Gut einen Monat vor der französischen Präsidentschaftswahl, aus der Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National im schlimmsten Fall als Siegerin hervorgehen könnte, wird in einem Roman schon mal das Worst-Case-Szenario einer rechtsextremen Regierungsbeteiligung durchgespielt. Mit Der Block erscheint ein spannender Roman des französischen Krimiautors Jérôme Leroy, in dem eine rechtsextreme Partei Koalitionspartner der unter Druck geratenen Regierung wird. In der Fiktion sind es nicht Terroranschläge, sondern Krawalle migrantischer Jugendlicher in den Banlieues, die zum Ausnahmezustand führen und den Rechten in die Hände spielen. Es gibt hunderte Tote, vornehmlich Jugendliche, die von den Rassisten über Jahre aufgeheizte Stimmung führt wie erwartet zum Rechtsruck. Die Regierung droht zu stürzen, und der Bloc Patriotique, kurz der Block genannt, steigt mit seiner Vorsitzenden Agnès Dorgelles in die Regierung ein.
Während nachts im Elysée-Palast über die Verteilung von Ministerien geschachert wird, sitzt Antoine, der Ehemann von Agnès Dorgelles, ein rechter Schriftsteller und Chefpropagandist der Partei, in seiner Wohnung und betrinkt sich. Sein bester Freund und langjähriger Mitkämpfer Stanko, ein ehemaliger Skinhead und Chef des prügelnden Ordnerdiensts der Partei, wird währenddessen zur Jagd freigegeben. Er versteckt sich in einem heruntergekommenen Pariser Hotelzimmer. Denn der Block will die militant-neonazistische Altlast vor der Regierungsübernahme entsorgen. Im Lauf der Nacht lassen beide die Geschehnisse der vergangenen Jahre Revue passieren, das ist eine drastische Innenansicht der nationalistischen und rassistischen Bewegung in Frankreich. Jérôme Leroys Fiktion über eine rechte Regierungsbeteiligung erschien im Original bereits 2011. Nun droht die Fiktion von der Realität eingeholt zu werden. Der Stoff wurde verfilmt unter dem Titel Chez Nous und lief in Frankreich im Februar in den Kinos, was zu wütenden Reaktionen vonseiten des Front National führte.
Mit Mussolini-Fans
Hierzulande wird der Film erst im August zu sehen sein. Leroys literarische Fiktion liest sich wie eine mitreißend geschriebene und beängstigende Studie des rechtsextremen Milieus im Frankreich der vergangenen 30 Jahre. Denn auch wenn der Roman eine Fiktion ist, handelt es sich bei dem Block klar um den Front National, der „verpixelt“ wurde, wie Jérôme Leroy im Nachwort schreibt. Dabei hat Jérôme Leroy diese Kriminalgeschichte eng an der historischen Realität entlanggeschrieben, was noch einmal durch ein angehängtes Glossar verdeutlicht wird, in dem Schlüsselbegriffe, Parteien und Verbände der extremen Rechten in Frankreich erklärt werden. Wobei Leroy seine Geschichte der Rechten auch als kultur- und alltagspolitisches Phänomen erzählt. Der intellektuelle Romanautor Antoine und der kahlköpfige, exzessiv gewalttätige Stanko bilden dabei zwei unterschiedliche Pole einer rechtsextremen Bewegung, die sich bestens ergänzen. In der Rückblende werden die Biografien der beiden ausgebreitet, sodass Der Block fast schon zu einem Coming-of-Age-Roman französischer Neofaschisten gerät.
Neben den Hauptpersonen Antoine und Stanko geht es auch um das Gerangel unterschiedlicher, zum Teil einander heftig bekämpfender Parteien, um subkulturelle Identitäten, wie sie Skinheads und Fußballrowdys zelebrieren, das Panorama reicht aber auch von Gymnasiasten und „Identitären“, die für Mussolini schwärmen, über provinziell-biedere Parteikader und ehemalige Militärs bis hin zu alten Faschisten und Antikommunisten, die bereits für das Naziregime mordend durch Europa zogen. Auf den 300 Seiten bietet Leroy ein detailliert beschriebenes Personal dieser rechten Bewegung auf. Der Roman ließe sich auch als literarische Umsetzung einer umfangreichen Antifa-Recherche bezeichnen.
Wobei die Rechten in Leroys Erzählung eben nicht nur tumbe Schläger sind, das Personal erstreckt sich vom erwerbslosen Hilfsarbeiter bis weit hinein ins bildungs- und großbürgerliche Lager. Der intellektuelle Antoine sieht sich ebenso Filme von-Jean-Luc Godard an und zitiert aus Romanen von Philip K. Dick, wie er auch rechte Parolen grölt und sich in seiner Jugend ständig prügelte. Seinen Karrieresprung in der Partei schafft er mit einer popkulturellen Kampagne, bei der er die in den 1990er Jahren so populäre Serie Akte X für seine Zwecke zum Rekrutieren Jugendlicher nutzt, eine Masche, die an die „identitäre“ Bewegung in Deutschland erinnert.
In Antoines Wahrnehmung – und hier dürfte er stellvertretend für weite Teile der Rechten in ganz Europa stehen – gibt es „eine Welt davor“ und „eine Welt danach“, die er in seinen Reflexionen immer wieder bemüht. Gemeint sind damit die Revolte von 1968 und ihr kulturpolitisches Erbe.
Tut durchaus weh
Jérôme Leroy erklärt das Erstarken der politischen Rechten in den vergangenen 30 Jahren auch mit der Enttäuschung klassisch linker Wählerschichten und der Arbeiterschaft durch die Sozialdemokraten und ihren neoliberalen Umbau im Lauf der 1980er und 1990er Jahre. Diese These wird bekanntlich nicht nur in Frankreich viel diskutiert. Sie erinnert auch an einige Argumentationslinien aus Didier Eribons autobiografischem Roman Rückkehr nach Reims, der letztes Jahr Furore machte. Jérôme Leroy versucht diesem Phänomen der Neuen Rechten mit fiktionaler Prosa zu Leibe zu rücken, was ihm durchaus gelingt, auch wenn er bei der Innenansicht seiner Figuren immer wieder rassistische Sprüche und Stereotype reproduziert. Das tut beim Lesen durchaus weh.
„Was die extreme Rechte angeht, so meine ich, dass die klassischen antifaschistischen Denkmuster allein nicht mehr genügen, um ein Phänomen zu verstehen, das auf dem gesamten europäischen Kontinent ein solches Ausmaß angenommen hat“, schreibt Leroy im Nachwort des Romans. Er betont, dass neben ausgiebiger Recherche auch Erlebnisse antifaschistischer Kämpfe zur Entstehung seines Romans beigetragen haben. Im Vorfeld der anstehenden Wahl in Frankreich ist Der Block eine empfehlenswerte Lektüre.
Info
Der Block Jérôme Leroy Cornelia Wend (Übers.), Nautilus 2017, 320 S., 19,90 €
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