Ein sattgrüner Garten mit roten Rosen und wucherndem Blauregen - zugleich ein Park mit in den Himmel wachsenden Bäumen. Das Bächlein la Rémarde schlängelt sich durch die Wiese. Im Salon des Landhauses mit den vielen Büchern und Porträts von Matisse und Picasso hört man es gurgeln. Wenn Aragon seine Gedichte laut vortrug, musste man das Fenster mit unmittelbarem Blick auf das Mühlenrad schließen. Diese Idylle war ein Stück Heimat für die ewige "Fremde", für "Elsa mit den blauen Augen". Dort, in Saint-Arnoult-en-Yvelines im Rambouillet-Wald bei Paris, ruht sie, neben Aragon, unter zwei Buchen. Auf dem Grab die Inschrift: "... so wird uns die Verflechtung unserer Bücher für das Beste und für das Schlimmste in der Zukunft einen. Vielleicht hätte man mit Hilfe des Todes versucht und geschafft, uns zu trennen, sicherer als der Krieg zeit unseres Lebens: die Toten können sich nicht verteidigen. Unsere vermischten Werke werden sich dagegen wehren, schwarz auf weiß, Hand in Hand, dass wir voneinander gerissen werden." Ab 1964 erschienen die Oeuvres romanesques croisées, Aragons und Elsas Werke "überkreuzt", 42 Bände in Wechselwirkung. Aus der Angst um die Retuschierung und Verfälschung ihres gemeinsamen Lebens und Werks heraus, wie es bei Majakowski geschehen war.
Wenige Monate vor ihrem Tod, am 16. Juni 1970, war Elsa Triolets Die Nachtigall verstummt im Morgengrauen erschienen. Die Nachtigall als Vorbotin des Todes. Die Erzählerin ist müde des Lebens und des Schreibens, sie verabschiedet sich von den Menschen in einem Dialog mit der Vergangenheit und dem Tod. Eine Art Schwanengesang.
Dieses letzte Werk ist in Deutschland nie erschienen. Wie viele Romane und Novellen (insgesamt 24) der in Frankreich anerkannten, wenn auch oft dem Dichter Aragon zugeordneten Schriftstellerin. Erst jetzt kamen eine Biographie und zwei der Frühromane heraus.(*) Das beste ist entweder vergriffen (wie der Science-Fiction-Roman Das rote Pferd - eine apokalyptische Darstellung über die Verwüstungen des Krieges und des Alterns) oder nicht übersetzt (wie Ecoutez-voir, ein illustrierter Roman).
In deutschen Literaturgeschichten kommt sie nicht oder falsch beschrieben vor: "Elsa Triolet sei der Deckname für Esa Blick" - diese sei eine Schwägerin Majakowskis (Brockhaus-Enzyklopädie 1974, Harenberg-Lexikon der Weltliteratur). In Metzlers Autorinnenlexikon (1998) ist Elsa Triolet nicht vorhanden. Die Schriftstellerin musste dafür büßen, dass sie mit einem kommunistischen Poeten verheiratet war. Sie wurde angegriffen, als strenge Frau, die den Bruch ihres berühmten Mannes mit den Surrealisten betrieben und ihn in die Arme der Kommunisten getrieben hätte.
Zwischen der russischen Kindheit mit der Schwester Lilja, der Jugendliebe zu Majakowski, dem Beginn des Schreibens 1924 und der Liebe zu Aragon liegen Jahre der Einsamkeit, der Sehnsucht und der Suche nach einem sinnvollen Leben, ein Wanderleben zwischen London, Paris, Tahiti und Moskau sowie ein Bohème-Leben im Montparnasse der Surrealisten. 1928 kam es zu der Begegnung, die das Leben Elsa Triolets und Louis Aragons ändern sollte. Es folgen 42 Jahre gemeinsamen Lebens, Schreibens und Engagements. Elsa wird sich aber der FKP nicht anschließen. Beide sind in der Résistance aktiv, nach der Befreiung werden sie gefeiert: Aragons Gedichte und Triolets Die Liebenden von Avignon (1943) - eine mit dem Prix Goncourt prämierte märchenhafte Liebesgeschichte - gehören zu den schönsten literarischen Texten. Bald werden sie angegriffen und verleumdet - es ist die Zeit des kalten Krieges.
