„Triangle of Sadness“ von Ruben Östlund: Klassenkampf auf Kreuzfahrt
Kino Champagner, Goldfische im Jacuzzi und #MeToo: Ein Interview mit dem schwedischen Regisseur Ruben Östlund über seinen Film „Triangle of Sadness“ und die Welt der Schönen und Reichen, die sich in Absurditäten immer wieder selbst übertrifft
Mit seiner deftigen Sozialsatire Triangle of Sadness zerlegt Ruben Östlund die Welt der Reichen und Schönen, lässt aber auch an der Klasse der Bediensteten kaum ein gutes Haar. Fünf Jahre nach der Goldenen Palme für seine Kunstbetriebskomödie The Square erhielt der 47-jährige Schwede dafür im Mai erneut die höchste Auszeichnung des französischen Festivals. In seinem von Modebranche über Luxusjacht zu einsamer Insel wechselnden Film seziert er die Abgründe menschlichen Verhaltens mal mit trockenem Witz, mal als grelle Farce und auch mit großer Lust am Exzess. Über sein ebenso überdrehtes wie ambivalentes Untergangsszenario hat der Regisseur mit Thomas Abeltshauser in Berlin gesprochen.
Ruben Östlund: Sie schreibe
Ruben Östlund: Sie schreiben für eine linke Zeitung, richtig? Da steige ich doch gleich mit einem Aufregersatz für Ihre Leser ein: Die Linke in Europa hat Marx vergessen.der Freitag: Ein Versuch, sie an ihre Wurzeln zu erinnern?Genau! Es geht den Linken heute oft zu sehr um Identitätspolitik. Selbst meine Mutter, die sich als Kommunistin bezeichnet, muss ich immer wieder auf Marx bringen.Als was bezeichnen Sie sich selbst?Sobald man beginnt, sich selbst zu definieren, endet man genau in dem Schlamassel, in dem die Politik heute steckt. Diese Unterstützer-Kultur und dieses Schubladendenken. Ich vermeide das. Nicht alle armen Leute sind gut, nicht alle Reichen sind böse und oberflächlich.Auch Ihr Film bleibt da rechtambivalent …Im Hollywoodkino gibt es meist den Gegensatz Held–Bösewicht. Sogar die Nachrichten tendieren dazu, die Welt mit diesem Schema zu betrachten. Wir brauchen einen „good guy“ und einen „bad guy“, sonst sind es keine News! Ich zeige in meinen Filmen dagegen Situationen, in denen sich das Publikum wiedererkennen kann. Wenn eine Figur eine Grenze überschreitet, tut sie dies aus einem Dilemma heraus, das es mir ermöglicht, mich mit ihrem Verhalten zu identifizieren.Einige Szenen des Films seien von eigenen Erlebnissen inspiriert, heißt es, etwa der Streit eines jungen Influencer-Pärchens im Nobelrestaurant darüber, wer die Rechnung bezahlt ...Ich wusste relativ früh, worum es in Triangle of Sadness gehen sollte: Schönheit als Währung, ein Porträt unserer Gesellschaft aus soziologischer Perspektive, wie sich unser Verhalten verändert durch die Position, die wir in der ökonomischen und sozialen Struktur haben. Das war die intellektuelle Ebene. Dann suchte sich nach Situationen, in denen ich mich und mein alltägliches Leben wiedererkenne und die thematisch dazu passen. Und eine dieser schmerzhaften Erinnerungen war diese verdammte Rechnung, ein Moment, für den ich mich als Mann vielleicht am meisten schäme. Wenn ich die Rechnung nicht bezahle, bin ich kein richtiger Mann, und wenn sie nicht eingeladen wird, ist sie nicht attraktiv genug? Wie verhalte ich mich richtig? Als junger Mann wäre ich vielleicht idealistischer gewesen, lass uns die verdammten Regeln brechen! Heute weiß ich, das ist unmöglich. Es führt kein Weg daran vorbei, dass ich die Rechnung übernehme, bei aller Gleichberechtigung.Die komischsten Momente im Film sind oft mit Peinlichkeiten und Schmerz verbunden. Muss guter Humor wehtun?Unbedingt. Ich wäre gerne noch viel weiter gegangen, hätte den Film in vielen Momenten viel schmerzhafter machen wollen. Ich versuche bei jeder Szene bis zum Äußersten zu gehen, aber dann war der erste Rohschnitt vier Stunden lang. Deswegen mache ich Testvorführungen mit Publikum, so erfahre ich ganz unmittelbar, wann eine Szene kippt. Dann kürze ich sie, um den richtigen Rhythmus zu finden.Das Publikum also als A und O?Für mich ist es wie ein Abendessen mit Gästen. Wenn die Leute, mit denen du ein Gespräch führst, nicht verstehen, wovon du redest, wird es höchst unangenehm. Ich versuche verständlich zu machen, was ich sagen will. Das ist etwas ganz anderes, als nach billigen Lachern zu heischen. Amerikanische Komödien scheuen sich meist vor