Auch wenn „Andor“ aus einer neuen Perspektive erzählt – stilistisch ist es immer noch „Star Wars“
Foto: Disney+
In Sachen Star Wars scheint bei Disney nach wie vor Goldgräberstimmung zu herrschen. Vor elf Jahren kaufte der Konzern für über vier Milliarden Dollar die Produktionsfirma Lucasfilm mitsamt den Rechten am Star-Wars-Stoff. Seitdem werden fleißig Spin-offs und Serien produziert, mittlerweile vor allem auch, um Abo-Kunden für den Streamingdienst Disney+ zu gewinnen. So sollten mit der ersten Realfilm-Serie The Mandalorian im November 2019 gleich zum Start des Streamingportals die Fans an Bord geholt werden. Im Dezember 2021 kam die Serie Das Buch von Boba Fett heraus, und im Mai des vergangenen Jahres startete dann Obi Wan Kenobi mit Ewan McGregor in der Titelrolle. Drei weitere Kinofilme sind darüber hinaus in Planung, dazu mehrere Serien, unter anderem eine
ung, dazu mehrere Serien, unter anderem eine über Han Solos zwielichtigen Kumpel Lando. Außerdem soll Jude Law die Hauptperson in einer Serie mit dem Arbeitstitel Skeleton Crew spielen, als Drehbuchautor wurde Damon Lindelof, der Macher der Kult-Serien Lost und Watchmen, verpflichtet. Am 1. März startet überdies bereits die dritte Staffel des inzwischen sehr erfolgreichen Mandalorian.In Sachen Star Wars wird also geklotzt; und entsprechend ambitioniert und kostenintensiv ist auch das allerneuste Sternenkriegs-Produkt, die Serie Andor. Nur hat die zwölfteilige Serie, soweit sich die Nutzerdaten von Streamingdiensten überhaupt verbindlich messen lassen, vergleichsweise schlechte „Einschaltquoten“. Das verwundert, denn bei Kritikern und vielen eingefleischten Fans erfreut sich Andor größter Beliebtheit und hat bereits Kultstatus entwickelt.Vom Söldner zum RebellAndor unterscheidet sich deutlich von bisherigen Star-Wars-Filmen und -Serien. Eine Figur wie Mandalorians Baby-Yoda, die als Spielzeug Einzug in zahlreiche Kinderzimmer hielt und in der Vorweihnachtszeit sogar bei Aldi auf dem Wühltisch lag, ist im Fall von Andor undenkbar. Denn die Serie über Cassian Andor (Diego Luna) und dessen Weg zum revolutionären Kämpfer gegen das Imperium ist vergleichsweise düster und gewalttätig – und erinnert vor allem in den ersten Folgen ästhetisch eher an Filme wie Blade Runner und den rauen „industrial style“ der kapitalismuskritischen Science-Fiction-Kultserie Expanse als an die poppige, Gadget-reiche Welt der bisherigen Star-Wars-Produktionen.Die Serie erzählt die Geschichte von Cassian Andor, der später (Spoiler-Alert: im Star-Wars-Prequel Rogue One von 2016) sein Leben riskiert, als er jene Pläne des Todessterns raubt, die Prinzessin Leia dann im ersten aller Star-Wars-Filme (1977) im Droiden R2-D2 versteckt, eine der Voraussetzungen für Luke Skywalkers schlussendlichen Sieg über Darth Vader.Eingebetteter MedieninhaltAndor schildert nun also, wie aus dem „gesetzlosen“ Cassian Andor der Rebell wird, der sich gegen das scheinbar unbesiegbare Imperium auflehnt. Es gibt Rückblenden in seine Kindheit auf einem Planeten, der durch imperialen Bergbau massiv zerstört wurde, wovon gigantische Abraumhalden zeugen, die ein wenig an die aktuellen Bilder aus Lützerath erinnern. Und es gibt Impressionen aus seinem gaunerhaft-prekären Überleben auf dem Industrie-Planeten Morlana One, wo riesige Raumschiffteile für das Imperium recycelt werden. Dort tötet er im Streit mit zwei imperialen Werkspolizisten eines Tages aus Versehen einen, den anderen schießt er einfach über den Haufen. Das ist harter Tobak im Star-Wars-Universum, wo etwa für die überarbeitete Version der Ursprungstrilogie eine Szene mit Han Solo so umgeschnitten wurde, dass der moralisch integre Held nicht als Erster auf einen Unbewaffneten schießt.Im Kontext dieses sonst so moralinsauren Universums ist Cassian Andor also alles andere als ein strahlender Held; zunächst ist er lediglich ein Söldner, der sich schließlich für einen Coup gegen das Imperium anwerben lässt und nur mitmacht, weil er seinen Heimatplaneten fluchtbedingt verlassen muss. Während die anderen Kämpfer den Neuzugang gar nicht erst in ihre konspirative Rebellengruppe lassen wollen, ist es der antiimperiale Strippenzieher Luthen Rael (Stellan Skarsgård), der auf dem Planeten Coruscant, im Herzen des Imperiums, einen Antiquitätenhandel