Geschwiegen hat das Paar in Bezug auf den Stalinismus oft, - ihre Zerrissenheit wird jedoch in neuen Darstellungen deutlich.(**) Das Verhältnis Elsa Triolets zur Sowjetunion ist ein schmerzhaftes. Ihre Sehnsucht nach der Heimat ist begleitet von Enttäuschungen: Die Ablehnung ihres Manuskripts Colliers (1929) über die Pariser Modeindustrie der zwanziger Jahre, trotz Gorkis Zuspruch, empfindet sie als eine Ohrfeige - drei Bücher waren bisher in russischer Sprache erschienen. Danach versuchte Elsa insgeheim auf französisch zu schreiben, zumal sie zunächst keine Unterstützung von Aragon bekam. Der Umzug, das Eintauchen in die französische Sprache fiel ihr schwer: "Ich litt physisch, als habe man mich in ein Gipskorsett gesteckt." Der erste, unkonventionelle Roman in französischer Sprache, Bonsoir Thérèse, über das Alleinsein einer selbstbewussten Frau begeisterte nicht nur Sartre. Eine Schriftstellerin in der besten Tradition des französischen Romans war geboren. Sie war auch die Übersetzerin von Aragon und Céline, von Wladimir Majakowski, Marina Zwetajewa und zugleich Biographin von Anton Tschechow - eine Kulturvermittlerin zwischen Moskau und Paris.
Elsa Triolet ist empört über den Umgang mit Texten in der Sowjetunion. In einem Brief an ihre Schwester Lilja Brik meinte sie 1939: "Aragon darf man nicht korrigieren. Man redigierte meinen Text, wie es in der Sowjetunion üblich ist, man kürzte, ohne den Autoren und den Übersetzer zu fragen. Dadurch wurde die Arbeit furchtbar, unmöglich, beängstigend. "Sie fühlte sich schließlich entmündigt von der Bezeichnung "französische Schriftstellerin": "Als ob ich kein einziges Buch in russischer Sprache geschrieben hätte". Die Gründe für die sowjetische Haltung wusste sie allerdings nicht - erst jetzt wurden Geheimdokumente bekannt, wonach Der Ruineninspektor (1948) - ein Roman über die psychische Zerstörung und Entwurzelung des Menschen als Folge des Krieges - "als völlig belangloses Buch" eingestuft wurde, "von dekadenter Zerrissenheit, von Erotik und Phantasie schlechten Geschmacks." Das Monument (1957), mit einer Kritik am Stalinismus und am sozialistischen Realismus in der Kunst, erschien ebenfalls nicht in der Sowjetunion. Wie Das große Nimmermehr (1965), die humorvollen Betrachtungen eines toten Historikers, der sein eigenes Begräbnis beschreibt, - über die Unmöglichkeit der historischen Wahrheit. Solche Romane "drücken keine fortschrittlichen Meinungen aus", schrieb der Präsident der Auslandskommission Boris Polewoi an das ZK der KPdSU, man vermisse "die positiven Helden".
Nach dem autobiographischen und politischen Schreiben wandte sich Triolet in den sechziger Jahren dem Neuen Roman zu. Die Trilogie Das Nylon-Zeitalter - eine Anspielung an Sartres Zeitalter der Vernunft -, beschreibt die Verwahrlosung der Menschen unter dem Terror der Konsumgesellschaft.
Elsa "mit den blauen Augen", Elsa die Frau und Muse des Dichters Aragon, Elsa, die Schwester von Lilja Brik, der Geliebten des Dichters Majakowski, ist - wenn überhaupt in Deutschland als Schriftstellerin wahrgenommen - zu Unrecht mit dem Etikett des "sozialistischen Realismus" versehen worden. Ihr dichtes und poetisches Schreiben, ihre Suche nach originellen romantischen Formen im Realistischen machen aus ihr eine der großen Roman-Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, über die Camus schrieb: "Trotz Ihrer scharfsinnigen Beobachtungsgabe, Sie sind eine Schriftstellerin des Phantasie - etwas sehr seltenes in Frankreich."
Eine Französin in Russland, eine Russin in Frankreich, eine "Schnittblume", eine Fremde überall, zwischen zwei Sprachen und Kulturen, deren Themen, ob die Einsamkeit, die Entwurzelung, das Fremdsein, die Zeitlichkeit der Liebe oder die historischen Verfälschungen, von Aktualität sind. Und die es (neu) zu entdecken gilt.
(*) Susanne Nadolny, Elsa Triolet. Eine biografische und literarische Collage, edition ebersbach, Dortmund 2000, 160 S., 79, 80 78,- DM.
Elsa Triolet, Colliers de Paris; Die Frau mit dem Diamanten, beide edition ebersbach, Dortmund 1999, 152 S., 26,80 DM; 87 S., 24,80 DM.
(**) Elsa Triolet. Un écrivain dans le siècle, Equipe de Recherches Interdisciplinaires sur Elsa Triolet et Aragon, Verlag L'Harmattan, Paris 2000, 330 S., 160,- FF.
Lili Brik-Elsa Triolet. Correspondance 1921-1970, Verlag Gallimard, Paris 2000, 1630 S., 380,- FF.
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