Ein ehrlicher Umgang mit Sucht

Serien Thomas Abeltshauser fühlt sich in der Gesellschaft der Heldinnen von „Feel Good“ wohl. Spoiler-Anteil: 11%
Ausgabe 17/2020

„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, versuchte uns 1973 schon Jürgen Marcus weiszumachen und vergaß dabei ganz schlagerbetrunken zu erwähnen, dass man sein altes Selbst mit all den Neurosen und Verletzungen dabei nicht einfach abstreifen kann, sondern immer mitzuschleppen hat. Das muss auch Mae (Mae Martin) erkennen, in der nur halb ironisch betitelten Netflix-Serie Feel Good. Die Anfang Dreißigjährige laviert sich mühsam durch die Folgen eines jahrelangen und übermäßigen Kokainkonsums. Für Selbsthilfegruppen wie die „Narcotics Anonymous“ fühlt sie sich eigentlich zu stabil und entzugsgestählt, die unzähligen Drinks nachts im Comedy Club, wo sie vor einer eher unterbegeisterten Handvoll von Leuten aus ihrem Alltag erzählt, hält sie für keinen relevanten Aspekt ihres Suchtproblems. Ihr Verhältnis zu ihrer gefühlskalt-biestigen Mutter (Lisa Kudrow) beschränkt sich auf peinlich-umständliche Skype-Telefonate, bei denen sie konsequent aneinander vorbeireden. Einen festen Wohnsitz hat Mae in London derzeit auch nicht. Läuft also alles nicht ganz so rund in Maes Leben.

Und dann sitzt da eines Abends die junge George (Charlotte Ritchie) im Publikum und lacht beherzt über Maes Scherze. Die junge Lehrerin findet die neurotische, androgyne Comedy-Frau wirklich witzig. Und bald auch sehr attraktiv – und das, obwohl George bislang nur mit Männern zusammen war und, als sie zu daten beginnen und Mae bei ihr einzieht, panisch vermeidet, dass ihre Freunde, Familie und Lehrerkollegen etwas davon mitbekommen. So haben beide, Mae und George, ihre Päckchen zu tragen. Und früher oder später fallen ihnen die auf die Füße, immer und immer wieder. Und das auf diese unnachahmliche tragikomische Art, bei der Humor zugleich wehtut und befreit.

Selbstzerfleischung

Diese Mae heißt nicht ohne Grund wie ihre Darstellerin und Erfinderin der Serie, Mae Martin, eine aus Kanada stammende und in Großbritannien lebende Komikerin, die zuvor bereits in ihrem Stand-up-Programm Dope und einem Netflix-Special ihre Suchterfahrung sehr offen thematisiert hat. Die 32-Jährige reiht sich damit in ein Sitcom-Subgenre ein, dessen Macher mehr oder weniger verfremdete und überzeichnete Versionen ihrer selbst verkörpern wie Larry David in Curb Your Enthusiasm, der in Ungnade gefallenen Louis CK in Louis oder jüngst Abby McEnany in Work in Progress. Eine Veteranin dieser Form der ebenso unterhaltsamen wie aufschlussreichen Selbstzerfleischung taucht hier in einer nicht unwichtigen Nebenrolle auf: TV-Star Lisa Kudrow inszenierte sich nach dem Ende der Hit-Sitcom Friends, in der sie als dauerfröhlich-naive Phoebe regelmäßig für genervtes Augenrollen ihrer Clique sorgte, anschließend in zwei sensationellen Staffeln in der HBO-Produktion The Comeback. Dort schlüpfte Kudrow in die Rolle der überkandidelten TV-Schauspielern Valerie Cherish, die, selbst auf dem Abstellgleis, sich erfolglos an einem Comeback mittels Reality-TV versuchte. Kudrow benannte dabei die von ihr geschriebene und gespielte Fremdschäm-Queen nach ihrem eigenen zweiten Vornamen Valerie, und es war ein Heidenspaß, sich an deren Selbstüberschätzung und Ignoranz zu ergötzen und dabei zu spekulieren, wie viel Schöpferin und Kunstfigur wohl gemeinsam haben.

Auch Feel Good lebt von dieser Gratwanderung. Souverän hantiert Martin mit dem Wechsel zwischen Maes Alltag und ihren Stand-up-Auftritten und wirkt bei beidem glaubhaft in ihrem Hadern mit Suchtdruck und Selbstzweifeln, Intimität und Vertrauen. Dass da nicht jede Nebenfigur mithalten kann und eher unterkomplex bleibt wie Georges phlegmatisch-übergriffiger Mitbewohner oder Maes stark verhaltensauffällige Selbsthilfe-Sponsorin: geschenkt. Was die Serie neben allem Witz, der den Verdrießlichkeiten des Lebens abgerungen wird, so sehenswert macht, ist die ehrliche Auseinandersetzung mit Sucht, ihren Ursachen und Konsequenzen, die hier eine sehr spezifische und persönliche ist, aber auf viele andere Formen übertragbar scheint. Ähnlich wie die Sitcom Mom, die von einer Gruppe trockener Alkoholikerinnen und ihren regelmäßigen Meetings erzählt, zeigt Feel Good mit leichtem Tonfall Charaktere, deren Suchtdruck durch Situationen getriggert wird, die sie an ihr früheres Konsumverhalten erinnern. Maes Ringen damit hat etwas durchaus Tröstendes. Umso mehr in diesen Krisentagen, in denen psychischer Druck Suchtkranke besonders gefährdet und physischer Kontakt oft nicht möglich ist. Viele Selbsthilfegruppen treffen sich mittlerweile online in Videochats. Auch da hatte im Übrigen Lisa Kudrow bereits 2008 die Nase vorn, als sie in der Comedyserie Web Therapy eine Therapeutin spielte, die ihre Sitzungen kurzerhand ins Internet verlegte und auf fünf Minuten verkürzte, weil die Klienten sonst zu viel Zeit für „Irrelevantes“ hätten.

Von derlei Fisimatenten ist Feel Good zum Glück weit entfernt. Denn am Ende ist die Serie auch, und das ist keine Kleinigkeit, eine sehr unpeinlich, oft geradezu bezaubernd erzählte Liebesgeschichte zweier humorbegabter, empathischer Frauen, die sich ihrer Neurosen bewusst sind und relativ entspannt mit ihnen umgehen. Ihre Gesellschaft fühlt sich im Laufe der sechs kurzweiligen Folgen nicht immer einfach, aber sehr gut an.

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