Die Stille vor dem Schluss

Film In „Supernova“ will ein Demenzkranker die Kontrolle behalten. Bei aller Melancholie hat der Roadmovie auch etwas Tröstliches
Ausgabe 41/2021
Colin Firth (l.) und Stanley Tucci in „Supernova“
Colin Firth (l.) und Stanley Tucci in „Supernova“

Foto: Prod.DB/IMAGO

Tusker (Stanley Tucci) kennt sich aus im Universum, er kann die Milchstraße lokalisieren und erklären, was eine Supernova ist. Und wie einer dieser gewaltigen Sterne, die am Ende ihres Lebens noch einmal kurz hell leuchten, hat auch Tusker lichte Momente, in denen alles ganz klar ist. Dann wieder verliert er die Orientierung, wenn er nur kurz aus dem Wagen steigt, und verläuft sich heillos. Tusker leidet an Demenz, der Verfall ist unaufhaltsam und er längst auf die Hilfe seines Mannes Sam (Colin Firth) angewiesen.

Nun sind sie mit ihrem alten Camper unterwegs durch das hügelige Grün Englands, ein Roadtrip mit einem Ziel, das für beide nicht dasselbe ist, aber das ist Sam da noch nicht klar. Sam ist ein gefeierter Pianist, war aber seit Jahren nicht mehr auf der Bühne, auch aus Sorge um Tusker. Nun steht ein Auftritt an, und auf dem Weg dorthin wollen sie Station machen bei Sams Schwester Lilly (Pippa Haywood) und ihrer Familie. Dort soll es eine Party geben, die Tusker und Lilly heimlich geplant haben, mit alten Freunden. Ein freudiges Ereignis, das durch eine zufällige Entdeckung zerrüttet wird: Als Sam, allein im Wohnmobil, die Holzschatulle mit dem Romanmanuskript öffnet, an dem Tusker seit Jahren schreibt – Sams große Hoffnung, dass es um seinen Mann doch nicht so schlimm bestellt ist, ohne dass er je etwas davon zu lesen bekommen hat –, blättert er in den handschriftlichen Notizen, die von Seite zu Seite unleserlicher werden und schließlich ganz abbrechen. Daneben ein Fläschchen Phenobarbital und eine Diktierkassette mit Tuskers Abschiedsworten.

Ganz langsam und leise erzählt Regisseur und Drehbuchautor Harry Macqueen von dieser Beziehung, die durch Tuskers Krankheit bedroht ist, von Sams unbedingtem Willen, alles für das Wohlbefinden seines Mannes zu tun. Dass ein schwules Paar im Zentrum der Geschichte steht, wird dagegen nicht weiter thematisiert, Tusker ist wie selbstverständlich geliebter Teil von Sams Familie und Freundeskreis. Macqueen interessiert vielmehr, was die Demenz zwischenmenschlich anrichtet, wie sie dem Lebenspartner den Boden unter den Füßen wegzieht und er stoisch versucht, das Gleichgewicht zu halten, einen Alltag zu leben, der immer unwägbarer wird. Und wie der Erkrankte mit allen Mitteln versucht, die Kontrolle über sein Leben zu behalten, solange er noch kann.

So inszeniert der Film auch nicht so sehr das Fortschreiten eines Verfalls, es sind nur kleine Gesten, die Stanley Tucci subtil verkörpert, ein Glas, für das er müde die zweite Hand braucht, um es zum Mund zu führen, oder ein Wort, das ihm nicht einfällt. Tusker ist das schmerzhaft bewusst, und er überspielt es immer wieder mit sarkastischem Witz, der noch nicht im Nebel der Krankheit versunken ist. Colin Firth dagegen moduliert als Mann, der sich fast bis zur Selbstaufgabe um seinen sterbenden Geliebten kümmert, zwischen intimer Fürsorge und aufgestauter Wut, versteckt hinter englischer Zurückhaltung.

Das Zusammenspiel der beiden, seit Jahren privat befreundet, ihre geerdete und nie ausgestellte Art der Vertrautheit machen den Film so besonders. Bei aller Melancholie hat er etwas Tröstliches, jeder Augenblick wird im Angesicht des Unausweichlichen zu einer Erinnerung. Und immer wieder gibt es Momente, die in ihrer feinen Wucht die Kehle zuschnüren, ohne ins Sentimentale abzugleiten, wenn etwa Lilly einmal zu Tusker sagt: „Du bist immer du, immer noch der, in den sich Sam damals verliebt hat“, und er entgegnet: „Nein, bin ich nicht. Ich sehe nur aus wie er.“ Er hat einen Entschluss gefasst, um Sam das langsame Entschwinden zu ersparen, weil man nicht um jemanden trauern müssen soll, während er noch da ist. Tusker will lieber mit einem kurzen Aufleuchten gehen. Und wie eine Supernova: in aller Stille.

Info

Supernova Harry Macqueen Großbritannien 2020, 95 Minuten

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Geschrieben von

Thomas Abeltshauser

Freier Autor und Filmjournalist

Thomas Abeltshauser

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