Fünf Jahre Willkommenskultur

Geflüchtete/Vertriebene: "Ein großer Moment in unserer deutschen Geschichte" - Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm blicken zurück.

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Angesehene Bischöfe der beiden großen deutschen Kirchen haben eine Art Bilanz der großen Flüchtlingswelle von 2015 gezogen.

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und bis März 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, lobten im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA)die Integration „damals Gekommener“.

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Eine kritische Auseinandersetzung:

Es geht um Willkommenskultur für hunderttausende Flüchtlinge – wohl gemerkt.

Zur Erinnerung:

Als syrische Flüchtlinge infolge der vom Westen zerstörten muslimische Staaten Europa zu fluten drohten, als im September 2015 1,2 Millionen von 10 Millionen ihrer Kriegsbeschädigten als syrische Vertriebene resp. Ausgebombte, Flüchtlinge, wie man kaschierend sagt, hilfesuchend an Deutschlands Türen klopften, wurde die ganze Verkommenheit der Europäischen Gemeinschaft manifest – wieder einmal. Und diese Verkommenheit hat auch einen Namen: Die nationale Zurückweisung der Flüchtlinge bei paralleler Leugnung eigener, ursächlicher Verantwortung an deren Schicksal.

Frau Merkel ließ 1,2 Millionen Hilfesuchenden nach Deutschland einreisen, doch schließlich schloss sie mit Recep Tayyip Erdoğan einen Deal, wonach der ihr Flüchtlinge für sechs Milliarden Silberlinge abkaufte und sie schließlich für seine Annektierung des Nord-Osten Syriens missbraucht.

Für die beiden Bischöfe spielt das – jedenfalls in diesem Interview – keine Rolle. Sie sollten nicht vergessen, dass Deutschland an der Zerstörung Syriens aktiv mitgewirkt hat, u.a. durch Lieferung der Zielkoordinaten (AWACS-Einsätze) für tödliche und zerstörerische Bomben, deren Opfer später ausgerechnet bei ihren Henkern um Schutz nachsuchten.

Die NATO-AWACS-"Aufklärungsflugzeuge", deren Besatzung zu einem Drittel von der Bundeswehr gestellt werden, sind – anders, als der Name sagt – fliegende Gefechtsstände! Im Radius von 400 km ermöglichen sie eine genaue Zielplanung für elektronisch gesteuerte Waffensysteme. Sie können sowohl zur Abwehr feindlicher Flugkörper, aber ebenso für die Zielsteuerung eigener Raketenangriffe genutzt werden.

Das ist der Kontext, den die beiden wohlbehüteten Herren, einschließlich des Interviewers außen vorlassen. Der Tatbestand ist wohl zu hässlich.

Stattdessen kommen Sätze, wie:

»Die Menschen, die aus den Zügen gestiegen sind, waren wochenlang hin- und hergeschoben worden. In Deutschland, nach ihrer Ankunft am Münchner Hauptbahnhof, wurden sie von lauter offenen Armen empfangen. Ihre Gesichter werde ich nie vergessen: erst ungläubiges Staunen, dann Erleichterung und Freude, endlich einmal als Menschen behandelt zu werden und nicht als Gefahr oder Last.

Das war ein großer Moment in unserer deutschen Geschichte. Der erste Satz des Grundgesetzes von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen wurde mit Leben gefüllt. Darauf bin ich stolz. Dass es einfach werden würde, hat damals keiner behauptet.« (Heinrich Bedford-Strohm)

„Die Menschen, die aus den Zügen gestiegen sind, waren wochenlang hin- und hergeschoben worden“???

Viel dramatischer – sie waren jahrelang ausgebombt und vertrieben worden, auch von Deutschland, vor dem Tod geflohen – bitte Herr Bischof, schauen Sie genauer hin.

„… ein großer Moment in unserer deutschen Geschichte. Der erste Satz des Grundgesetzes von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen wurde mit Leben gefüllt“ – unerträglich angesichts der Genese dieser entrechteten Population, über die sie hier schöngeistig diskutieren.

