Filmfestspiele geglückt!

Festival Es wurde sogar geraucht! Ein voller Erfolg war diese allererste Sommerberlinale aber aus anderen Gründen
Ausgabe 24/2021

Nun ist sie also doch noch geglückt, die Berlinale mit ihrer Sommerausgabe fürs Publikum. Pandemiebedingt als reine Freiluftveranstaltung zwar in stark reduziertem Umfang, aber das Wetter spielte mit. Da kamen bei manchen gleich Cannes-Vergleiche auf, dem ewigen Konkurrenten an der Côte d’Azur im Rennen um die Relevanz der großen A-Festivals in Europa. Von Kalauern zum Fremdschämen („Berlin kann Cannes“, „Côte Berlin“) abgesehen, wäre ein Blick nach Locarno richtiger gewesen. Nicht beim Branchentreff Cannes, sondern dort, im schweizerischen Tessin, wird jeden August auf der Piazza Grande allabendlich Kino unterm Sternenhimmel fürs große Publikum gemacht. Von dort stammt auch der Künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, er hat Erfahrung mit dem Balanceakt zwischen Anspruch und Unterhaltung fürs große Publikum. Bei der Eröffnung erinnerte er in charmantem Deutsch an den Zauber des gemeinsamen Filmerlebnisses.

Keine Partys oder Empfänge, kein Frieren im eisigen Februarwind am Potsdamer Platz, kein morgendliches Anstehen um Tickets. Stattdessen Sommerflair unterm Sternenhimmel, luftige Klamotten und Liegestühle, es wurde sogar geraucht. Die Stimmung dieser Tage war gelöst, es war eine Erleichterung zu spüren. Und es war ein wichtiges Zeichen für die Kinobranche, die sich mit Corona in der größten Krise ihrer Geschichte befindet. Am 1. Juli sollen die Filmtheater bundesweit wieder eröffnen, auch mit zahlreichen Berlinale-Filmen.

Trotz Freiluft gab es jedoch nur Sitzplätze auf Abstand, die bereits abgespeckte Filmauswahl vom März wurde nochmals dezimiert, die Anzahl der Vorstellungen war schon deswegen begrenzt, weil es wegen der langen Helligkeit meist erst weit nach 22 Uhr losgehen konnte. 16 Freiluftkinos im ganzen Stadtgebiet zeigten 126 Filme aus 56 Ländern. Mit rund 60.000 Tickets stand nur etwa ein Fünftel des üblichen Kontingents zur Verfügung, entsprechend heiß begehrt waren sie im Onlinevorverkauf, die meisten Screenings waren in kürzester Zeit ausverkauft.

Die Preisträger sind seit der virtuellen Berlinale im März bekannt (der Freitag 10/2021), als bereits vier der sechs Jury-Mitglieder vor Ort sichteten. Der Iraner Mohammad Rasoulof befindet sich noch immer unter Hausarrest. Sein israelischer Kollege Nadav Lapid, 2019 Berlinale-Gewinner für Synonyme, konnte nun einreisen. Er nutzte den Auftritt gleich als Appell: „Kino sollte auf der großen Leinwand gesehen werden, und vielleicht können wir es jetzt wieder mehr wertschätzen, nachdem wir so lange darauf verzichten mussten.“

So wurden die Preise auch nicht zum großen Finale, sondern in der Mitte des Festivals verliehen, auf der Museumsinsel, wo im Garten vor der Alten Nationalgalerie ein temporäres Freiluftkino eingerichtet worden war. Und, weil es da ja keine Überraschung mehr gab, konnten sie vorab auf einem Tisch betrachtet werden, auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller ließ sich mit ihnen knipsen und twitterte das Foto noch vor der Verleihung.

Menschen mit Bären

Tatsächlich kamen nun auch die meisten Preisträger nach Berlin, nur Hong Sang-soo aus Südkorea konnte den Drehbuchpreis für Introduction nicht persönlich entgegennehmen, und auch Denis Côté war nicht anwesend für den Regiepreis der Encounters-Sektion, der ex aequo an seinen Film Social Hygiene und die skurrile Komödie Das Mädchen und die Spinne des Schweizer Regieduos Ramon und Silvan Zürcher ging.

Eine sichtlich nervöse Maren Eggert nahm den Preis für die beste Schauspielleistung in Maria Schraders Science-Fiction-Romantikomödie Ich bin dein Mensch entgegen. Maria Speth erhielt den Preis der Jury für ihre Langzeitdoku Herr Bachmann und seine Klasse über einen engagierten Lehrer an einer hessischen Gesamtschule. Nur zwei Beispiele eines starken deutschen Filmjahrgangs, zu dem auch Dominik Grafs brillante Erich-Kästner-Verfilmung Fabian gehörte. Den Goldenen Bären nahm schließlich der rumänische Filmemacher Radu Jude für seine wilde Gesellschaftssatire Bad Luck Banging or Looney Porn entgegen. Am roten Teppich sagte er über die Auszeichnung: „Abgesehen davon, dass es mir ein bisschen peinlich ist, weil ich nicht denke, dass ich eine solche Ehre verdiene, hoffe ich auch, dass er hilft, dass viele Menschen den Film sehen werden.“

Ein Höhepunkt der sich immer auch als politisches Festival definierenden Berlinale war sicherlich die Premiere des Dokumentarfilms Courage von Aliaksei Paluyan, eine Nahaufnahme der Protestbewegung in Belarus gegen Machthaber Alexander Lukaschenko. Auf der Bühne erinnerte der Regisseur an die politischen Verfolgten und Gefangenen, „eine Flugstunde von Berlin entfernt“, und forderte das Publikum auf, die Fotografien der Inhaftierten hochzuhalten. Hunderte folgen dem Aufruf.

Die 1979 geborene Alice Diop, deren Eltern aus dem Senegal stammen, erhielt für ihren Banlieue-Dokumentarfilm Nous gleich zwei Preise und widmete ihn denen, die sonst unsichtbar bleiben. Und die junge ungarische Schauspielerin Lilla Kizlinger, ausgezeichnet für ihren Auftritt in Bence Fliegaufs Forest – I See You Everywhere, erinnerte an die Filmhochschule in Budapest, deren Autonomie von der Regierung Orbán ausgehebelt wurde. Für den wohl emotionalsten Moment des Abends sorgte der ungarische Regisseur Dénes Nagy, der den Regiepreis für Natural Light entgegennahm und die Auszeichnung seinem strengsten Kritiker widmete, dem eigenen Vater.

Ein Preis steht nun noch aus. Da die Zuschauer*innen bei der virtuellen Berlinale im März außen vor waren, wurde für diesen Ausnahmejahrgang eigens ein Publikumspreis für den Wettbewerb eingerichtet. Die Besucher*innen konnten über ihren Favoriten abstimmen, der Gewinnerfilm wird am kommenden Sonntag, dem letzten Festivaltag, noch einmal gezeigt.

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