»SPD setzt auf Prinzip statt auf Bedarf«

»Welch eine Chuzpe«: Meint Gordon Repinski. Er ist stellvertretender Chefredakteur des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Er meint damit die SPD-Idee einer Grundrente ohne Bedarfprüfung.

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Die SPD, so behauptet Andrea Nahles, wolle neuerdings eine Grundrente gegen Altersarmut, „die [zudem, eigene Anm.] ihrem Namen gerecht wird«: »Es geht nicht um Bedürftigkeit, es geht um Respekt und Anerkennung von Lebensleistungen.«

Welche Chuzpe, meint Gordon Repinski. Er ist stellvertretender Chefredakteur des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND).

»Dabei ist im Koalitionsvertrag klar definiert, wie die Grundrente gestaltet werden soll: nach Bedürftigkeit. Nach 35 Beitragsjahren soll ein Rentner im Alter mehr als die Grundsicherung erhalten, wenn er diesen Zuschlag benötigt. Es steht so eindeutig im Koalitionsvertrag, dass man gelegentlich staunt, mit welcher Chuzpe die SPD-Spitze für eine weitergehende Lösung ohne Bedürftigkeitsprüfung kämpft.«

Seine exotische Begründung:

»Es ist auch deshalb unverständlich, weil die SPD sich für die Falschen einsetzt. Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung würde jenen zugutekommen, die ein geringes Einkommen hatten, sich aber auf eine hohe Erbschaft oder zusätzliche Einkünfte durch wohlhabende Partner einstellen dürfen. Die Leistungen, die sie nach SPD-Plänen erhalten sollen, zahlt dann die Gemeinschaft.«

Hier der Wortlaut meines Protestbriefes an ihn:

Ausgabe 'MZ Ahaus', 28.02.2019, Seite 2

Streit um die Grundrente | SPD setzt auf Prinzip statt auf Bedarf

»Es ist ein krudes Verständnis des Sozialstaats. Es geht nicht mehr um Bedarf, sondern ums Prinzip.«

Sehr geehrter Gordon Repinski,

der „Pawlowsche Hund lässt grüßen“. Rente, Grundrente zumal: Das Reiz-/Reaktionsschema des bedingten Reflexes im Sinne einer klassischen Konditionierung. Das ist es, was bei Ihnen abläuft.

Rente, Grundrente zumal: Die Begriffe sind für Sie offensichtlich eine Herausforderung, auf die Sie nahezu zwanghaft mit Zurückweisung berechtigter Forderungen für die Bürgerinnen und Bürger reagieren. – Denen wollen Sie ständig die Pfennige vorrechnen.

Listig bringen Sie hierfür eine Extremvariante ins Spiel, bemühen eine exotische Argumentation:

»Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung würde jenen zugutekommen, die ein geringes Einkommen hatten, sich aber auf eine hohe Erbschaft oder zusätzliche Einkünfte durch wohlhabende Partner einstellen dürfen. Die Leistungen, die sie nach SPD-Plänen erhalten sollen, zahlt dann die Gemeinschaft.«

Eine Argumentation, die Ihre fanatische Gesinnung entlarvt! Eine Argumentation der Chuzpe, um auf Ihrer Argumentationslinie zu bleiben.

Was ist dagegen zu sagen, Individuen nach deren 35-jährigem Arbeitsleben mit einem anständigen Renteneinkommen zu versehen – und zwar unabhängig vom Familienstand und sonstigem Vermögen. Das Prinzip ergibt sich aus einer entsprechenden individuellen Leistung innerhalb des Arbeitsprozesses: „Leistungsgerechtigkeit heißt für uns, dass jemand nach 35 Jahren Arbeit eine Grundrente verdient hat“, so Andrea Nahles. Was das mit dem Familienstand oder einer Erbschaft zu tun hat, erschließt sich mir nicht.

