Leicht ist schwer

Film Detlev Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ aalt sich in der Opulenz vergangener Zeiten
Ausgabe 35/2021

Eine Begegnung in einem Restaurant im Paris des Jahres 1900, die zufällig wirkt, aber geschickt herbeigeführt wurde: Der Marquis Louis de Venosta (David Kross), Sohn aus wohlhabendem Adelsgeschlecht, erwartet die junge Zaza (Liv Lisa Fries), in die er verliebt ist, zur Aussprache. Sein Vater will ihn alleine auf Weltreise schicken, weil er gegen die Liaison ist. Statt der Liebsten entdeckt Venosta an einem Tisch den jungen Mann, den er als Pagen aus seinem Nobelhotel kennt. Er stellt sich als Felix Krull (Jannis Niewöhner) vor und verwickelt den Marquis in ein Gespräch, in dem er ihm seinen Werdegang und seine Abenteuer schildert, mehr oder weniger wahrheitsgetreu. Denn Krull, ein Emporkömmling und Hochstapler, will sein Gegenüber zu einem Tausch überreden: Er hat es darauf abgesehen, an dessen Stelle auf die üppig finanzierte Reise um den Globus zu gehen. Was Venosta nicht ahnt: Zaza ist auch mit Krull intim, die Begegnung und ihr Fernbleiben ein abgekartetes Spiel.

Es ist eine von mehreren Freiheiten, die sich Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, die Neuverfilmung des satirischen Romans von Thomas Mann aus dem Jahr 1954, nimmt. Wo im Roman ein inzwischen 40-jähriger und zurückgezogen lebender Krull sein Leben Revue passieren lässt, bauen Regisseur Detlev Buck und sein Co-Autor Daniel Kehlmann die Rückblenden um dieses lange Tischgespräch mit dem Marquis.

Bereits zweimal ist der Roman von Thomas Mann verfilmt worden: 1957 als opulentes Nachkriegs-Starkino unter der Regie von Kurt Hoffmann mit Horst Buchholz in der Titelrolle, und erneut 1982 als gewagterer Fernsehmehrteiler mit dem heute ziemlich in Vergessenheit geratenen britischen Schauspieler John Moulder-Brown. Die nunmehr dritte Adaption kehrt ästhetisch eher zur Strategie der fünfziger Jahre zurück: gediegenes Ausstattungskino ohne Experimente.

Das Drehbuch verfasste Buck gemeinsam mit Erfolgsautor Daniel Kehlmann, dessen Bestseller Die Vermessung der Welt er zuvor ebenfalls inszeniert hatte. Kehlmann scheint prädestiniert, er ist ausgewiesener Thomas-Mann-Kenner und hat 2017 mit Tyll selbst einen Schelmenroman vorgelegt. Und auch sein Drehbuch zu Daniel Brühls Nabelschau Nebenan, der derzeit noch in manchen Kinos läuft, setzt auf gewitzte Wortgefechte.

Der Marquis bleibt hölzern

Bei Felix Krull gehen Buck und Kehlmann relativ frei mit der Vorlage um, auch wenn sie etliche der typisch Mann’schen Bonmots eins zu eins übernehmen. Den Figuren lassen sie bisweilen zu wenige Kanten und Spitzen, vor allem Krull selbst wird viel vom eiskalten Narzissmus genommen, der ihn doch auszeichnet. Am deutlichsten wird das beim militärischen Eignungstest: Im Roman wird Krull ausgemustert, nachdem er einen epileptischen Anfall vorgetäuscht hat. Der Felix Krull von 2021 mag ein Hochstapler sein, politisch unkorrekt ist er nicht – im Film gaukelt er vor, durch den Selbstmord seines Vaters traumatisiert und selbst nun übersteigerter Kriegsfanatiker zu sein. Der Arzt (Regisseur Buck selbst) nimmt es ihm wohl oder übel ab.

So mogelt er sich durchs Leben und vor allem die soziale Leiter empor. Durch die Betten einer gelangweilten Fabrikantengattin (Maria Furtwängler) schafft er es vom Liftboy zum Salondiener und zu gewissem Wohlstand. Und schließlich, nach weiteren Coups und Winkelzügen, gelingt es ihm dank Charme und rascher Reaktionsgabe, sich in Lissabon dem König gegenüber als die bessere Version des Venosta zu verkaufen. Noch allerlei anderes Personal taucht auf und verschwindet wieder, mehr oder weniger motiviert, wie der einsame Adlige, der sich nach Krull verzehrt (ein Alter Ego Manns), oder ein philosophierener Professor (Joachim Król). Vieles wirkt wie lediglich dazwischengeschoben, zu kaum einer Szene findet Buck adäquate, interessante Bildideen.

Die Hauptrolle als eloquenten Verführer spielt Jannis Niewöhner, eine Rolle, die durchaus Parallelen aufweist zu dem Anführer einer rechten Jugendbewegung, den er in Christian Schwochows Dystopie Je suis Karl (demnächst im Kino) spielt. Doch so richtig nimmt man ihm bei allem Esprit den distinguierten Hochstapler nicht ab. Der leichtfüßige Charme wirkt eher hart erarbeitet, genauso wie auch Kross als liebeskranker Marquis hölzern bleibt.

Literaturverfilmungen deutscher Hochliteratur des frühen 20. Jahrhunderts sind gerade (mal wieder) sehr en vogue, und bisweilen sind sie auch sehr gelungen. „Zeitgemäß“ soll die Thomas-Mann-Adaption laut Produzent sein, doch genau das ist der Film nicht. Buck versetzt den Roman weder in die Gegenwart wie Burhan Qurbani es mit Berlin Alexanderplatz (der Freitag 28/2020) tat, noch findet er einen adäquaten Inszenierungsstil für den Sound der Vorlage wie jüngst Dominik Graf in Fabian oder Der Gang vor die Hunde (der Freitag 32/2021). Er modernisiert nicht, sondern aalt sich in der Opulenz einer vergangenen Epoche, weder mit Relevanz fürs Heute noch mit erkennbarer eigener Handschrift.

Buck selbst findet, Krull bringe vieles mit, was man auch in heutigen Zeiten gut gebrauchen kann: „Eine gewisse Leichtigkeit des Seins und die Intelligenz, sich auf neue Situationen einzulassen.“ Dieser zweideutige, auch ironisch zu lesende Satz trifft die fragwürdige Haltung des Films ziemlich gut. Es mag ja durchaus was dran sein, in Zeiten von Instagram- und Influencer-Ruhm sowie Plagiatsvorwürfen gegen Bundestagskanditat*innen. Doch reines Darstellen ist eben noch kein geistiges Durchdringen.

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull Detlev Buck Deutschland 2021, 116 Minuten

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Geschrieben von

Thomas Abeltshauser

Freier Autor und Filmjournalist

Thomas Abeltshauser

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