für die oberen Zehntausend betreibt und im Weltraum konspirativ den Aufstand mitorganisiert, der Andor als Mitstreiter durchsetzt.Aspekte kolonialer HerrschaftsmechanismenParallel dazu sieht man, wie der bürokratische Repressionsapparat des Imperiums angeworfen wird. Die kühle Geheimdienst-Supervisorin Dedra Meero (Denise Gough), deren Uniform aussieht wie eine Mischung aus Wehrmacht und Traumschiff, lässt keine Brutalität aus, um den Rebellen-Coup aufzuklären, der dann ziemlich spektakulär in Szene gesetzt wird und dabei noch einiges über die Verschränkung kultureller und politischer Aspekte kolonialer Herrschaftsmechanismen des Imperiums erzählt. Auf dem proletarischen Planeten Morlana One kommt es schließlich zum grandiosen Showdown, bei dem imperiale Sturmtruppen auch mal mit Schild und Schlagstock im Steinhagel der Aufständischen versuchen, den ziemlich divers daherkommenden Arbeiterklasse-Riot zu zerschlagen. So hat man das Imperium und die Rebellion im Star-Wars-Universum noch nie in Szene gesetzt gesehen.Der „soziale Realismus“ kontrastiert stark mit den sonst eher Fantasy-lastigen Star-Wars-Filmen, deren Kerngeschichte sich ja eigentlich um zwei verlorene Königskinder dreht, die vom bösen schwarzen Mann – Darth Vader – bedroht werden. Die Jedi-Ritter erinnern als Mitglieder einer Kriegerkaste an den Templerorden und rufen per religiöser Versenkung telekinetische Superkräfte ab oder erteilen als transparente Wesen gut gemeinte Ratschläge im Kampf gegen das Böse. Nichts von diesem Fantasy-Schnickschnack findet sich in Andor. Stattdessen wird die unschöne Arbeitsrealität dieser Science-Fiction-Welt in Szene gesetzt, etwa die auf einem Gefängnisplaneten, wo mit autoritär kontrollierter Fließbandarbeit die geschrotteten Waffensysteme des Imperiums neu zusammenmontiert werden.Aber noch in anderer Hinsicht geht Andor im wahrsten Sinn des Wortes mehr unter die Haut. Wer angeschossen wird, blutet, egal ob Rebell oder imperialer Soldat, wo doch im bellizistischen Star-Wars-Universum sonst zwar massenhaft gestorben wird, aber nie Blut zu sehen ist. Was auch ein Grund dafür sein dürfte, dass mehrere dieser Weltraum-Kriegsfilme ab sechs Jahren freigegeben sind. Aber auch die sonst eher getragene und hoffnungsvoll klingende Streichermusik, die noch in Rogue One erklingt, wenn Tausende von imperialen Soldaten beim Crash zweier Raumschiffe in den Tod stürzen, oder die unzähligen schnulzigen Geigen, die man im selben Film hört, kurz bevor (Spoiler-Alert) eine tödliche Welle aus Plasma und Wasser Cassian Andor und Jyn Erso (Felicity Jones) hinwegfegt, wird man in der Serie Andor nicht finden.Keine Gut-gegen-Böse-LogikStattdessen ertönt flotte elektronische Musik, wenn Cassian nach gelungenem Coup an einer Strandpromenade entlang flaniert. Seine Wandlung vom Söldner zum Rebellen hat viel mit einer Begegnung mit dem jungen Kämpfer Karis Nemik (Alex Lawther) zu tun, der ein libertär klingendes Manifest gegen das Imperium geschrieben hat. Der proletarische Cassian liest es immer wieder. Aber auch das Privatleben von Menschen, die für das Imperium kämpfen, wird detailliert in Szene gesetzt, wodurch die platte „Gut gegen Böse“-Logik, die sonst das Star-Wars-Universum ordnet, geradezu subversiv unterlaufen wird.Vom arbeitslos gewordenen Sicherheitsbeamten Syril Karn (Kyle Soller), der eine eigenmächtige Polizeiaktion in den Sand gesetzt hat, über die verbissen an ihrer Karriere arbeitende Geheimdienstmitarbeiterin Dedra Meero bis zur Senatorin Mon Mothma (Genevieve O’Reilly), die heimlich Geld für die Rebellion sammelt, wird ein ganzes Panorama von imperiumstreuen Figuren, Befindlichkeiten und Alltagspraktiken inklusive ihrer Widersprüchlichkeiten aufgefächert.Auf diese Weise tritt in Andor so etwas wie die sonst nicht sichtbare Unterseite des Star-Wars-Universums in Erscheinung. Die zwölf Folgen, von denen die Hälfte übrigens von Regisseur Toby Haynes inszeniert wurde, dem Macher der Emmy-prämierten Folge USS Callister der Sci-Fi-Serie Black Mirror, sind mithin eine notwendige sozialrealistische Ergänzung zu diesem sonst so biederen, schnulzigen und hollywoodesken Universum, das hier um eine absolut sehenswerte herrschaftskritische Perspektive erweitert wird.
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