratulation zu deinem Glück. Ich will ja auch gar nicht dem großelterlichen Weisheiten verfallen im tenor "Früher war alles besser..", aber es gibt eben doch gesellschaftliche Werte und Errungenschaften, die es zu bewahren lohnt.
Ich habe meinerseits das große Glück, bei dem was ich noch frei wählen konnte innerhalb meiner Vorgaben, auch ein Seminar erwischt zu haben (über ein kompliziertes Listen-/Losverfahren, anderen erging es nicht so gut wie mir) indem wir die beiden von ihnen angesprochenen Denker unter anderem behandeln.
Es ist schon beinahe absurd wie oft man, während man sich mit verschiedenen Werken dieser Autoren auseinandersetzt, auf Sätze trifft, die zur heutigen Zustandsbeschreibung beinahe gänzlich übernommen werden können.
Tucholsky ist so ein Name, der mir dabei grade noch einfällt: "Drücke die Schwachen - aber schwenke die Fahnen! Bestrafe die Kranken - aber liebe den Präsidentensitz! Schände die Heimat - aber achte den Staat!"
Als haette ers gewusst: Hartz 4 - Deutsch ins Grundgesetz! Gesundheitsreform/Kopfpauschale - Köhlerische Weihnachtsansprachen! Krieg in Afghanistan - ... tja dazu fällt mir jetzt spontan keine Analogie ein.