Im Zusammenhang mit Angela Merkels "Wir schaffen das" fügt Kardinal Marx an:

»Die Bundeskanzlerin wollte ja Mut machen, diese Herausforderung anzunehmen, die sich keiner ausgesucht hat. Wenn wir alle uns Mühe geben, dann können wir das schaffen - darum ging es.«

Eine „Herausforderung“, noch zudem „die sich keiner ausgesucht hat“? Diese Herausforderung ist – auch von Deutschland – aktiv herbeigebombt worden. Kardinal Marx beteiligt sich an pathologischer Geschichtsinterpretation. Ich habe ihm in ähnlichem Zusammenhang bereits im Dezember 2015 einen sehr ausführlichen Brief geschrieben. – Und sein Sekretariat hat auch geantwortet.

Bischof Bedford-Strohm: »Wer politische Verantwortung trägt, muss Zuversicht verbreiten und nicht Angst. Rückblickend lässt sich jedenfalls sagen: Die Integration in den Arbeitsmarkt ist erstaunlich gut gelungen. Rund die Hälfte der damals Gekommenen, also 500.000 Menschen, sind heute in Arbeit oder Ausbildung. Davon hätten viele vor fünf Jahren nicht zu träumen gewagt mit Blick auf die notwendigen Qualifikationen und Sprachkenntnisse.«

Was ein Gesülze: „Wer politische Verantwortung trägt, muss Zuversicht verbreiten und nicht Angst.“ – Und zur aktiven Beteiligung Merkel-Deutschlands an der Zerstörung Syriens, der Mitverursachung „der damals Gekommenen“ kein Wort, stattdessen dieser gestelzte Ausdruck „damals Gekommene“, der niemand wehtut, außer den Betroffenen? Was für eine sprachliche Entgleisung!

Und dann die Laudatio: „Rund die Hälfte der damals Gekommenen, also 500.000 Menschen, sind heute in Arbeit oder Ausbildung.“ – Na klar: Deutschlands Arbeitsmarkt dürstet doch nach billigen Arbeitnehmern. Was meint Herr Bedford-Strohm wohl, warum wir immerzu billige Malocher aus dem Ausland brauchen, z.B. für Schlächtereien oder in der Kranken- resp. Altenpflege.

Mitte 2019 lag die Beschäftigungsquote der Geflüchteten bei rund 35 Prozent. Die Beschäftigungsquote der Deutschen liegt bei 69,4 Prozent. Ziel der Bundesagentur für Arbeit war/ist es, im Jahr 2025 eine Quote von 50 Prozent zu erreichen.

Zum besseren Verständnis: In der Beschäftigungsquote werden auch Kinder, Jugendliche und Rentner mitgerechnet, die aus guten Gründen nicht arbeiten und die Quote senken.

Am ehesten fanden die Geflüchteten über Zeitarbeit in den Arbeitsmarkt. Jeder Dritte von ihnen fand zunächst einen Job als Leiharbeiter oder als Leiharbeiterin. Einige steigen auch zunächst über einen Minijob ein.

Sie arbeiten im Dienstleistungsgewerbe – zum Beispiel als Gebäudereiniger – sowie im Gastgewerbe und in der Kfz-Branche. Auch im verarbeitenden Gewerbe fanden viele Geflüchtete Arbeit, hat die BA festgestellt. Geflüchtete übernehmen dabei vor allem eher unattraktive Jobs für Ungelernte und Angelernte, für die die Arbeitgeber nur schwer Personal finden.

Laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit befanden sich Mitte 2019 38.000 Geflüchtete derzeit in einer Ausbildung. Die Zahl ist damit stetig gestiegen. 2017 machten nur 27.000 Flüchtlinge eine Ausbildung, 2016 nur 3.900. Insgesamt gibt es 530.000 Ausbildungsplätze. Auch auf dem Lehrstellenmarkt gilt: Geflüchtete füllen vor allem Lücken, wo Betriebe keine anderen Auszubildenden mehr finden.

Erniedrigte Menschen ohne Zuhause, Brot und Arbeit, wie diese Vertriebenen-Population, nehmen jeden Job, stellen keine Ansprüche – und lobpreisen Angela Merkel, wie die Herren Bischöfe.

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Geschrieben von

Flegel

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