Nein, Hitler hat das Kaninchen nicht gestohlen. Das ist ein anderer Film, der derzeit im Kino läuft. Hier nämlich ist es ein zehnjähriger Junge, der kleine Johann Betzler (Roman Griffin Davis), der zu schüchtern und lieb ist, um dem süßen Kaninchen wie gefordert den Hals umzudrehen. Keine gute Voraussetzung, wenn man ein deutscher Bub im Dritten Reich und selbst glühender Nazi-Fanboy ist und unbedingt dazugehören will zur Hitlerjugend. Da Johann das Mümmeltier schließlich laufen lässt, erledigt der sadistische Gruppenführer vor versammelter Mannschaft den Rest, der Junge selbst wird der Feigheit bezichtigt und fortan nur noch Jojo Rabbit, also Hasenfuß, gehänselt.
In solchen Momenten ist es hilfreich, wenn man einen guten Freund hat, der einem mit Rat und Tat zur Seite steht. Und sei er auch nur für einen selbst sichtbar. Zum Glück hat Jojo einen solchen imaginierten Kameraden. Gut, es ist Adolf Hitler (von Regisseur Taika Waititi selbst gespielt), und er ist dazu noch ein ziemlich kindischer Idiot, aber sei’s drum.
Der imaginierte Freund kann ihm jedoch kaum helfen, als er hinter einer Wand das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) entdeckt, die sich im Haus versteckt. Als guter Nazi hasst Jojo natürlich alle Juden, aber irgendwie findet er die Fünfzehnjährige auch faszinierend. Und sie kann ihn in all die Geheimnisse ihrer Religion einweihen, mit denen er endlich beweisen könnte, dass er es als Hitlerjunge doch draufhat. Bislang bezieht Jojo sein „Wissen“ über die Juden von Fräulein Rahm (Rebel Wilson), Erzieherin und Mutter von 18 (!) Kindern, die sie dem Führer geschenkt hat. Sie infiltriert die Knaben der Hitlerjugend mit den abstrusesten Schauermärchen und verkündet, „die Arier sind tausendmal zivilisierter und höherentwickelt als jede andere Rasse“. Überschwänglich ruft sie zum Aufbruch auf: „Und jetzt verbrennen wir ein paar Bücher!“
Wie hier ist der Humor in Taika Waititis Film Jojo Rabbit oft überdreht, manchmal böse und entlarvend, aber nie harmlos oder gar verharmlosend, auch wenn die Nazis eher an Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch und Mel Brooks erinnern. Und wer kein Nazi ist, ist irgendwann tot. Regisseur und Autor Waititi gelingt damit ein sehenswertes Werk zwischen Klamauk, schwarzhumoriger Satire und empathischem Porträt einer Kindheit im Dritten Reich. Der Film basiert lose auf dem Roman Caging Skies von Christine Leunen. Waititis Mutter, russisch-jüdischer Abstammung, machte ihn vor Jahren auf das Buch aufmerksam und der 1975 in Neuseeland geborene Waititi, damals bereits erfolgreich mit der Comedyserie Flight of the Conchords und dem rasend komischen Mockumentary über ein paar Vampire, die in Wellington zusammen in einer WG wohnen, 5 Zimmer Küche Sarg, versuchte lange vergeblich, es zu verfilmen. Er veränderte den ernsten Tonfall der Vorlage stark und ergänzte den Plot um die imaginäre Hitlerfigur, die er herrlich überzogen selbst spielt. Über seinen ganz speziellen Humor sagt er: „Wenn du als Junge in einer Kleinstadt am Ende der Welt aufwächst, hast du automatisch einen Außenseiterblick und tickst ein bisschen anders. Und uns war da auf dem Land auch einfach oft langweilig, also haben wir uns Scherze ausgedacht, um uns bei Laune zu halten. Dass die vielleicht ein bisschen schräger waren als anderswo, wurde mir erst später klar.“
Komm gib mir deine Hand
Die Ästhetik erinnert in ihrer leicht surrealen Überhöhung und Detailverliebtheit bisweilen an die Filme von Wes Anderson wie Grand Budapest Hotel, auch Jojo Rabbit ist damit klar als Kunstprodukt konnotiert und tut erst gar nicht so, eine vermeintliche Authentizität herzustellen, wie es deutsche Produktionen über die Nazizeit wie Der Untergang gerne tun. Diesen Verfremdungseffekt gibt es auch auf der Tonspur. Gleich zu Beginn sind historische Aufnahmen von der deutschen Bevölkerung zu sehen, die ihrem Führer begeistert zujubelt, Mädchen strecken ihm verzückt ihre Arme entgegen. Dazu ertönt als Soundtrack Komm gib mir deine Hand, die deutsche Version des Beatles-Songs I Want to Hold Your Hand, den die vier Pilzköpfe 1964 selbst aufgenommen hatten. Ein großartiger Effekt! Taika Waititi erzählt im Gespräch, dass er die Fassung aus seiner Jugend kannte, sie hatte es irgendwie nach Neuseeland geschafft, wie etliche andere obskure Aufnahmen von Johnny Cash bis Roy Orbison. „Als ich die Bilder von den Nazi-Aufmärschen sah, musste ich unwillkürlich an die Beatlemania der Sixties denken“, erklärt Waititi mit einem Grinsen. Beim Schreiben des Drehbuchs hatte er diesen Song bereits im Sinn, er ist gerade in seinem anachronistischen Einsatz essenziell für das Schillernde, Uneindeutige dieses Films.
Nach Jahren der Entwicklungs- und Finanzierungshölle, zeitweise war auch das deutsche Studio Babelsberg mit an Bord, gedreht wurde am Ende in Tschechien, kommt der Film nun zu einer Zeit, da der Antisemitismus sich in Deutschland und anderswo wieder unverhohlener zeigt. Jojo Rabbit ist dabei mit all seiner Drastik auch für ein jugendliches Publikum gut geeignet und würde mit seiner emphatischen Perspektive auf Augenhöhe jeden Schulunterricht bereichern. Nicht zuletzt deshalb, weil die Schüler am Ende des Films dann auch noch David Bowie hören könnten, wie er mit bezauberndem Akzent die deutsche Version von Heroes singt: „Obwohl sie unschlagbar scheinen / Werden wir Helden / Für einen Tag“.
Info
Jojo Rabbit Taika Waititi Neuseeland/USA/Tschechien 2019, 108 Min.
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