Lieber Gordon Repinski, bitte bedienen Sie sich für Ihre Argumentation des sogenannten Normalfalles und keiner exotischen Situation.

Was ist denn mit den politisch gewollten, einseitigen Steuergeschenken für Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft durch Steuergesetzesänderungen in der Zeit zwischen 1998 und 2013 in Höhe von ca. 490 Milliarden Euro? Mussten die nicht auch durch „die Gemeinschaft“ – wie Sie es nennen – aufgebracht werden? Das eingesparte Geld in Höhe von 490 Milliarden Euro war ein Geschenk an Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft.

Und – anders, als Sie suggerieren – war hieran das gesamte „Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE“ beteiligt. Die politische Verantwortung hierfür lag von 1998 bis 2005 bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 und bei Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013.

Sie selber liefern doch das Argument, das diese Steuergeschenke in Wirklichkeit geißelt: »Noch heute sind Schulen marode, Straßen kaputt, viele Kommunen klamm. Es gibt noch immer vieles, für das es sich zu kämpfen lohnt. Es gibt noch immer Bedürftigkeit überall.«

Sie sagen es selbst: „Bedürftigkeit überall“!

Richtig – auch und gerade bei der Rente. In der Zwischenzeit ist das Thema Altersarmut durch unzulängliche Renten Dauerthema.

Vor 15 Jahren musste das bewährte, umlagefinanzierte soziale Sicherungssystem der BRD zerschlagen und in Teilen durch fragwürdige kapitalgedeckte Versicherungsformen einseitig zulasten der Bürger ersetzt werden.

In der Zwischenzeit wissen wir, dass uns die Politikerinnen und Politiker böswillig getäuscht haben, um ihre Gesinnung "Privat vor Staat" umzusetzen: Finanzen und Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger sind dem Beschiss der Finanz-Hasardeure ausgesetzt.

Wir wissen zudem, dass die Rentenreform 2001 unter der massiven Einflussnahme der Lobbyisten der Finanzmärkte zustande kam. Damals standen einige Lebensversicherer am Rande des Abgrunds, und die Mannheimer Versicherung war ja bereits illiquide. Das heißt, man hat dringend nach einer Möglichkeit gesucht, der Versicherungswirtschaft unter die Arme zu greifen.

Durch die Regierung mitsamt ihrem qualifizierten politischen Personal im Deutschen Bundestag wurde 2001 ein schleichender Verlust unserer Renten von 20 Prozent bis zum Jahr 2030 bewusst gesetzlich festgeschrieben.

Dieses qualifizierte politische Personal hat die Bevölkerung belogen und uns weisgemacht, die altbewährte Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) sei nicht mehr zu bezahlen und müsse durch kapitalgedeckte Versicherungsformen ergänzt werden. – Als sei das gottgegeben!

[Siehe auch: Florian Blank: Das Rentenniveau in der Diskussion, WSI-Policy Brief Nr. 13, August 2017]

Tausende Parteimitglieder und zigtausende Wählerinnen und Wähler sind der SPD davongelaufen, weil sie sich von ihr betrogen fühlen, doch mediale „Pawlowsche Hunde“ huldigen der SPD. Beispiel: »Die Stärke der Partei war stets ihre unerschütterliche Verbindung zur Realität, aus der sich viele berechtigte Veränderungen und Verbesserungen in der Sozialpolitik ergeben haben.«

Ich finde den Fanatismus, der selbst noch den größten Schandfleck Deutschlands (nichtauskömmliche Renten nach langer Berufstätigkeit) für seine systemdevote Agitation instrumentalisiert, zum Kotzen. Das dürfen Sie ruhig wissen, auch wenn sich Bedürftigkeitsprüfung vordergründig ganz plausibel anhört, ist sie in diesem Kontext ein vergiftetes Argument.

Mit (noch) freundlichen Grüßen

Jürgen Beineke

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[Dieser Post ist auch auf meiner eigenen Homepage zu finden]

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Geschrieben von

Flegel

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