Apple-TV-Serie „Shining Girls“: Per Zeitreise dem eigenen Killer auf der Spur

Streaming Elizabeth Moss spielt in der Apple-Serie „Shining Girls“ ein Opfer, das gegen seinen Täter ermittelt. Darin schlummert ein feministisches Statement
Ausgabe 19/2022

Geschichten über Serienkiller bietet die Kulturindustrie zuhauf. Zumeist gehen mit allen Wassern gewaschene, fast immer männliche Ermittler gegen die nicht selten als verkappte Genies stilisierten Bösewichte vor. Ganz anders ist das in der neuen Apple-TV-Serie Shining Girls, der Adaption des gleichnamigen Romans der südafrikanischen Autorin Lauren Beukes von 2013. Hier ermittelt eine Überlebende gegen einen Serientäter (Jamie Bell), der durch die Zeit reist und in Chicago im Lauf mehrerer Jahrzehnte unzählige Frauen brutal ermordet. Kirby Mazrachi (großartig gespielt von Elisabeth Moss) ist durch den Überfall, den sie mit Mitte zwanzig schwer verletzt überlebt hat, auch Jahre später Anfang der 1990er noch stark traumatisiert. Immer wieder verändern sich auf gespenstische Weise Details ihrer Realität. Mal kommt sie nach Hause und stellt fest, dass sie in einer anderen Wohnung im gleichen Gebäude lebt, dann hat sie plötzlich keine Katze mehr, sondern einen Hund oder an ihrem Arbeitsplatz im Pressearchiv des Chicago Observer sitzt ein Kollege und sie hat – schon immer, wie ihr versichert wird – einen Schreibtisch am anderen Ende des Raums. Wird sie langsam verrückt? Leidet sie unter einer Psychose als Folge ihrer Traumatisierung? Oder was ruft diese Veränderungen der Realität hervor, die nur sie wahrnimmt?

Durch Zufall erfährt Kirby, dass ihr Kollege Dan (Wagner Moura) einem Mordfall nachgeht, bei dem eine junge Frau getötet und ganz ähnlich verletzt wurde wie sie damals bei dem Überfall. Sie klinkt sich in die Recherchen mit ein und bald stellen die beiden fest, dass es in Chicago eine ganze Reihe ähnlicher Morde gab, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, aber eindeutig miteinander zu tun haben. Die Polizei hat keine Ahnung, dass es sich hier um einen Serienkiller handeln muss. Bald stellt sich die Frage, wer das nächste Opfer sein könnte. Kirby versucht, dem Täter zuvorzukommen.

Shining Girls erzählt diese schreckliche Geschichte aus der weiblichen Opferperspektive und stellt dabei vor allem die Frage, ob und wie traumatisierte Menschen Handlungsmacht entwickeln können oder ob das eben in bestimmten Situationen auch gar nicht möglich ist. Der durch die Zeit reisende Täter, der Frauen beobachtet, ihr Leben ausspioniert und ihnen auflauert, wird zur Allegorie auf männliche Gewalt als Konstante in der Geschichte, gegen die Kirby mit aller Macht ankämpft.

Dabei gerät Kirbys Realität und auch die von anderen Menschen zusehends durcheinander. Bald ist sie nicht mehr die einzige Person, die bizarre Veränderungen der Wirklichkeit wahrnimmt. Und jedes Mal, wenn etwas anders wird, verschieben sich soziale Koordinaten stets zuungunsten der Frauen, die im Fokus des sadistischen Täters stehen. Die Zeitungsredaktion wird bald zum Recherchezentrum gegen den durch die Zeit reisenden Mörder, dessen Rolle sich in dieser komplexen, durch die Jahrzehnte reichenden Geschichte erst ganz langsam erschließt. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Unterstützung der Journalisten für Kirby nur für eine weitere Story im sensationsheischenden Medienbetrieb sorgen soll oder eine wirkliche Hilfe in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation ist.

Shining Girls ist eine über die ganze Länge der acht Folgen mitreißende und spannende Serie mit großartigen Schauspielern, die jenseits gängiger Schönheitsnormen eine scheinbar aus dem Leben gegriffene Geschichte erzählt, dabei aber doch immer wieder auf unglaublich dynamische Weise ins Fantastische abdriftet. Die Anleihen bei Science-Fiction, Mystery und Horror, die gemacht werden, ergeben einen überraschend stimmigen Genre-Mix, ohne je ins Beliebige abzugleiten.

Männliche Minderwertigkeitskomplexe

Im Trend liegt die Serie trotzdem. So erzählt etwa die englische Produktion The Rising, ab Ende Mai auf Sky zu sehen, eine ganz ähnliche Geschichte. Ebenfalls eine Kriminalgeschichte mit Mystery-Elementen, versucht darin eine Frau ihren eigenen Mord aufzuklären und wird ebenfalls mit jeder Menge gewalttätiger und frustrierter Männer konfrontiert, die sich auch noch zu Opfern stilisieren.

Insofern schlummert in Shining Girls ebenso wie in The Rising ein feministisches politisches Statement gegen die selbstgerechte, idiotische und machterhaltende Borniertheit männlicher Minderwertigkeitskomplexe und daraus resultierender Gewalt.

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