In den aktuellen Krisendebatten nehmen wir fast ausschließlich die Industrie- und Schwellenländer sowie die Freihandelszonen in den Blick. Auch die Debatten über Gleichberechtigung kreisen hauptsächlich um uns selbst. So hat auch die US-Journalistin Hanna Rosin in diesen Tagen publikumswirksam Das Ende der Männer und den Aufstieg der Frauen konstatiert (vgl. Der Freitag 2/2013). Doch auch diese These ist nur auf die amerikanische Mittel- und Oberschicht zugeschnitten. Weltweit kann von einer Männerdämmerung nämlich keine Rede sein. Für den sogenannten Globalen Süden, die Armutsregionen in Lateinamerika, Afrika und Asien, wohin viele Firmen der Industrieländer seit den siebziger Jahren ihre Produktion auslagern, gilt sie sicherlich nicht.
Marx und die Frauen
Dabei spielt gerade in diesen Regionen Frauenarbeit eine große Rolle. Sie dominiert das globale Fließband – wie die als Maquiladoras bezeichneten Montagebetriebe im Norden Mexikos oder die Textilindustrie in Indien. Diese Länder verfügen oft nur über schwach ausgebaute Sozialsysteme. Um so wichtiger ist die Rolle, die der sogenannte reproduktive Bereich spielt, wo sich die Frauen um die Betreuung der Kinder und der Alten kümmern oder um die Herstellung von Lebensmitteln.
Diesem Zusammenhang geht Silvia Federici in ihrem Buch Aufstand aus der Küche – Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution nach. Auf gut hundert Seiten liefert die italienischstämmige Feministin, die seit den Sechzigern in New York lebt, eine sprachlich pointierte und eindrücklich verfasste Krisenanalyse. Ihr Buch ist eine notwendige Lektüre für die Beschäftigung mit der gegenwärtigen globalen Krise, mit den politischen Protestbewegungen und den sozialen Perspektiven jenseits der herrschenden neoliberalen Marktlogik.
Im Zentrum ihrer Analyse steht also die Arbeit und das, was Karl Marx als Reproduktion bezeichnete. Arbeit war ein zentraler Begriff seiner Kritik der politischen Ökonomie, wobei er sie in produktive und reproduktive unterschied. Diese Trennung führte jahrzehntelang auch in linken Debatten zu einer Herabsetzung der Reproduktionsarbeit. Marx konzentrierte sich auf die Lohnarbeit im Kapitalismus als „historische Form“ der Arbeit, die den Zweck hat, Kapital zu vermehren, also „produktiv“ ist. Der Reproduktionsarbeit schenkte er kaum Beachtung. Zu Marx‘ Zeiten arbeiteten die Frauen allerdings auch zumeist wie die Männer in der Fabrik.
Bürgerliche Reformer stellten damals fest, dass die Arbeiterklasse von Hausarbeit praktisch gar nichts verstand und sich dafür auch nicht interessierte. Die Industriearbeit, so der Tenor, drohe die Familie zu zerstören. Als die Schwerindustrie wuchs, wurde es plötzlich wichtig, dass die Arbeiter sich gesünder ernährten beziehungsweise dass sie in Verhältnissen lebten, in denen man überleben konnte. So bildete sich erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein signifikanter Sektor der Hausarbeit heraus.
In der Tat spielt dieser Bereich für den Kapitalismus eine enorm wichtige Rolle. Um es mit Federici zu sagen: „Hausarbeit besteht in der physischen, emotionalen und sexuellen Wartung der Lohnverdiener: darin diese Lohnverdiener Tag für Tag für die Arbeit vorzubereiten“. Nur wird diese reproduktive Arbeit kaum bezahlt, und sie wird damit in einer Arbeitswelt, die ausschließlich über Lohn definiert wird, schlicht unsichtbar.
Das Fließband daheim
Mitte der siebziger Jahre startete das International Feminist Collective, zu dessen Gründungsmitgliedern Federici zählt, die Kampagne „Lohn für Hausarbeit“. Ziel war es, auf eben diesen Zusammenhang zwischen Fließbandarbeit in der Fabrik und nicht entlohnter Arbeit zu Hause aufmerksam zu machen – darauf, dass die eine ohne die andere nicht denkbar ist. Seither wurde die Reproduktions- und vor allem die Hausarbeit radikal privatisiert. Ein Beispiel: Waren früher in den Dachgeschossen der Altbauten noch Waschküchen untergebracht, befindet sich heute in jeder Wohnung eine Waschmaschine. Neben neuen Absatzmärkten, ergo einer Ausweitung der kapitalistischen Wertschöpfung, führt diese Entwicklung zur Enteignung früher noch kollektiv genutzter Reproduktionsmittel samt den sie umgebenden Räumen. Das Dachgeschoss lässt sich per Sanierung so auch gleich noch in Wert setzen.
Weitaus drastischer sind die sozialen Konsequenzen in den Armutsregionen des globalen Südens. Hier wurden Bedarfswirtschaften früher oftmals von Frauen unterhalten, die heute schlecht bezahlt und ohne Absicherung in den agrarischen Großbetrieben und industriellen Fertigungsstätten arbeiten. Hinzu kommt, dass in zahlreichen Ländern krisenbedingt in den Bereichen Bildung, Gesundheit und öffentliche Infrastruktur massiv gekürzt wird. Diese Kürzungen werden vor allem durch die unbezahlte Arbeit von Frauen abgefedert.
Dabei sind es heute zunehmend Frauen, die in die Migration gedrängt werden, während früher vor allem junge Männer ihre Heimatländer auf der Suche nach besseren und menschenwürdigen Lebensbedingungen verließen. Die Migrantinnen arbeiten dann meist im Bereich des „care-work“, etwa als Pflegekräfte im Sektor der Gesundheitsversorgung oder der Alten- oder Kinderbetreuung. In den USA sind es vor allem mittelamerikanische Frauen, die nicht selten ohne Aufenthaltsgenehmigung als Nannys ihr kleines Geld verdienen. Mittlerweile organisieren sie sich in informellen gewerkschaftsähnlichen Zusammenschlüssen wie die „Domestic Workers United“ im Bundesstaat New York oder die „Mujeres Unidas“ in Kalifornien. Silvia Federici geht so weit, hier beim Kampf um die Reproduktion vom „Ground Zero der Revolution“ zu sprechen.
Reproduktionsarbeit spielt aber auch eine erhebliche Rolle in den Alternativen zum Kapitalismus; Federici sieht das am Beispiel der Gemeinschaftsökonomien der sogenannten Commons bestätigt. Egal ob in den Gemeinschaftsküchen der Occupy-Camps oder in den Gemeinschaftsgärten der großen Städte: überall wollen die Menschen sich wieder der Reproduktionsmittel bemächtigen, die der Kapitalismus enteignet oder eingehegt hat.
Aufstand aus der Küche – Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution Silvia Federici edition assemblage 2012, 128 S., 9,80 € Florian Schmid schrieb im Freitag zuletzt über die indische Sozialrebellin Phoolan Devi
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