Testosteron im Tiegel?

Gender Marketing Wie Kosmetiklinien für Männer geschlechternormiertes Schönheitshandeln zementieren

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Getrennte Bereiche für Frauen und Männer – ein in unserem Kulturraum eigentlich überwunden geglaubtes Phänomen, welches uns nur noch beim Toilettengang oder an besonderen Saunatagen im öffentlichen Schwimmbad heimsucht, erlebt seit einigen Monaten wieder eine Renaissance. Wer im vergangenen Jahr im Drogeriemarkt seines Vertrauens ein- und ausging, konnte in puncto Geschlechtersegregation eine weitreichende Veränderung feststellen. Seit März 2019 ziehen sich schwarze Regalbalken quer durch Deutschlands beliebte Drogeriekette DM und sorgen damit für eine optische Zäsur in der bislang kunterbunten Regallandschaft. Denn: „Wie bei den Damen soll es nicht aussehen“ (www.seinz.dm.de), verkündet die Website der neu geschaffene Eigenmarke. Die serifen- und schnörkellos fett gedruckten Lettern über den neu erschaffenen Regalen geben zudem auch gleich Aufschluss über die angesprochene Zielgruppe: SEINZ möchte mehr Männer in die Drogeriemärkte locken und sie für Kosmetikprodukte begeistern. Denn während der Kosmetikmarkt für Frauen seit Jahren als gesättigt gilt, verspricht der Markt für die männliche Kundschaft in den kommenden Jahren hohe Wachstumsraten. SEINZ will dabei sowohl Eigenmarke von DM als auch Regalbezeichnung und Sammelbecken für die neuen „Männerlinien“ der großen Kosmetikhersteller sein. Ob sich die adressierte Zielgruppe allerdings durch sprachliche Totalausfälle („SEINZ. Für Männer wie unz“) angesprochen fühlt und ob das Charakteristikum „Mann“ die Zielgruppe hinreichend definiert, ist bislang ungeklärt.

Kosmetische Sozialisationsprozesse: wie ER zu SEINZ findet

Doch wie sollen nun Männer angesprochen werden, die „eine zunehmend komplexere Pflegeroutine entwickeln?“, fragt Johannes Zerger, der als Brand und Community Manager bei DM tätig ist. Zunächst die Fakten: Bei den eingesetzten Modellen greift SEINZ zwar auch auf Männer zurück, die stereotypen Schönheitsidealen entsprechen – so sind die dargestellten Charaktere zumeist jung, ausnahmslos schlank und tragen selbstbewusst urbane Hipsterness zur Schau. Aber die Inszenierungen lassen Freiräume und beweisen eine ungewohnte Variabilität hinsichtlich normierter Körperdarstellungen in der Werbung. Im Vergleich zu den gängigen Frauendarstellungen in der Kosmetikwerbung zeigen sie Menschen, die nicht in eine kosmetische Zwangsjacke gesteckt wurden: Zu sehen sind auch Individuen jenseits gängiger Schönheitsideale, mit lichtem Haar, sowie ältere Personen, die eben auch älter aussehen. Gezeigt werden Charaktertypen, Männer mit Ecken und Kanten. Die Produktlinie der Eigenmarke tritt gänzlich desaturiert auf – es gibt schwarze und weiße Tiegel und Tuben in linearem, überflusslosem Design sowie Duschgelverpackungen die wie kleine Motorölflaschen aussehen. Das Wording ist sparsam und äußerst funktional; die Ansprachen changieren zwischen Lässigkeit, männlicher Härte und debilen Phrasen („Der moderne Mann von Heute betont seine Männlichkeit...“). Die Inhaltsstoffe sind laut Website „leistungsstark“ – wie Männer eben sind. Neben Männer-Klassikern wie das berühmte 3-in-1-Duschgel umfasst die Eigenmarke auch Shampoos mit Aktivkohle, Bartöl oder Gesichtscreme (eine Variante für alle Hauttypen – Männerhaut ist da schließlich nicht anspruchsvoll). So will SEINZ die unkomplizierte Pflege für den Mann sein und gibt auf der eigenen Website zudem Tipps für die tägliche Pflege. Wer von diesem klischeebeladenem Kosmos noch immer nicht gesättigt ist, kann auf die neue Produktlinie, die in Kooperation mit der Baumarktkette Hornbach geschaffen wurde, zurückgreifen: So offeriert das neue „Hornbach X SEINZ“ bspw. Duschpeeling für strapazierte Männerhaut mit Gesteinsmehl während die Handcreme verspricht, keine Fettflecken an Werkzeugen zu hinterlassen. Weiterhin überzeugt die Waschpaste (eigens geschaffen für „Hände, die Mauern einreißen“) mit natürlichen Schleifpartikeln aus Sägemehl – der Zenit klischeebeladener Männerpflege gilt damit wohl als erreicht.

Warum SEINZ? Warum nicht IHRZ oder UNZ?

Doch woher kommt das Bedürfnis nach einer geschlechterspezifischen Marktsegregation? Die Gründe hierfür sind wie so häufig vielschichtig:

Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist zunächst das Gender Marketing als Ursache anzuführen. Dabei sieht das (aus sozialwissenschaftlicher Sicht mehr als kritisch zu bewertende) Konzept die Aufteilung einer großen Zielgruppe in zwei kleinere Gruppen vor, die entlang einer binären Geschlechtergrenze organisiert sind. Da nun im Kontext der Produktentwicklung und -vermarktung die „besonderen Bedürfnisse“ der jeweiligen Zielgruppe besser berücksichtigt werden können, lassen sich mehr Produkte verkaufen und auf der Käufer*innenseite steigt die Zahlungsbereitschaft.

