Die Sprache der Banker

Die Buchmacher John Lanchester hat ein sehr lesenswertes Sachbuch über die Finanzmärkte geschrieben. Oder wissen Sie, was eine inverse Renditekurve und der Hot-Waitress-Index sind?
Ausgabe 48/2015
„Jeder sollte verstehen, was eine inverse Renditekurve ist“
„Jeder sollte verstehen, was eine inverse Renditekurve ist“

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Mit seinem Roman Kapital landete der britische Schriftsteller John Lanchester vor drei Jahren einen internationalen Bestseller. Die 700 Seiten über die City of London zu Beginn des Finanzcrashs im Jahr 2007 sind eine der gelungensten literarischen Aufarbeitungen der Krise. Nun hat der 1962 geborene, in Hongkong aufgewachsene Sohn eines Bankers ein gut lesbares und ebenso leicht verständliches Sachbuch über Banken und die Finanzindustrie geschrieben. Es trägt den vielsagenden Titel Die Sprache des Geldes und warum wir sie nicht verstehen (sollen). Die diesmal 350, von feiner Ironie geprägten Seiten bieten neben einem an Anekdoten reichen Essay zur Einleitung ein Geldlexikon, das die Grundbegriffe der Wirtschafts- und Finanzwelt von heute so erklärt, dass es auch Lesende kapieren, die sonst nicht die Wirtschaftsseiten und die Börsen-berichterstattung der Zeitungen lesen.

„Die Sprache der Finanzwelt ist mächtig und effizient, hat aber auch einen ausschließlichen und ausschließenden Charakter“, schreibt Lanchester. Ihm geht es um Aufklärung. Er will dem Leser ein Werkzeug an die Hand geben, um sich im dichten Sprachdschungel der Finanzmanager und Banker zurechtzufinden. „Jeder sollte verstehen, was eine inverse Renditekurve ist und weshalb sie einem Angst einjagen kann.“ Die Sprache der Banker vergleicht er mit Fachjargons, wie sie Klempner oder Köche nutzen. Eigentlich muss niemand diese Fachsprache verstehen, aber seit Ausbruch der Krise betreffen die Mechanismen, die hinter der kryptischen Sprache des Geldes stehenden, ausnahmslos jede und jeden.

Denn der Renaissance des Dogmas staatlicher Austerität sind Skandale wie der um den Libor vorausgegangen. Wie viele, selbst unter den dem Weltgeschehen aufmerksam folgenden Menschen, wissen heute wirklich, was es damit auf sich hat? Mit dem Libor, einem Zinssatz, bewerten Banken gegenseitig ihre Kreditwürdigkeit – und manipulierten dabei in den vergangenen Jahren ohne Hemmungen im großen Stil. Zwar mussten Großbanken wie Barclays und UBS bereits Strafen in dreistelliger Millionen- und sogar in Milliardenhöhe bezahlen. Zur Gänze aufgeklärt ist der Skandal aber immer noch nicht. Darum ist es heute für alle unabdingbar, sich mit der komplizierten Finanzwelt und ihrer unzugänglichen Sprache zu beschäftigen, meint Lanchester.

Grundbegriffe wie Rendite, ESM oder Hedgefonds erklärt eben darum das Geldlexikon, wo sich zudem Einträge zu Personen wie Friedrich Hayek und John Maynard Keynes finden. Lanchester positioniert sich klar als Gegner des von Hayek mitbegründeten und spätestens seit den 1980er Jahren über den Keynesianismus siegreichen neoliberalen Dogmas. Zu finden ist auch der so genannte „Hot-Waitress-Index“, Zeugnis dafür, dass die Sprache und die Welt des Geldes männlich dominiert und sexistisch sind. Der Index nämlich besagt, dass in wirtschaftlich schlechten Zeiten weniger Frauen gute Jobs bekommen und deshalb attraktive Frauen eher in der Gastronomie als in guten Arbeitsverhältnissen zu finden sind.

John Lanchester präsentiert das mit britisch-humoreskem Augenzwinkern, so wie er auch den heute so inflationär gebrauchten Begriff „Governance“ erklärt: „Ein in der Finanzwelt gebräuchlicher Euphemismus für alles, was mit Korruption und fehlender Kompetenz zu tun hat.“ Den viel gescholtenen negativen Entwicklungen setzt er etwas naiv den „gesunden Menschenverstand“ gegenüber. Der allein wird für einen echten Wandel nicht ausreichen.

Info

Die Sprache des Geldes und warum wir sie nicht verstehen (sollen) John Lanchester Dorothee Merkel (Übers.) Klett-Cotta 2015, 352 S., 19,95 €

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