„Becoming Elizabeth“ legt viel Wert auf Authentizität – auch bei der Hauptdarstellerin Alicia von Rittberg
Montage: der Freitag; Material: Starz, Royal Collection/Windsor Castle
Januar 1547. König Henry VIII. ist tot. Seine Tochter Elizabeth aus der Ehe mit Anne Boleyn ist da gerade 13 Jahre alt. Während ihr Halbbruder Edward (Oliver Zetterström) mit nur neun Jahren zum neuen König gekrönt wird, muss sie sich bald nicht nur der sexuellen Übergriffe ihres Stiefvaters Thomas Seymour (Tom Cullen) erwehren, sondern auch gegen allerlei Intrigen ihren Platz in der englischen Monarchie erkämpfen.
Diese Jugendjahre erzählt die britische Bühnenautorin Anya Reiss im Achtteiler Becoming Elizabeth (Starzplay) als Balanceakt zwischen Historiendrama und aktuellen Bezügen. Vor allem die toxische Situation am Hof nimmt die 3o-Jährige in ihrer Serie mit entschlossen heutigem, für Machtstrukturen und Missbräuche sensib
bräuche sensibilisiertem Gespür in den Blick.„Als Geschichtenerzählerin fand ich es spannend, das Ende zu kennen, das 45 Jahre dauernde Zeitalter ihrer Regentschaft als Elizabeth I., aber nichts über die formenden Jahre nach dem Tod ihres Vaters“, sagt Reiss im Video-Gespräch aus ihrer Londoner Wohnung. „Statt bloß die Stationen eines Lebens durchzuhämmern, von dem das Publikum ohnehin jedes Detail kennt, blieb uns bei der Recherche also Spielraum, um die Lücken für eine Charakterstudie zu füllen.“ Als Quellen hätten ihnen dabei vor allem die Biografien anderer Personen dieser Zeit gedient, die natürlich ihrerseits mit Vorsicht zu genießen waren. Aber Reiss betont, keine historisch belegten Tatsachen verfälscht zu haben. „Ich habe versucht, der Essenz jeder Figur treu zu bleiben und zu überlegen, wie er oder sie sich in einer bestimmten Situation verhalten hat, auch wenn sie nicht belegt ist. Sobald ich im Wust der historischen Daten verstanden habe, wie die einzelnen Figuren ticken, gehörten sie mir und ich konnte im Rahmen der bekannten Fakten mit ihnen spielen.“ Das bedeutete, die Ära wie eine andere Welt zu betrachten, „eine, die wir vielleicht nicht ganz verstehen, aber der wir mit Respekt begegnen, statt sie auszubeuten“.Theaterwunderkind Anya Reiss wechselt zum FernsehenAnya Reiss wurde für ihre Bühnenstücke als Theaterwunderkind gefeiert, bevor sie zum Fernsehen wechselte. Ihre erste eigene Serie ist alles andere als verfilmtes Theater oder verstaubte Geschichtsstunde. Das lebendige Interesse für Figuren ist stets spürbar, der Fokus auf Psychologie und Beziehungen. Die Serie erzählt von Elizabeths Heranwachsen als Geschichte der Selbstbehauptung einer jungen Frau, die sich früh als kluger Geist entpuppt, bevor sie später zur prägenden Regentin von England wird.Um ihre Geschichte zu erzählen, war für Reiss Dreh- und Angelpunkt, dass Elizabeth im Alter von 14 Jahren von ihrem Stiefvater zu sexuellen Handlungen genötigt wurde. „Uns ging es nicht darum, das aus der moralischen Warte des 21. Jahrhunderts zu beurteilen, durch die #metoo-Brille. Es war auch damals schon relevant und schockierend. Und es hat ihre Entwicklung maßgeblich geprägt“, ist sich die Serienmacherin sicher. Für Reiss erscheinen viele Entscheidungen Elizabeths und ihr Verhalten als Königin so in einem anderen Licht, ergeben mit dem Wissen um diesen frühen Missbrauch mehr Sinn.Eingebetteter MedieninhaltEbenso wie die Figuren nimmt die Serie die Ära mit ihren Umwälzungen und religiösen Konflikten ernst, ein erstaunlich erfrischender Ansatz nach einer Welle spekulativer und ahistorischer Produktionen wie The Great oder Bridgerton mit ihrem bisweilen zwanghaft ironisch klingenden Tonfall. Viel Wert auf authentische Anmutung wurde dabei in der Ausstattung gelegt. An Locations wie dem Cardiff Castle in Wales, zu großen Teilen gedreht mit natürlichen Lichtquellen, sind oft ein paar Kerzen das Einzige, was das Dunkel der höfischen Innenräume erhellt. Noch dramatischer entfaltet sich so das gleißende Tageslicht, das durch die Vorhänge strahlt und dabei eine Außenwelt repräsentiert, die das Gefühl der Enge und des Eingesperrtseins verstärkt. „Wir haben ohne künstliche Beleuchtung gefilmt, oft erkennt man in den düsteren Interieurs Details nicht“, erklärt Reiss. „Es wirkt sehr klaustrophob, um so die Geschichte eines Missbrauchs aus der Sicht des Opfers zu zeigen.“ Visuell nimmt sich Bildgestalter Adolpho Veloso in den von ihm fotografierten ersten drei Episoden Freiheiten mit einer Handkamera, die mit ungewöhnlichen Blickwinkeln, extremen Nahaufnahmen und Reißschwenks die disruptiven Verhältnisse am englischen Hof dramatisch einfängt. „Wir hatten sehr detaillierte 360-Grad-Sets mit ausgestalteten Decken, was sehr ungewöhnlich ist, so konnten wir freier drehen, ohne darauf achten zu müssen, einen gewissen Blickradius einzuhalten.“Bemerkenswert ist dabei nicht zuletzt die Besetzung dieser englischen Ikone mit der gebürtigen Münchnerin Alicia von Rittberg, die hierzulande durch den Mehrteiler Charité bekannt wurde, international aber ein noch unbeschriebenes Blatt ist. In Becoming Elizabeth behauptet sie sich mühelos als Teil des durchgehend britischen Ensembles, zu dem auch Jessica Raine als Henrys Witwe Catherine Parr, Romola Garai als Queen Mary und Bella Ramsay als Lady Jane Gray zählen, auch sprachlich. Nach einer weltweiten Suche war für Reiss vor allem ein Aspekt ausschlaggebend: „Alicia hat eine schwer zu fassende Qualität, man weiß nie genau, woran man bei ihr ist, was sie denkt. Das passte zu der Vorstellung, die ich von Elizabeth hatte, warum viele damals so frustriert von ihr waren, weil sie nicht aus ihr schlau wurden. Das ist schwer zu finden und schwer zu spielen; Alicia hat es einfach.“Placeholder infobox-1