Der Klassenkampf versteckt sich „offshore“

Die Buchmacher John Urry hat Orte untersucht, an denen sich Reichtum, Ausbeutung und der Finanzsektor verstecken. Gegen das Offshore-Prinzip helfen nur Bewegungen wie „Transition Town“
Ausgabe 17/2015
Immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens befinden sich „offshore“
Immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens befinden sich „offshore“

Foto: Lakruwan Wanniarachchi/AFP/Getty Images

Im globalisierten Kapitalismus spielt Offshoring eine bedeutende Rolle: Egal, ob es um das Auslagern von Produktion und Arbeit geht, um den Transfer von Devisen in weit entfernte Steueroasen oder um eine neue Art der Unterhaltungskultur in organisierten Tourismus- und Freizeitresorts – immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens befinden sich „offshore“. Wörtlich übersetzt bedeutet dies: Man ist vom Land aus nicht mehr zu sehen, begibt sich also hinter den Horizont, um unsichtbar zu werden. Obwohl dieses Phänomen kein völlig neues ist, hat sich die Soziologie bisher kaum mit ihm beschäftigt, moniert der britische Sozial- und Kulturgeograf John Urry. Mit Grenzenloser Profit. Wirtschaft in der Grauzone legt er ein flott geschriebenes Buch vor, das Offshoring wirtschaftssoziologisch wie kulturgeschichtlich untersucht.

Der Ausbau der Sonderwirtschaftszonen wurde in den 1970ern auf UN-Beschluss forciert, 1979 entstand im chinesischen Shenzhen das erste Sondergebiet. Die Entstehungszeit dieser Zonen liegt nicht zufällig an der historischen Scheidelinie zwischen der Krise der 70er und dem Beginn der neoliberalen Wirtschaftsordnung Anfang der 80er. Offshoring ist untrennbar mit diesem Umbau der globalisierten Wirtschaft verbunden.

Urry sieht darin eine Strategie des „Klassenkampfes von oben“. Vermögende Privatpersonen und Konzerne können durch Offshoring außerhalb bestimmter Rechtsnormen ihren Reichtum verstecken und vor nationalstaatlichem Zugriff bewahren. Die Auslagerung von Arbeit spielt eine ebenso große Rolle in Zeiten, da Firmen mit Arbeitsplatzabbau drohen und Produktionsketten ins Ausland verlagern, wo es weder Gewerkschaften noch Sicherheitsstandards für Arbeiter gibt. Das betrifft die in Verruf geratene Textilindustrie mit ihren Fertigungsbetrieben im globalen Süden, aber auch Tausende ungelernter Arbeiter, die an der indischen Küste in Alang mit Schweißgeräten und ohne Sicherheitsvorkehrungen ausrangierte Tanker zerlegen.

Neben der Arbeit und dem vor den Steuerbehörden versteckten Reichtum befördern die lockeren Gesetzgebungen im Finanzmarktbereich das Offshoring. Die heute oft beklagte Dominanz des Finanzsektors wäre unmöglich ohne die ausgelagerten Scheinfirmen und Finanzinstitute auf den Cayman-, den Jungferninseln oder anderen Offshore-Plätzen. Weil diese Küstenstreifen meist auch als Ferienparadiese ausgebaut wurden, bieten sie die nötige Fassade der Respektabilität. Daneben sind gut ausgebaute Transportwege, sichere Kommunikationsverbindungen und politische Stabilität nötig, um als Offshore-Platz zu fungieren. Zur Aufrechterhaltung dieser Fassade ist die koloniale oder postkoloniale Macht entscheidend, so Urry, wobei mit der Schweiz auch ein europäisches Land alle Voraussetzungen bietet, um als Offshore-Finanzplatz mit weiter abgelegenen Gebieten zu konkurrieren.

John Urry votiert in seinem Essay für eine materielle Rückführung der offshore verlagerten Reichtümer und Produktionen. Er schlägt eine Relokalisierung der Wirtschaft vor, wie sie die Transition-Town-Bewegung propagiert, um zugleich Lösungen für den Klimawandel zu finden. Denn auch der erdölbasierte Raubbau ist entscheidend für das Funktionieren der Offshore-Welten. „Der Kampf gegen Offshoring erfordert eine mächtige soziale Kraft“, schreibt John Urry. Ihm ist klar, dass es sich dabei nur um eine global agierende Zivilgesellschaft handeln kann.

Info

Grenzenloser Profit. Wirtschaft in der Grauzone John Urry Hans Freundl (Übersetzung), Wagenbach 2015, 192 S., 17,90 €

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