Der kulturelle Graben zwischen Amerika und Deutschland ist offenbar tief. Diesen Eindruck haben die Männer hinter dem Pharmakonzern Purdue, wenn es nach der Miniserie Dopesick geht. Sie erzählt die Genese der durch das Schmerzmittel OxyContin ausgelösten Opioid-Epidemie in den USA nach. Diese soll seit Mitte der neunziger Jahre rund eine halbe Million Todesopfer gefordert haben. Während in den USA seinerzeit unter fadenscheinigen Begründungen eine neue Ära der Schmerzbehandlung ausgerufen wurde, beißt sich der Konzern bei der Expansion nach Deutschland die Zähne aus. Die Zulassung des angeblich harmlosen Opioids, das in den USA seit 1996 erhältlich war und dort dank hilfswilliger Ärzte selbst bei kleinsten Wehwehchen verschrieben wurde, wird von den deutschen Behörden abgelehnt.
Das sei ein kulturelles Ding, die Deutschen leiden lieber, meint dazu einer der Purdue-Strippenzieher lapidar. In den USA ist OxyContin da schon das erfolgreichste Schmerzmittel seiner Art, dank aggressiver Werbekampagne, wonach das Opioid nur bei einem Prozent der Konsument:innen zu einem Suchtverhalten führen könne. Die Aussage basiert auf einer Studie, die gar nicht existiert: Die Veröffentlichung in einem renommierten Fachmagazin erweist sich als fünfzeiliger Leserbrief eines praktizierenden Arztes, der darin Eindrücke aus seinem Klinikalltag skizziert. Da ist das Medikament bereits seit Jahren im Umlauf.
Wer skeptisch ist, dem wird mangelnde Empathie vorgeworfen, Schmerz wird zum „fünften Vitalzeichen“ erklärt, der nun bei ärztlichen Untersuchungen ebenso „geprüft“ wird wie Blutdruck, Herzschlaf, Atmung und Körpertemperatur. Mit einem perfiden System aus Lügen (Fake-Studien und gekaufte Experten), Belohnung (Pharmavertreter bekommen Boni für höher dosierte Einheiten, Ärzte werden zu Fortbildungen in Luxusresorts eingeladen) und Einschüchterungen (Apotheken wird mit Klagen gedroht, falls sie wegen Überfällen kein OxyContin mehr führen wollen) entsteht so ein landesweites Vertriebsnetz.
Dopesick ist ein Enthüllungsthriller über den milliardenschweren Drogenhandel, nur dass das Kartell hier nicht im Dunkeln operiert, sondern seinen Stoff mit offizieller Zulassung durch Hausärzte und Apotheken distribuiert, damit ganze Landstriche in die Sucht treibt und für jährlich Tausende Drogentote sorgt.
Die Serie schildert diese Welle auf mehreren Ebenen, basierend auf Beth Macys Sachbuch von 2018, für das die Journalistin mit Hunderten Opfern und Hinterbliebenen der Opioid-Krise gesprochen hat. Zwischen diversen Zeiten von 1986 bis 2021 wechselnd, rollt Dopesick in acht einstündigen Episoden auf, wie Purdue Pharma mit einer perfiden Strategie aus dem Opioid einen Blockbuster machte.
Die Spielhandlung verbindet die internen Querelen der Sackler-Familie mit den Anstrengungen der DEA-Ermittler um Rick Mountcastle (Peter Sarsgaard) und John Hoogenakker (Randy Ramseyer) mit dem Alltag in einem Bergarbeiterort in Virginia, wo der ansässige Arzt Dr. Samuel Finnix (Michael Keaton) die zahlreichen Verletzungen der Bevölkerung behandelt und zunächst sehr zurückhaltend auf die Versprechen des jungen Pharmareferenten Billy Cutler (Will Poulter) und seines Wundermittels reagiert. Durch einen Unfall rutscht er selbst in die Abhängigkeit.
Skrupelloser Pharmakonzern
Es ist eine der Stärken von Dopesick, wie die Serie mit langem Atem schildert, wie das Schmerzmittel langsam in diese wirtschaftlich abgehängte Kleinstadt sickert und immer weitere Kreise zieht. Doch die Zweifel an der legalen Betäubung wachsen. Jugendliche besorgen sich den Stoff auf dem Schwarzmarkt, die Beschaffungskriminalität steigt. Purdue kauft schließlich einen Lobbyisten ein, der mit seiner steilen These der „Pseudoabhängigkeit“, wonach Sucht nur Ausdruck des nicht adäquat behandelten Schmerzes ist, der mit höherer Dosierung eliminiert werden kann, das passende Narrativ gegen die wachsenden Zweifel an OxyContin liefert. So werden im Laufe der acht Folgen die Winkelzüge immer abstruser. Doch die Macher um Creator Danny Strong und die drei anderen Regisseure, darunter Barry Levinson (Rain Man), inszenieren die Handlungsstränge mit ihren gut recherchierten Hintergründen subtil und fesselnd. Es ist eine Geschichte über Gier und Machbarkeitswahn, menschenverachtende Ausbeutung und über die menschliche Neigung zu vermeintlich einfachen Lösungen.
Das Thema Schmerz zieht sich dabei durch alle Schichten, vom körperlichen Ruin der Minenarbeiter über Finnex’ Trauer nach dem Krebstod seiner Frau bis letztlich zu Richard Sackler (Michael Stuhlbarg) als egomanischem Außenseiter der Familie, der verbissen versucht, sich durch den Erfolg seiner Wunderdroge zu legitimieren, und tatsächlich glaubt, damit der ganzen Menschheit einen Dienst zu erweisen.
