Der Idiot an der Macht

Serie „The Great“ nimmt es mit historischen Fakten absichtlich nicht so genau
Ausgabe 26/2020
Elle Fanning (l.) und Sacha Dhawan in „The Great“
Elle Fanning (l.) und Sacha Dhawan in „The Great“

Foto: Imago Images/Prod.DB

Die Enttäuschung kommt schnell: Voller Vorfreude steigt die Prinzessin von Anhalt-Zerbst (Elle Fanning) im Januar 1744 in eine Kutsche, die sie nach Russland bringen wird, wo sie mit Zar Peter III. vermählt werden soll. Doch der erweist sich bald als narzisstischer Dummkopf. Sie selbst ist lediglich als Lieferantin eines männlichen Nachkommen vorgesehen. Dies ist der Ausgangspunkt des neuen Zehnteilers The Great, der als eine Art von seriellem Bildungsroman den Aufstieg der preußischen Adelstochter zur russischen Kaiserin flott in satirischem Ton inszeniert.

Es ist ratsam, sich nicht so genau an den Schulunterricht zu erinnern oder jedenfalls einen souveränen, verspielten Umgang mit historischen Fakten zu pflegen, um diese poppige Kostümkomödie über weibliches Empowerment mit all seinen Anachronismen zu genießen. Von den Machern augenzwinkernd als „eine gelegentlich wahre Geschichte“ betitelt, werden hier für einen (bisweilen sehr guten) Witz je nach dramatischem Gusto leichthändig Daten, Figuren und zeitlicher Kontext wild durcheinandergewirbelt.

Katharina ist eine ehrgeizige, wenn auch noch arg naive Adelstochter (in Wahrheit war sie zur Hochzeit erst 16 Jahre alt), die wie eine Katalogbestellung in den Osten geschickt wird. Doch sie wird unterschätzt, gewaltig. Vom Zaren ebenso wie seinen Beratern, dem orthodoxen Priester und den anderen Hofschranzen. Ihr Gatte ist ein zwischen Größenwahn und Selbstzweifeln wankendes Riesenbaby. Staatsgeschäfte führt er nach dem Lustprinzip und ohne störende Detailkenntnisse. Katharina dagegen liest Voltaire und andere Philosophen der Aufklärung und träumt davon, mit deren Idealen Russland zu erleuchten. Mehr als einmal verstößt sie gegen die höfische Etikette und bekommt schmerzhaft zu spüren, wie fragil ihre Position ist. Bei einem auf präziseste Haltung bedachten und scheinbar grazil choreografierten, umso brutaler exekutierten Menuett mit den Hofdamen holt sie sich buchstäblich eine blutige Nase.

Temporeich, scharfzüngig

All das ist opulent, temporeich und mit scharfzüngigen Dialogen inszeniert und bis in die Nebenrollen exzellent besetzt. In der Entscheidung, konsequent mit den Augen des 21. Jahrhunderts auf das 18. zu blicken, liegt eine Irritation, die dem Stoff einen interessanten, schillernden Kontrast verleiht. Das eigentliche Problem der Serie sind eher ihre unverkennbaren Parallelen zu einem anderen satirischen Filmporträt einer historischen Monarchin, Yorgos Lanthimos’ The Favourite, über die englische Königin Anne (1665 – 1714), das letztes Jahr unter anderem mit dem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. Dieses stammt aus der Feder des Australiers Tony McNamara, der nun auch The Great schuf. Augenscheinlich ist die Verwandtschaft von Film und Serie auch durch den Zaren-Darsteller Nicholas Hoult, der bereits in The Favourite einen idiotischen Adligen mit lächerlich pompöser Perücke spielte. In The Great hat er weit mehr Raum, seine Figur nicht bloß als inkompetenten Deppen zu zeigen, sondern ihr, wenn nicht unbedingt Würde, so doch ein wenig Empathie zu verleihen.

Herausragend ist Hauptdarstellerin Elle Fanning in der Rolle der Katharina, die schon bald ein Komplott zur Beseitigung des inkompetenten Ehemanns spinnt. Den Staatsstreich plant sie mit ihrem Liebhaber Leo (Sebastian de Souza), ihrer Kammerzofe Marial (Phoebe Fox), ihrem progressiven Berater Orlo (nach dem realen Vorbild Grigori Orlow, gespielt von Sacha Dhawan) und einem alkoholkranken General (Douglas Hodge). Kann das gut gehen? Auf den historischen Rekurs ist hier bei aller Fabulierfreiheit kein Verlass.

Dass am russischen Hof konsequent britisches Englisch gesprochen wird (das sich die Amerikanerin Elle Fanning mehr oder weniger erfolgreich antrainiert hat): geschenkt. Die Debatte um Authentizität und was Populärkultur bei historischer Aneignung darf, ist seit jeher ermüdend; und US-Filmemacherin Sophia Coppola hatte bereits 2006 bei ihrem ganz ähnlichen Ansatz in Marie Antoinette, wo Kirsten Dunst als Pop-Queen mit hochtoupierter Frisur und Manolo-Blahnik-Schuhen zum Postpunk- und Electro-Soundtrack durch Versailles stakste, klargemacht: „anything goes“, solange es fetzt. Auch The Great interpretiert eine historische Figur aus der Perspektive der Gegenwart und unterscheidet sich damit vielleicht gar nicht so sehr vom deutschsprachigen Regietheater, das Klassiker von Shakespeare über Goethe bis Molière immer wieder ins Jetzt transportiert. Die Details mögen nicht stimmen, doch mit dem Beziehungsgeflecht der Figuren und den Machtstrukturen lassen sich durchaus heutige Verhältnisse reflektieren.

So kurzweilig die Intrigen und Ränkespiele in The Great auch sind, fehlt doch das letzte Quäntchen an satirischer Schärfe und bösartig-perverser Verschrobenheit, das Lanthimos’ Film ausmacht. Die Serie deshalb bloß als harmlosere Variante einer bekannten Masche abzutun, täte ihr jedoch unrecht, denn nicht zuletzt feiert sie Katharina als erstaunlich moderne, präfeministische Ikone, die nicht der Macht per se wegen intrigiert, sondern weil sie Reformen und gesellschaftlichen Fortschritt will. Wo The Favourite vom Fall und Verfall erzählt, handelt The Great vom Aufstieg. Dekadent, schmutzig und wunderbar intrigant geht es hier wie da zu.

Info

The Great Tony McNamara 10 Folgen, ab 26.6. auf Starzplay

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Geschrieben von

Thomas Abeltshauser

Freier Autor und Filmjournalist

Thomas Abeltshauser

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