relevanten Themen und das europäische Arthousekino hat Angst davor, sich anzubiedern. Ich versuche das Beste aus beiden Welten zu verbinden. Ich finde es ganz entscheidend, dass das Publikum mitzieht. Dafür mache ich Filme.Eingebetteter MedieninhaltHumor hat oft kulturelle Grenzen, anders als Drama. Worüber in einem Land gelacht wird, findet man woanders womöglich nicht komisch ...Mir war es in diesem Film gerade wichtig, die spezifisch schwedische Mentalität zu erhalten. Die Schweden haben große Angst davor, ihr Gesicht zu verlieren. Sie sind sehr harmoniesüchtig, versuchen immer einen Konsens zu finden, fürchten in unangenehmen Konversationen zu landen. Und genau da beginne ich zu stochern. Aber die Situationen in meinen Filmen sind so klar und simpel, fast wie Stand-up-Comedy, dass sie überall kapiert werden. Wir sind soziale Wesen und wenn wir aus der Gruppe ausgeschlossen werden, leiden wir. Wir alle haben mit Hierarchien zu tun. Das menschliche Verhalten, das ich zeige, ist überall verständlich.Es ist Ihr erster englischsprachiger Film. Wollen Sie ein anderes Publikum erreichen?Kein anderes, ein größeres! Die Sprache war eine Herausforderung, weil ich nicht so mit Nuancen spielen kann wie im Schwedischen ...Erfolgte die Besetzung Woody Harrelsons also wegen seines Talents oder weil er die Finanzierung sichert?Wegen seines Talents, natürlich! Und wenn nicht, würde ich den Teufel tun und es Ihnen sagen. Aber ernsthaft, ich finde ihn großartig, ob in Natural Born Killers oder in Milos Formans Larry Flynt. Als ich ihm erzählte, dass er einen marxistischen Alkoholiker und Kapitän auf einer Luxusjacht spielen soll, auf der bald alle kotzen und Durchfall haben, war er sofort dabei. Dazu muss man schon ähnliche politische Ansichten haben.Was war Ihre Ursprungsidee?Meine Frau erzählte mir Insidergeschichten aus der Modebranche, in der Schönheit das höchste Gut ist. Die Models kommen aus allen Schichten, ihr Aussehen lässt sie in der sozialen Hierarchie aufsteigen. Nicht Geld, nicht Bildung, sondern „physisches Talent“, wie es manche nennen. Mich faszinierte, dass männliche Models nur ein Drittel dessen verdienen, was ihre Kolleginnen bekommen. Und ihre Sexualität ist eine Währung, auch für die Jungs, die sich in einer Welt bewegen, die von mächtigen, meist homosexuellen Männern dominiert ist. Ich fand das in Zeiten von #MeToo einen interessanten Blickwinkel, um unserer Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Ich war es leid, dass im Kino immer nur Frauen die Opfer sind. Mir geht es weniger um das Geschlecht als um die Position, die man in der ökonomischen Struktur hat.Aber es ist nicht bloß eine Satire über die Modeindustrie …Ich hatte den Film früh als Triptychon im Kopf, von der Fashionwelt zur Luxusjacht und schließlich auf eine verlassene Insel. Als Schauplätze für Klassenkämpfe, aber spektakulär und unterhaltsam. Wir reden zu wenig über Klasse. „Zynismus maskiert als Optimismus“, heißt es im Film an einer Stelle. Die Werbung bläut uns ein: Wir sind alle gleich, Rassismus und Klimawandel sind böse, kauft unsere Produkte. Es ist lächerlich!Warum erzählen Sie das Thema als Farce?Ich halte es mit dem Regisseur Michael Haneke: der Zustand der Welt kann als Drama nicht mehr erklärt werden, nur noch als Farce. Dabei bin ich persönlich ein sehr optimistischer Mensch, wir haben viel erreicht, etwa im Kampf um mehr Gleichberechtigung. Aber als Filmemacher interessieren mich dieMomente, in denen wir scheitern, im Privaten und als Gesellschaft.Wie haben Sie die Welt der Superreichen recherchiert?Vor allem über die Serviceteams. Die griechische Jacht, auf der wir drehten, war zuvor von jemandem gemietet worden, der der Crew am Ende ein Trinkgeld von 250.000 Euro gab. Diese Leute dürfen nicht „Nein“ sagen. Wenn ein Gast ein Einhorn will, sagen sie erst mal „Ja, Sir“, und bemühen sich dann, eine Lösung zu finden. In der Mastersuite stand ein Jacuzzi, der auf Wunsch mit Champagner aufgefüllt werden sollte. Ein Gast wollte ihn voller Goldfische haben. Als dann jemand Champagner und Goldfische zugleich haben wollte, wussten sie, der Jacuzzi muss weg, wenn er solches Verhalten heraufbeschwört.Placeholder authorbio-1
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