Gegen große Widerstände wird der Konzern schließlich 2007 zu 600 Millionen verurteilt, einer der höchsten Strafen der Branche. Doch es ist nur eine Schlacht, die gewonnen ist, wie die Ermittler am Ende bitter bilanzieren, der Krieg gegen Drogenhandel geht weiter. Die letzten Worte gehören Dr. Finnix, der nach dem eigenen Entzug anderen dabei hilft, Schmerz nicht zu betäuben, sondern als Teil des Lebens zu akzeptieren, und daraus zu lernen, um achtsamer mit sich und anderen umzugehen. Das freilich ist nicht ganz so einfach wie Pillen einzuwerfen.
Dopesick Danny Strong USA 2021, 8 Folgen, Disney+
Kommentare 5
Es ist zum Kopf schuetteln, mit der Insolvenz von Purdue Pharma ist die Familie Sackler nicht mehr juristisch zu belangen. Gewiss, Sie verlieren um die $ 10 Milliarden, konnten jedoch in den letzten Jahren noch ausreichend Werte ( es werden um die $ 4 Milliarden vermutet ) bunkern und muessen vor allem kein Gefaengnis fuerchten. Da kann der Strassendealer, dem in den USA fuer Kokain oder Heroinverkauf bis zu 20 Jahren Gefaengnis drohen, nur neidisch dreinschauen.
Seit dem Beginn der Krise Mitte der 90er bis heuten starben ca. 450.000 Amerikaner an Opiaten und Purdue machte ca. $ 35 Milliarden Umsatz. Die geschaetzten $ 14 Milliarden Vermoegen der Familie Sackler wurde zum Grossteil in dieser Zeit generiert.
Doch Purdue Pharma hatte das Geschaeftsmodell erweitert. Es lieferte nicht nur die Opiat Pillen, welche von Ihnen als nicht abhaengig machend beworben wurde, sondern hielt auch das Patent am passenden Entzugsmittel fuer die ueberlebenden Abhaengigen. Erst wird das Geld damit gemacht, die Leute abhaengig zu machen, um dann mit dem Entzugmedikament noch mehr Kohle zu machen. Einn rundum erfolgreiches Geschaeftsmodell also.
Wer das fuer zynisch haelt, der muss fuer das Verhalten der Familie Sackler wohl neue Begriffe finden, denn die Familie ist sich keiner Schuld bewusst, weiss nicht, was sie haetten anders machen koennen und aeusserten keine Entschuldigung
"Are the Sacklers sorry? Doesn't seem like it. The bankruptcy judge Robert Drain, noting they wouldn't have to admit wrongdoing in the settlement, said, "a forced apology is not really an apology, so we will have to live without one."During congressional testimony in December of 2020, the former Purdue Pharma board member Kathe Sackler said she had no regrets."There's nothing I can find that I would have done differently," she said. ".
Krankheit, Verletzung bedeuten Schmerzen. Sie können vorübergehen. Bei genetischen Erkrankungen nicht. Die meisten Medikamente haben Nebenwirkungen. Bei Suchtgefahr kann man nur dosiert einsetzen. Sagt jemand, der wegen eines Gendefekts die Hälfte des Lebens geradezu irrsinnige Schmerzen haben wird.
In Fällen von vorgeblich staatlich organisiertem Drogenhandel marschiert der Ami doch sonst eigentlich gern in fremde Länder ein, wie z.B. in Panama...
Die Deutschen leiden lieber,
titelt der Beitrag. Stimmt so nicht. Tatsächlich steckt die Schmerztherapie in Deutschland in den Kinderschuhen. Erst in den letzten 10 Jahren sind in den Universitäten die Studiengänge entsprechend eingeführt worden. Für millionen chronisch Kranke gibt es zuwenig Schmerztherapien. Es fehlt an gut ausgebildeten Anästhesisten und Mittel für die Medikamentenforschung.
Gängige Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen werden leichtfertig rezeptfrei in Apotheken ausgegeben und verursachen verheerende gesellschaftliche Schäden welche den Sozialkassen zur Last fallen.
Ein Indianer:In kennt keinen Schmerz, diesen Schmarrn hat man seit dem Krieg Betroffenen eingetrichtert. Dabei weiss man heute wie schädlich chronischer Schmerz sich auf Gesundheit auswirkt. Schmerz darf nicht zu lange akut werden, sonst sind die Folgen nicht mehr beherrschbar.
Land of the free:
Arzt und Pharma sind dort Drogendealer und jeder Zahnarzt verabreicht auch einer 16jährigen ein opiodhaltiges Schmerzmittel. Kein Mensch soll leiden, für alles gibt es Pillen. Diese Illusion sollte sich nicht auf Deutschland übertragen. Denn im Zuge der Impfomanie oder Impfhysterie stehen wir ja bereits an der Schwelle, dass dem deutschen Gesundheitsmarkt bald US-amerikanische Verhältnisse aufgepfropft werden. Die Wall Street ist glücklich darüber, the bazar is declared for open!
Germoney:
Umso wertvoller ist hierzulande das neue Gesetz welches 2017 in Kraft getreten ist. Heute können hunderttausende an chronischen Schmerzen Leidende mit medizinischen Marihuana behandelt werden ohne dass jemand wegen Nebenwirkungen Leiden muss oder zu Schaden kommt. Es hat verdammt lange gebraucht in diesem Land, bis sich rumgesprochen hat, dass Karl May ein Lügner war und Indianer auch Schmerzen empfinden.
lg
Ich kenne diese Serie nicht, habe nur den Artikel dazu gelesen und vermute, dass auch der Filmautor mit der Verarbeitung dieses Themas nicht an mögliche Folgen seines Tuns gedacht hat: Diese Serie in der aktuellen gesellschaftlichen Situation ist die berühmte "Faust auf's Auge" ...