„Geht nur illegal“

Interview Roberto Saviano und Stefano Sollima zeigen in „ZeroZeroZero“ den Drogenhandel als Mutter der Globalisierung
Ausgabe 15/2020

Die Mafia lässt ihn nicht los: Nach Gomorrha und Der Clan der Kinder widmete sich Roberto Saviano in der Mammutrecherche ZeroZeroZero dem globalen Kokainhandel, indem er das komplexe Netzwerk aus Produktion, Vertrieb und Konsum beschreibt. Aus dem Bestseller hat er nun zusammen mit dem Regisseur Stefano Sollima einen aufwendig produzierten Achtteiler realisiert, der die weltweiten Vertriebswege der Organisierten Kriminalität von Amerika über Afrika bis Europa beleuchtet. Anhand dreier Handlungsstränge von italienischer Mafia über korrupte Soldaten in Mexiko bis zu bieder agierenden skrupellosen Geschäftsleuten in den USA illustriert die Serie die illegalen Rohstoff- und Geldströme.

der Freitag: In Ihrer Serie „ZeroZeroZero“ zeichnen Sie das Bild des internationalen Kokainhandels, der die globale Wirtschaft am Laufen hält. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?

Stefano Sollima: Basierend auf meinen Erfahrungen und Robertos Recherchen für sein Buch ist diese Aussage alles andere als überzogen. Der Drogenhandel, vor allem Kokain, hat immensen Einfluss auf die Weltwirtschaft. Und damit auf unser aller Leben, auch wenn man selbst nicht konsumiert, kauft oder verkauft.

Roberto Saviano: Schauen Sie sich die Umsatzzahlen an: Der weltweite Handel mit illegalen Substanzen lässt sich da durchaus mit der Ölindustrie vergleichen. Alleine die Wertsteigerung, die ein Kilo Kokain im Laufe seines Vertriebswegs erfährt, ist gigantisch. Im Produktionsland Kolumbien wird es für 1.500 US-Dollar verkauft, in Mexiko kostet es dann zwischen 5.000 und 15.000, in den Vereinigten Staaten bereits 50.000 Dollar und in Großbritannien wird es dann für etwa 70.000 angeboten.

Zu den Personen

Roberto Saviano, geboren 1979 in Neapel, lebt seit dem Erscheinen seines Anti-Mafia-Buchs Gomorrha 2006 unter Polizeischutz

Stefano Sollima, geboren 1966 in Rom, machte sich international als Regisseur von Suburra (2015) und Sicario 2 (2018) einen Namen

Würde denn eine Legalisierung daran etwas ändern?

Sollima: Es ändert letztlich am Grundproblem nichts. Die enormen Erlöse aus dem Drogengeschäft sind ein wichtiger Motor der Ökonomien vieler Länder weltweit. Es würde für unberechenbare Disruptionen sorgen, sollte der Handel legalisiert werden.

Saviano: Das ist eine interessante Überlegung. Nehmen wir an, Sie haben ein Kilogramm reinstes Kokain, von der Qualität Zero Zero Zero, das ergibt 3.000 Gramm Handelsware und lässt sich leicht auf vier Kilo strecken. Auf der Straße kann man es dann für rund 300.000 Euro verkaufen. Wäre diese Gewinnmaximierung auf legale Weise möglich? Wohl kaum.

Herr Saviano, die Serie basiert auf Ihrer Bestsellerreportage „Wie Kokain die Welt beherrscht“. Wie macht man aus einer journalistischen Materialsammlung eine Dramaserie?

Saviano: Ich war mir ziemlich sicher, dass Stefano Sollima dafür der Richtige ist. Er hat ein großes Gespür für Kriminalgeschichten, weil er sich sehr intensiv mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzt und tief eintaucht in diese Welten. Und er weiß für jede dieser Geschichten die passende Filmsprache zu entwickeln, von den Darstellern bis zu den Locations und den Stimmungen, die sie transportieren.

Sollima: Es funktioniert hier so gut, weil wir als Grundlage die beispiellosen Investigationen von Roberto haben. Den Kern und die Seele dieses Werks wollten wir so exakt wie möglich erhalten. Diese Perspektive unterscheidet sich grundlegend von anderen Filmen und Serien zum Thema, wie etwa Narcos. Wir mussten natürlich einige Personen verfremden, aber es ist wichtig, einen Überblick dieser Welt zu zeigen. Wir erzählen nicht chronologisch, sondern springen in der Zeit vor und zurück. Und wir zeigen verschiedene Blickwinkel, was die Orientierung erschwert, aber das komplexe Netzwerk adäquater widerspiegelt.

Sie haben die acht Episoden von drei verschiedenen Regisseuren inszenieren lassen. Sie selbst haben die ersten beiden Folgen beigesteuert, die anderen stammen von Pablo Trapero und Janus Metz. Warum die Aufteilung?

Sollima: Auch das hat mit den verschiedenen Blickwinkeln zu tun. Die Idee war, das globale Netzwerk zu betrachten und die Handlung zwischen Nordamerika, Mexiko, Senegal, Marokko und Kalabrien hin und her zu wechseln. Dazu haben wir uns gegen das übliche Showrunner-Prinzip entschieden und zwei Filmemacher mit einer präzisen Vision und einer klaren Handschrift ausgewählt. Sie hatten volle Autonomie bei ihren Episoden, das war uns sehr wichtig.

Herr Saviano, Sie haben sich mit Ihren Enthüllungen über die Mafia viele Feinde gemacht, sind auf Polizeischutz angewiesen. Haben Sie jemals erwogen, über etwas anderes zu schreiben?

Saviano: Nein, es ist einfach meine Obsession, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, und Stefano geht es da ganz ähnlich. Ich glaube, dass ich so im Laufe der Jahre einen Zugang bekommen habe, der es mir ermöglicht, etwas über einzelne Fälle hinaus sichtbar zu machen, eine tiefere Wahrheit über die italienische Gesellschaft. Das ist für mich fast wie ein Zwang. Wenn ich in eine Stadt komme, die ich noch nicht gut kenne, muss ich immer gleich herausfinden, welche Kartelle hier die Kontrolle haben, wer hier wirklich das Sagen hat. Wer teilt sich das Prostitutionsgeschäft, wer den Drogenhandel, wer sind die Geldverleiher. Erst wenn ich das weiß, kann ich mich in Ruhe den Sehenswürdigkeiten, Museen und Restaurants widmen.

Info

ZeroZeroZero Italien/USA 2020 Serie in 8 Teilen; Sky Atlantic

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Geschrieben von

Thomas Abeltshauser

Freier Autor und Filmjournalist

Thomas Abeltshauser

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