Die Frau muss es richten

Krimi Kate Winslet gibt in „Mare of Easttown“ eine toughe, unscheinbare, Junkfood essende Provinzpolizistin
Ausgabe 21/2021

Das Krimi-Genre wartet seit Jahr und Tag mit einer schier unendlichen Fülle an eigenbrötlerischen Ermittlern auf, die ein persönliches Trauma zu verarbeiten haben und in einem Mordfall ermitteln, bei dem sie sich immer tiefer in die Geschichte hineinwühlen, als würden sie damit ihren Seelenschmerz verarbeiten. In diese Kategorie gehört auch Kate Winslet als die titelgebende Polizeibeamtin Mare Sheehan in der siebenteiligen HBO-Serie Mare of Easttown. Wobei die geschiedene Mutter zweier Kinder, von denen eines Suizid verübt und ihr ein Enkelkind hinterlassen hat, weit mehr ist als ein weiterer, durch eine banale Krimigeschichte stolpernder Cop. Mare of Easttown bemüht sich um ein komplexes Gesellschaftsporträt. Die Geschichte ist in einem kleinstädtischen Working-Class-Suburb-Milieu im Großraum Philadelphia angesiedelt. In dem 10.000-Einwohner-Nest Easttown kennt jeder jeden. Mare ist eine Lokalheldin, weil durch ihren Treffer vor über 20 Jahren die örtliche Basketball-Highschool-Mannschaft eine nationale Meisterschaft gewonnen hat.

Im Umgang mit Nachbarn ist Mare oft mehr Sozialarbeiterin als Polizistin, etwa wenn sie den heroinabhängigen Bruder einer Freundin verhaften soll, ihn aber stattdessen in die Obdachlosenunterkunft bringt. Einen bedeutenden und vor allem ungelösten Fall gibt es in ihrem Zuständigkeitsbereich: Seit über einem Jahr sucht Mare vergebens nach einem verschwundenen weiblichen Teenager, die Tochter einer früheren Mitschülerin, die auch zum legendären Basketball-Team gehört und Mare öffentlich als Versagerin beschimpft. Als dann plötzlich eine weitere junge Frau ermordet aufgefunden wird, vermuten viele, dass es sich um einen Serientäter handeln könnte. Der Druck auf Mare wächst. Ihr wird der junge Ermittler Colin Zabel (Evan Peters) an die Seite gestellt, den die bärbeißige Mare mehr schlecht als recht erträgt.

Kleinstadt im Brennglas

Die Krimigeschichte tritt – so scheint es jedenfalls – irgendwann sogar in den Hintergrund, um dann aber umso heftiger wieder hervorzukommen und plötzlich zum Brennglas dieses kleinstädtischen Mikrokosmos zu werden. Denn die miteinander verschränkten Familiengeschichten in Easttown, die Eifersüchteleien, die sexuellen Begehrlichkeiten, die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Generationen, die Lebensweise der Einwohner, vom Junkfood-Essen bis zu den protzigen Autos, erzeugen ein komplexes Panorama, das ungemein stimmig inszeniert ist. Die Schauspieler arbeiten sich sogar am regionalen Akzent, dem „delco-accent“ (benannt nach dem Delaware Country) ab, weswegen in den USA, wo die Serie schon seit Mitte April läuft, viel über die regionalen Eigenheiten der Inszenierung gefachsimpelt wird. Brad Ingelsby, Erfinder und Macher der Serie, stammt selbst aus Easttown (und kommt aus einer bekannten Basketballer-Familie). Aber das Besondere an dieser Serie sind die starken Frauengestalten, die in der scheinbar männerdominierten Welt die wirklich toughen Charaktere sind.

Geschiedene Gatten, rücksichtslose Väter, hilflose Polizeibeamte und verlorene Söhne stehen hier Frauen gegenüber, die nicht nur irgendwann mal im Basketball erfolgreich waren, sondern mit ihren Herausforderungen wachsen, egal ob sie in einem Mordfall ermitteln, für ihre verschwundenen Kinder kämpfen, als Teenager-Mütter unter familiärem Druck stehen oder mit der Wahrheitsfindung ringen. Mares Kollege kann kein Blut sehen und hängt, wenn es mal zur Sache geht, jammernd in der Ecke. Aber: Männer toben sich hier mit entgrenzter Gewalt gegen vor allem junge Frauen aus. Auch davon erzählt dieser Film auf verstörende Weise.

Wobei die Geschlechterkonstellation im dramaturgischen Verlauf der Serie in einen vielschichtigen, motivisch sehr stringenten Plot eingebaut ist. Verdächtige Männer gibt es irgendwann mehr als genug in dieser Kleinstadt, vom Pfarrer über Drogen konsumierende Jugendliche bis zu dem einen oder anderen Ehemann. Stecken in Easttown am Ende mehr Männer unter einer Decke, als man anfangs annehmen will? Geht es hier um Einzelfälle oder um ein ganzes System von sexuellem Missbrauch?

Mare of Easttown ist das, was der Tatort immer gerne sein möchte: ein flott inszeniertes, dennoch tiefgründiges und dabei unterhaltsames gesellschaftskritisches Panorama, das sich auch an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten abarbeitet und den Ermittler als sozialpsychologisch kompetente Instanz mitten im Leben verankert. Genau das funktioniert hier, was sicher auch mit der schauspielerischen Leistung von Kate Winslet zu tun hat.

Wobei Mare, die sich ständig lautstark keifende Wortgefechte mit ihrer Mutter (Jean Smart) liefert, die bei ihr wohnt und sich den lieben langen Tag mit stupiden Computerspielen auf dem Tablet unterhält, keineswegs eine Heilige ist. Mit ihrer Ex-Junkie-Schwiegertochter liegt sie im Rechtsstreit wegen des Sorgerechts für das Enkelkind und greift dabei auch mal zu unlauteren Mitteln. Überhaupt scheint fast jeder in Easttown eine Leiche im Keller zu haben. Stück für Stück wird das ganze Kleinstadt-und-Familien-Drama freigelegt, durch polizeiliche Ermittlungen, herumschnüffelnde Teenager, zwangsverordnete psychologische Therapiesitzungen und den unstillbaren Wissensdurst der Titelheldin, die in einem fort Junkfood in sich hineinstopft und sich gegen jedes Hindernis durchzusetzen weiß. Bis auch sie irgendwann an ihre Grenzen kommt.

Info

Mare of Easttown Brad Ingelsby USA 2021, sieben Folgen, freitags ab 20.15 Uhr auf Sky

€ 4,95 statt € 14,00 pro Monat

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