Selbstfindung zwischen Body-Shaver und Q10

Körperkulturen Zwischen Androgynität und archaischer Maskulinität: Die Kosmetikwerbung offeriert zahlreiche Körperkonzepte und kann sich doch nicht von stereotypen Konstruktionen lösen

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Welche Kleidung soll ich anziehen, wie schlank soll ich sein, wie soll ich meinen Körper modifizieren, welche Frisur muss ich haben, welche Kosmetikprodukte verwenden und wie soll ich mich verhalten, um gesellschaftliche Geschlechterakzeptanz zu erlangen und als attraktiv zu gelten? Auf all diese und noch viel mehr Fragen scheint uns die Werbung seit mehr als 100 Jahren Antworten zu liefern. Dass sie damit in immanenter Weise an der Konstruktion und Verbreitung stereotyper Femininität und Maskulinität beteiligt ist, Sozialisation und Identitätsbildung nachhaltig mitgestaltet, wurde wissenschaftlich längst belegt.

Dabei ist in den vergangenen Jahren zu beobachten, dass Werbung für Kosmetikprodukte – die in besonderer Weise dafür bekannt ist, Schön- und Schlankheitsideale zu propagieren – nicht mehr an der bipolaren Geschlechtergrenze Halt macht. Die Mär von der käuflichen Schönheit, die keine Pore im Gesicht dem Zufall überlässt, hat in der kapitalistischen Matrix nun auch die Konstruktionsprozesse von Maskulinität für sich entdeckt: Gesichtsmasken, Body-Rasierer, Faltencremes, Under-Eye-Roll-Ons, Haartönungen und vieles mehr, was der schöne Mann von heute so braucht, sind mittlerweile in jedem gut sortierten Drogeriemarkt vertreten – und haben damit einen entscheidenden Paradigmenwechsel eingeleitet: Denn während der weiblichen Kundschaft in den letzten Jahrzehnten ununterbrochen durch die Werbung eingeredet wurde, ihre Schönheit sei vornehmlich abhängig von Jugendlichkeit, daher strukturell transitorisch, nicht naturgegebenen und vom Kauf und der Anwendung der ‚richtigen Produkte’ abhängig, wurde stereotyp maskuline Schönheit als naturgegeben angenommen und vorausgesetzt. Sie galten bis in die 90er Jahre hinein als ‚von Natur aus schön’. Dass mit dieser Einstellung keine Produkte verkauft werden können, hat die Schönheitsindustrie etwa ab der Mitte der 2000er Jahre erkannt und korrigiert seither diese Nachlässigkeit: Die Produktpalette für männliche Konsumenten wächst unaufhaltsam und stereotyp maskuline Schönheit unterliegt inzwischen intensiven medialen Konstruktions- und Gestaltungsprozessen. Dabei offeriert die Werbung ein weites Feld maskuliner Körperidentitäten: So ist auf der einen Seite zu beobachten, dass Konzepte von Feminitität und Maskulinität in androgynen Darstellungsweisen konvergieren, sich also einander annähern. Um Kosmetikprodukte aber auch einer männlichen Zielgruppe zugänglich zu machen, welche sich von androgynen Konzepten nicht angesprochen fühlt, erscheinen auch archaische Repräsentationen von Maskulinität, die den Mann als Helden oder gar als Bezwinger der Natur in Szene setzen. Daneben werden Layout, Farbgebung, Produktdesign sowie Sprachgebrauch den Präferenzen der neuen Käuferschaft angepasst: Body-Shaver werden „von Profis getestet“ und sind für speziell „für das männliche Terrain“ entwickelt. Häufig suggeriert das Verpackungsdesign NASA-Technologie als Inhalt und die Leistungsfähigkeit der Produkte wird mit Raketen oder Rennwägen gleichgesetzt.

Diese Strategien scheinen erforderlich, um die neuen Produkte für den ‚körperbewussten Mann’ von den Kosmetika ‚für Frauen’ deutlich abzugrenzen. Dadurch werden zwei distinkte, klar voneinander abgegrenzte Geschlechtersphären geschaffen und dies ist vor allem in einem originär feminin besetzten Terrain wie Kosmetik von immanenter Bedeutung. Denn wie in der Vergangenheit bereits nachgewiesen wurde, definiert sich die soziale Konstruktion von Männlichkeit auch über die Herstellung einer Differenz zu Weiblichkeit. Die Werbung beherrscht dieses Spiel indem sie illustriert, dass Männer ihre Männlichkeit trotz der Anwendung von Anti-Ageing-Cremes bewahren können.

Weiterhin interessant ist auch, dass hinsichtlich körperlicher Alterungsprozesse im Kontext von Kosmetikwerbung eine weitaus höhere Flexibilität hinsichtlich der Darstellungsbreite von Körperlichkeit zu bestehen scheint, als dies bei Produkten für weibliche Konsumentinnen der Fall ist. So treten männliche Werbeträger jenseits der 40 Jahre für Kosmetikprodukte durchaus in Erscheinung und werben – trotz erkennbarer Falten – für Produkte, welche die Entstehung ebensolcher bekämpfen sollten. Dies wiederum unterstützt die Annahme, dass stereotyp ästhetische Körperkonstruktionen im Kosmetikbereich männlichen Körpern auch Alterungsprozessen zugestehen – weiblichen Körpern eben nicht. Denn im Gegensatz dazu finden sich bei Werbeanzeigen dieser Kategorien speziell für ‚weibliche Konsumentinnen’ kaum Werbeträgerinnen, die von Wirkstoffen wie Q10 oder Hyaluron augenscheinlich profitieren würden – mitunter kann gar nicht beurteilt werden, ob sich die werbenden Figuren im Frühling oder im Herbst ihres Lebens befinden. Dass ältere Personen und vor allem Frauen über 40 in der Werbung quantitativ unterrepräsentiert sind, ist seit langem bekannt; geändert hat sich dennoch wenig.

Doch auch deutlich erkennbar ist, dass allen repräsentierten Identitätskonzepten in sämtlichen Alterskategorien stereotype Schön- und Schlankheitsideale eingeschrieben sind. Es wäre wünschenswert, dass die Werbung derart eklatante Missstände korrigiert, um allen Menschen Raum für Identifikation zu ermöglichen und auch, um sich ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit zu bewahren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Flo Diener

Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Kommunikationswissenschaft. Forschungsgebiete: Gender Media Studies, Stereotypenforschung, Intersektionalität

Flo Diener

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