Antirassistischer Bestseller „Kindred“: Ein Punk auf der Plantage
Streaming Octavia Butler ist eine der Autorinnen, die das Genre des Science-Fiction geprägt haben und viel zu wenig beachtet werden. Jetzt wurde ihr antirassistischer Zeitreise-Bestseller „Kindred: Verbunden“ als Serie adaptiert. Sehenswert!
Aus dem Jahr 2015 wird Dana (Mallori Johnson) plötzlich ins 19. Jahrhundert gerissen und trifft ihre vermeintlich verstorbene Mutter
Foto: FX Networks
Trotz des seit Jahren anhaltenden Science-Fiction-Booms, bei dem meist auf literarische Vorlagen zurückgegriffen wird, haben es die zahlreichen linken, feministischen Romane kaum geschafft, fürs Kino oder Streaming adaptiert zu werden. Und das, obwohl viele dieser Bücher für das Genre stilprägend sind. Ursula Le Guin, Joanna Russ, Marge Piercy und Octavia Butler ließen sich fast schon als die Fab Four der herrschaftskritischen SF bezeichnen.
Ihre zwischen den 1960ern und späten 1980ern erschienenen Bücher werden bei Weitem nicht nur von Feministinnen gelesen, sondern gehören zum festen Kanon des Genres. Immerhin scheint Le Guins preisgekrönter Roman Das Wort für Welt ist Wald (1973), eine Allegorie auf den Vietnam-Krieg und die rassisti
eg und die rassistische Politik gegen die amerikanischen Ureinwohner, maßgeblich James Camerons Avatar inspiriert zu haben, wenngleich sie selbst über den Film sagte, er „kehrt die moralische Prämisse des Buches völlig um und (…) die Massengewalt wird als Lösung dargestellt“.Eingebetteter MedieninhaltDavon abgesehen hat sich die Filmindustrie von dieser reichhaltigen literarischen Ressource bisher ferngehalten, dabei beinhaltet etwa Marge Piercys Roman Er, Sie und Es (1991) über ökologische Katastrophen, spätkapitalistische Krisen und die Möglichkeiten künstlicher Intelligenzen ein ganzes Bündel zeitgenössischer Themen.Fortsetzung vorprogrammiertNun hat der zu Disney gehörende Streamingdienst Hulu Octavia Butlers Roman Kindred (1979) als Serie umgesetzt. Der antirassistische Zeitreise-Klassiker gehört in den USA für viele seit Jahrzehnten zur Lektüre in High School, College und kommunalen Lesezirkeln. Der Roman erzählt von der jungen Schwarzen Dana, die zwischen der Gegenwart in Los Angeles und einer Plantage in Maryland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo ihre Vorfahren als Sklaven leben, hin- und herreist, ohne das kontrollieren zu können.Hierzulande war das 1983 unter dem Titel Vom gleichen Blut bei Bastei Lübbe erschienene Taschenbuch lange vergriffen, 2016 kam im Verlag w_orten und meer eine Neuübersetzung unter dem Titel Kindred: Verbunden heraus. Das ist auch der deutsche Titel der achtteiligen Streamingserie, die von Hulu nach dieser ersten Staffel eingestellt worden ist. Kritiker gehen allerdings davon aus, dass der Macher des Prestigeprojekts, Branden Jacobs-Jenkins, ein 39-jähriger, mit Preisen überhäufter Theaterregisseur aus dem Off-Broadway-Bereich, der zum ersten Mal fürs Filmgeschäft arbeitete, sich erfolgreich bei anderen Streamingdiensten um eine Fortsetzung der beeindruckend gemachten Serie bemühen dürfte.Dabei wurde die Interpretation von Butlers Roman in der Serie, die sehr frei mit der literarischen Vorlage umgeht, mitunter durchaus kritisiert. Es ließe sich aber auch sagen, dass Branden Jacobs-Jenkins zeigt, wie sich der Stoff mit aktuellen Bezügen entwickeln lässt, wenn man sich denn traut.Butler siedelte ihren Roman im Vorfeld der 200-Jahr-Feiern der amerikanischen Unabhängigkeit im Juni 1976 an. Kindred erzählt die andere, nicht offizielle und nicht-weiße Geschichte Amerikas, berichtet von rassistischer Unterdrückung und von jenen, die anonymisiert als Gruppe Erwähnung finden, aber im historischen Diskurs nicht als handlungsmächtige Akteure repräsentiert werden. Wie verhält sich eine bildungsbürgerliche Schwarze Frau aus den politisierten, kämpferischen, rassismuskritischen 1970er Jahren, wenn sie plötzlich 160 Jahre in die Vergangenheit zurückgeschleudert zur Sklavin wird?Diese Geschichte erzählt natürlich auch die Serie, aber sie setzt im Jahr 2015 ein. Als Dana (Mallori Johnson) plötzlich in die Vergangenheit gerissen wird, begegnet sie dort im Gegensatz zum Roman ihrer vermeintlich vor Jahren verstorbenen Mutter Olivia (Sheria Irving), die im 19. Jahrhundert feststeckt. Darüber hinaus entwirft die Serie eine komplexe Handlung rund um Danas Leben in der Gegenwart, was im Roman weit weniger eine Rolle spielt.Neben dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Tante Denise (Eisa Davis) und der Frage, ob Dana eigentlich langsam den Verstand verliert und sich das alles womöglich nur einbildet, geht es unter anderem auch um einen nachbarschaftlichen Streit mit einem weißen Ehepaar, das irgendwann nachts sogar die Polizei holen will und als zeitgenössische Entsprechung zu den Sklavenpatrouillen Dana unter autoritären Druck setzt.Mit rassistischen Nachbarschaftsverhältnissen beschäftigte sich Branden Jacobs-Jenkins auch schon in seinem Theaterstück Neighbors. Überhaupt merkt man der Serie deutlich die Handschrift des Theaterregisseurs an. Die Figuren werden ungemein dialogreich entwickelt, was der Serie auch immer wieder einen kammerspielartigen Charakter verleiht. Butlers 250 Seiten langer Roman ist dagegen sehr temporeich und lebt vor allem von der Stimme der Ich-Erzählerin, die es in der Serie so nicht gibt. Da in der Verfilmung auch neue Handlungsstränge dazukommen, erstreckt sich die erste Staffel gerade mal über etwa ein Viertel der gesamten Romanhandlung. Ursprünglich war die Verfilmung über mehrere Staffeln angelegt.Kein „Black Trauma Porn“Der Cliffhanger am Ende der jetzt im Stream verfügbaren ersten Staffel löst sich auch nicht durch die Kenntnis des Romans auf. Dabei inszeniert die Serie eindrücklich, wie sich Dana und ihr weißer Freund Kevin (Micah Stock), den sie schließlich in die Vergangenheit mitnimmt und der das erste Mal im Punk-T-Shirt auf der Plantage im Maryland von 1815 landet, während der verschiedenen Reisen auf die dortigen Menschen einlassen und Teil des sozialen Kosmos im 19. Jahrhundert werden. Dana rettet jedes Mal das Leben des jungen Rufus (David Alexander Kaplan), Sohn des widerwärtigen Plantagenbesitzers Thomas Weylin (Ryan Kwanten) und seiner Frau Margaret (Gayle Rankin). Sie schließt aber auch Freundschaft mit den versklavten Menschen auf der Plantage, unter anderem mit Luke (Austin Smith) und seinem Sohn Nigel, dem sie das Lesen beibringt. Im Gegensatz zum Roman verzichtet die Serie bis auf das Ende der ersten Staffel auf die explizite Darstellung körperlicher Gewalt gegen Schwarze Menschen.Kindred bringt vielmehr die sozialen und kulturellen Umgangsformen zur Darstellung, die den Rassismus aber ebenfalls auf verstörende und schmerzhafte Weise in Szene setzen. Der weitestgehende Verzicht auf die Abbildung von Gewalt dürfte vor allem auch mit den feuilletonistischen Debatten rund um das Thema „Black Trauma Porn“ in den USA der vergangenen Jahre zu tun haben. Seit Steve McQueens Film 12 Years a Slave (2013) wird heftig über die Frage gestritten, wie viel Gewalt gegen Schwarze Menschen in der Filmindustrie reproduziert und wie viel Geld damit verdient wird.Während etwa in der jüngsten Apple-TV-Produktion Emancipation (2022) mit Will Smith eine regelrecht entgrenzte Darstellung von Gewalt gegen Schwarze Menschen zu sehen ist, versucht der Bürgerrechts-Film Till (2022) die Bilder derartig traumatisierender Gewalt eher zu vermeiden, wenn auch nicht ganz. Dabei thematisieren beide Filme die Frage der politischen Wirkmächtigkeit solcher Bilder. Ähnliche Debatten gibt es auch um die Produktionen von Jordan Peele (Lovecraft Country) oder den Oscar-prämierten Kurzfilm Two Distant Strangers (2021), der eine an den Fall George Floyd erinnernde Ermordung eines Schwarzen Mannes durch einen weißen Polizisten im Stil von Und täglich grüßt das Murmeltier als Endlosschleife zeigt.Es bleibt abzuwarten, ob und wenn ja wann Kindred: Verbunden fortgesetzt wird. Denn Butlers Bücher erfreuen sich gerade großer Beliebtheit im Filmbereich. Amazon plant schon länger, den ersten Teil von Butlers Xenogenesis-Trilogie über eine von Aliens kolonisierte Erde zwei Jahrhunderte nach einem apokalyptischen Atomkrieg umzusetzen. Dem mag auch ein gewisser Hype um den Afrofuturismus zugrunde liegen, der mit dem Superheldenfilm Black Panther aus dem Hause Marvelendgültig im Kinomainstream angekommen ist. Aber auch HBO dreht nun eine afrofuturistische Serie und setzt Wer fürchtet den Tod, den Debütroman der derzeit wohl bekanntesten Vertreterin des literarischen Afrofuturismus, Nnedi Okorafor, um. Und Okorafor selbst wiederum schreibt derzeit ebenfalls für Amazon eine Drehbuchfassung von Octavia Butlers SF-Roman Wilde Saat. Was von all diesen Film- und Serienplänen tatsächlich umgesetzt wird, muss sich noch zeigen. Eine Fortsetzung von Kindred: Verbunden wäre definitiv wünschenswert.Placeholder infobox-1