Eine weitere Erklärung für die junge Marke mit dem Sprachfehler liefern uns diskursiv hervorgebrachte und normierte Vorstellungen von „echter Männlichkeit“ und „echter Weiblichkeit“. In einfachen Worten kommt die Erklärung sogar direkt von der Dachmarke DM: so identifiziert der für die Marke SEINZ verantwortliche Manager Johannnes Zerger im Interview die Marke DM als „Lovebrand“ für die weibliche Kundschaft und formuliert den Wunsch, auch für die bislang nur defizitär in die Märkte strömende männliche Kundschaft gleichsam eine solche „Lovebrand“ darzustellen. Dass eine „Lovebrand“ für Frauen und Männer gleichermaßen allerdings nicht möglich ist, war allen Beteiligten bei DM ziemlich schnell klar. Daher wurde entschieden, mit SEINZ eine Submarke ins Leben zu rufen, die sich optisch deutlich abgrenzt und eben auch eine „Lovebrand“ für Männer werden kann, so Zerger. Das heißt zusammengefasst: Weil die Marke DM bei Frauen beliebt ist, kann sie nicht gleichsam auch für Männer gut sein.

Traditionen aus dem 19. Jahrhundert

Und hier kommen wir nun zum Kern des Problems: Die Markenverantwortlichen bei DM beziehen sich damit auf ein Geschlechterkonzept, welches im Kaiserreich 19. Jahrhunderts durch Militarisierung und Industrialisierung hervorgebracht wurde und welches sämtliche Lebensbereiche in „männliche“ und „weibliche“ Sphären aufteilte: „Dem Manne der Staat, der Frau die Familie“ ist beispielsweise in Meyers Konversationslexikon aus dem Jahr 1894 zu lesen. Und während viele Kinder dieser Zeit ihren Vater nur als „Sonntagspapa“ kannten, welcher sich zumeist am (durch die Industrialisierung vom Wohnort getrenntem) Arbeitsplatz aufhielt oder sich im Vereinswesen betätigte, beschränkte sich der Wirkungsraum von Frauen vorwiegend auf Kinder, Küche und Kirche. Die medizinische Wissenschaft im Geiste der Aufklärung identifizierte und pathologisierte mit fragwürdigen Methoden Geschlechtseigentümlichkeiten von Frauen und Männern und lieferte damit die wissenschaftliche Legitimation der gesellschaftlichen Ungleichbehandlung gleich mit. In diesem Kosmos wurde „Männlichkeit“ nicht qua Geburt gegeben, sondern musste durch ritualisierte Prüfungen in Kindheit, Jugend und beim Militärdienst erworben werden. Attribute idealisierter Männlichkeit in der Kaiserzeit waren somit Tapferkeit, Mut, Strenge und Pflichtbewusstsein. Doch gemäß der Sphärentrennung zeichnete sich Männlichkeit auch durch die dezidierte Abgrenzung zur Weiblichkeit aus – das in Bezug auf Männer eingesetzte Schimpfwort „weibisch“ zeugt zum Beispiel davon.

Wer SEINZ sagt, muss auch IHRZ sagen

Von den Relikten jener sexistischen Ansichten zehrt unsere Gesellschaft bis heute. Untrennbar mit stereotyper Weiblichkeit verbunden sind seit jeher auch weibliche körperliche Schönheit, Jugendlichkeit und ritualisiertes Schönheitshandeln. Dass ein sog. „Double Standard of Aging“ Frauen aufgrund gesellschaftlicher Konventionen dazu zwingt, auch im höheren Alter noch jugendlich auszusehen, um keinen Statusverlust fürchten zu müssen, kritisierte bereits die Philosophin Susan Sontag in den 1970er-Jahren. In der kapitalistischen Warenwelt von heute zeugen davon nicht nur Hautpflegeprodukte und Haarcolorationen, sondern auch Verjüngungskuren sowie eine schier unfassbare Auswahl an Make-up und Mascara. Außerhalb des Drogeriemarktes finden sich zudem operative Eingriffe und biomedizische Technologien, welche Schönheit und Jugend versprechen und in ihrer werblichen Ansprache nahezu ausschließlich Frauen adressieren. Grundsätzlich wäre der Gebrauch solcher Produkte wohl problemlos für sämtliche Ausprägungen der sozialen Kategorie Geschlecht möglich. Doch spätestens seit Barbara Schöneberger wissen wir, dass sich Männlichkeit und verschönernde Kosmetik diametral gegenüberstehen („Männer Make-Up? Irgendwann ist auch mal Schluss!“) und dass stereotype Konzepte von Männlichkeit unvereinbar mit Cherry-Blossom-Creme-Duschgel sind.

Daher setzt DM auf zwei räumlich und optische abgegrenzte Sphären innerhalb eines Marktes. Die eine Sphäre wird mit dem Terminus SEINZ als männlicher Raum typologisiert. Da dieses Konzept im Kontext einer heteronormativen Matrix mit binären Geschlechterausprägungen arbeitet, muss im Umkehrschluss korrekterweise der restliche Raum auch mit IHRZ bezeichnet werden. Und was DM neben Pflege- und Kosmetikprodukten unter IHRZ subsummiert, kann in jeder Filiale eindrücklich begutachtet werden: Babybrei und Windeln für den Nachwuchs sowie Wasch- und Reinigungsmittel für alle unliebsamen Problemchen im Haushalt. Und damit schlagen die überwunden geglaubten Geschlechtersphären plötzlich im Drogeriemarkt um die Ecke wieder auf. Welcome back to the 19th century, DM!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Flo Diener

Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Kommunikationswissenschaft. Forschungsgebiete: Gender Media Studies, Stereotypenforschung, Intersektionalität

Flo Diener

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