Die Abrechnung der Geliebten

Roman Der experimentelle Wurf „Wittgensteins Mätresse“ ist ein postmoderner Klassiker, der jetzt auf Deutsch erscheint
Ausgabe 22/2013

David Markson ist ein unbekannter, mittlerweile verstorbener Schriftsteller aus den USA, von dem es bisher auf Deutsch noch kein Buch gab. Ende der Achtziger schrieb der in der Literaturszene von Greenwich Village wie ein bunter Hund bekannte Krimiautor den experimentellen Roman Wittgensteins Mätresse. In dem philosophischen Endzeit-Science-Fiction-Roman lebt eine Frau als letzter Mensch allein auf einer entvölkerten Erde, fährt von Land zu Land, haust in Museen wie Louvre und Tate Gallery, zündet ab und zu aus Versehen Gebäude an und räsoniert in einem langen Monolog über die westliche Kultur.

Mit einem Vierteljahrhundert Verspätung kommt die postmoderne Präziose nun im Berlin Verlag heraus, versehen mit prominenten Nachworten von Elfriede Jelinek und David Foster Wallace. Letzterer hatte aus seiner Begeisterung für Wittgenstein heraus des Titels wegen Marksons Roman entdeckt und zu neuem Ruhm verholfen. Dabei war der 1927 geborene Markson mit seinem dreihundertseitigen Monolog des letzten lebenden Menschen angeblich bei 55 Verlegern abgeblitzt, ehe Wittgensteins Mätresse endlich veröffentlicht wurde. Noch öfter lief nur Tristan Egolf ins Leere, dessen weltweit erfolgreiches Debüt Monument für John Kaltenbrunner über 70 Mal abgelehnt wurde. Wobei Markson ganz klar kein Massenpublikum anspricht. Wittgensteins Mätresse gibt „einfallsreich und konkret die überaus trübe mathematische Welt wieder (…), die von Wittgensteins Tractatus revolutioniert wurde“, wie David Foster Wallace so schön schreibt. Er haucht „dem, was als Mechanismus konzipiert ist, Pulsschlag, Atem, Leid, Leben usw. ein“.

Das hat bei der Lektüre durchaus seine Längen, ist aber zweifelsfrei ein Meilenstein der Literaturgeschichte. Denn der trockene, logische Erzählfluss der letzten Frau auf Erden, die zwischen Wahnsinn und erschreckender Nüchternheit schwankt, ist im Grunde ein Kulturkommentar, der von der Odyssee über Rembrandt und Brahms bis hin zu Willem de Kooning reicht. Dass der Berlin Verlag den Mut hat, dieses sperrige Stück Literatur zu veröffentlichen, mag mit den beiden Nachworten aus prominenter Feder zu tun haben. Denn sonst gilt bei deutschen Verlagen ein vorsichtiger Umgang mit der literarischen Postmoderne made in USA.

Wenn deren Ikonen Donald Barthelme, Robert Coover oder John Barth in den Sechzigern und Siebzigern als Vertreter der damaligen amerikanischen Gegenwartsliteratur in deutschen Verlagsprogrammen wie Suhrkamp oder Rowohlt auch große Präsenz hatten, so flogen sie doch recht zügig aus den Regalen deutscher Buchhandlungen. John Barth beispielsweise wurde vor ein paar Jahren wiederentdeckt und neu verlegt, aber ebenso die Die schwimmende Oper wie sein epochaler Schelmenroman Der Tabakhändler sind nicht mehr lieferbar. Robert Coover findet man am ehesten auf den Wühltischen der Discounter wie Real oder Woolworth, wo überhaupt immer wieder die Perlen der literarischen Postmoderne auftauchen zwischen Arztromanen und veralteten Steuertipp-Sachbüchern.

Die Bücher von Kurt Vonnegut und die feministischen Science-Fiction-Romane von Marge Piercy werden derweil zu horrenden Preisen im Internet gehandelt. Letztere sollen demnächst im Argument Verlag wieder erscheinen. Insofern sollte man sich über jeden neu aufgelegten Roman aus dem postmodernen literarischen Kanon freuen und schnell zugreifen. In spätestens zwei Jahren ist das Buch wieder vom Markt verschwunden und kann frühestens von der nächsten Generation erworben werden. Mal sehen, wer dann das marktgerechte, prominente Nachwort schreibt.

Wittgensteins Mätresse David Markson Sissi Tax (Übers.), Berlin Verlag 2013, 336 S., 22.99 €

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