Du bist nie allein

Streaming Die Science-Fiction-Serie „The Expanse“ erzählt vom Klassenkampf in einem kolonisierten Kosmos
Ausgabe 50/2019

Wenn ein Planet kolonisiert wird, fliegen schnell die Fäuste. In der vierten Staffel der Science-Fiction-Serie The Expanse jedenfalls kriegen sich die halb verhungerten, stylisch tätowierten Kolonisten im Asteroidengürtel mit den terrestrisch entsandten Security-Mitarbeitern alle Nase lang in die Haare. Aus den Streitereien wird schnell blutiger und tödlicher Ernst; es patroullieren Söldner, die jeden Aufruhr im Keim ersticken sollen.

Im Weltraum der Serie, deren neue Staffel ab 13. Dezember auf Amazon Prime zu sehen ist, geht es überhaupt sehr ruppig zu. Statt wie in Star Trek durch gefällig eingerichtete Raumschiff-Interieurs zu wandeln und im Stil von Patrick Stewarts Kapitän Jean-Luc Picard mit hochgezogener Augenbraue an einem Earl-Grey-Tee zu nippen, sieht die Raumfahrt in The Expanse eher nach knallharter fordistischer Industriearbeit aus. Frauen und Männer in futuristischen Blaumännern kriechen mit riesigen Schraubenschlüsseln durch verdreckte Schotts, wenn sie nicht gerade am Feierabend mit ihren transparenten Handys (nicht selten mit halbkaputten Displays) in einer technowummernden Bar stehen und harten Alkohol trinken. Im bezeichnenden Kontrast dazu spazieren auf der überbevölkerten Erde die oberen Zehntausend durch Parks, die wie Golfanlagen gestaltet sind, wenn sie nicht gerade im UNO-Gebäude politische Ränkespiele ausklüngeln. Die Massen der Überflüssigen und Arbeitslosen dieser Erde darben derweil in improvisierten Camps. Im kolonisierten Asteroidengürtel werden Bodenschätze abgebaut. Unterdessen hat sich der militarisierte Mars von der Erde unabhängig erklärt. Das brüchige soziale Gefüge aus Handel, Repres sion und militarisierter Ordnung wird durch die gegenseitige nukleare Bedrohung zwischen Erde und Mars in prekärer Balance gehalten. Es ist eine Art Kalter Krieg, skaliert in die Weiten des Alls.

Jeff Bezos ist ein Alien

Die Vorlage zu The Expanse, das nach der dritten Staffel vom amerikanischen Pay-TV-Sender Syfy abgesetzt und nun von Amazon Prime produktionstechnisch weitergeführt wird, ist ein neunteiliges Romanprojekt von Daniel Abraham und Ty Frank, die unter dem Pseudonym James S. A. Corey veröffentlichen. Der achte Teil der Romanserie wird im Frühjahr 2020 erscheinen; mit der vierten Serienstaffel ist nun knapp die Hälfte der Saga auch im Fernsehen angekommen.

The Expanse steht erkennbar in der angloamerikanischen Tradition einer kapitalismuskritischen und klassenkämpferischen Science Fiction, wie man sie von Autoren wie Joanna Russ über John Shirley bis Kim Stanley Robinson kennt. Dass ausgerechnet Amazon die wegen ihrer Science-Fiction-Produktionskosten nicht gerade günstige Serie übernimmt, mag zum einen daran liegen, dass die Streamingplattform einen Nachfolger für die auslaufende „Alternate-History“-Serie The Man in the High Castle braucht. Oder aber es ist die persönliche Schrulle des Science-Fiction-Nerds und Amazon-Chefs Jeff Bezos, der sich 2016 sogar einen Gastauftritt als Alien in Star Trek Beyond erkauft hat und bekanntlich von einer Besiedelung des Sonnensystems träumt. Eine Billion Menschen könnten in der Zukunft nach Meinung von Bezos zwischen Sonne und Uranus leben. Unterdessen warben vor dem Firmensitz von Amazon Fans mit Transparenten dafür, dass der reichste Mann der Welt die Serie The Expanse retten solle.

Von Bezos Idealvorstellung eines humanoid bevölkerten Sonnensystems ist der profane Weltraumalltag in The Expanse weit entfernt. Die Serie, in deren Zentrum das nach Don Quichottes Pferd benannte Raumschiff Rocinante mit seiner Crew von zusammengewürfelten Hipster-Outlaws steht, wurde oft schon für ihre realistische Inszenierung eines interplanetaren Kapitalismus gelobt. Aber auch die ganz praktischen Probleme der Raumfahrt verhandelt die Serie gekonnt. So thematisiert The Expanse auch, welche Grenzen der menschliche Körper in den Wertschöpfungsketten der Weltraumindustrie hat, etwa wenn die schon in die Jahre gekommene UNO-Generalsekretärin während eines schnellen Raumflugs beinahe an einem Herzinfarkt stirbt, oder die Reise zur Erde den im Asteroidengürtel geborenen Menschen – den rassistisch ausgegrenzten „Beltern“ – wegen der Schwerkraft nur mit härtester Medikation möglich ist.

Stressige Schwerkraft

Neue, kolonisierbare Welten gibt es in der vierten Staffel jedenfalls genug. Durch eine für den Zuschauer allerdings nur schwer verständliche Alien-Technologie sind Portale entstanden, die das Reisen in jene anderen Systeme ermöglichen, die eigentlich zu weit entfernt wären, um sie mit herkömmlichen Mitteln zu erreichen. Bei der Kolonisierung eines neuen erdähnlichen Planeten erlebt eine der Hauptpersonen, die Belterin Naomi Nagata (Dominique Tipper), einen wahren Horror aus Kreislaufzusammenbrüchen, Organversagen und Klaustrophobie, als sie mit Schwerkraft konfrontiert wird und das erste Mal einen Himmel über sich und einen Horizont vor sich sieht.

Dabei haben die Helden und Hauptfiguren der Serie es mit vielfältigen Antagonisten zu tun: Sie kämpfen zugleich gegen größenwahnsinnige Politiker, dumpfe militärische Logik, Bedrohungen durch außerirdische Technologie und jede Form institutioneller Repression – und schaffen es während all dem auch noch, sich solidarisch umeinander zu kümmern. Sei es, dass der Kapitän der Rocinante, James Holden (Steven Strait), atomar verstrahlt wird, oder der vom Mars stammende Pilot Alex Kamal (Cas Anvar) den Frust über seine gescheiterte Ehe und die Sehnsucht nach seiner Tochter verarbeiten muss: Die Mitglieder der Rocinante stehen einander solidarisch bei. Wenn sie sich immer wieder rund um die Kaffeemaschine in der Kombüse versammeln, wirken sie fast wie eine Berliner Wohngemeinschaft, deren Mitglieder auch gut auf eine Vernissage oder eine Hausbesetzer-Party passen würden. Die Care-Arbeit (das Sich-umeinander- Kümmern), die derzeit ja auch viel in feministischen und linken Diskursen diskutiert wird, erlebt in dieser Serie eine ganz praktische Umsetzung. Sie prägt maßgeblich die Handlung der vierten Staffel. Keiner bleibt allein, egal ob es sich um kleine private Probleme oder interplanetarische Bedrohungen handelt. Da mögen die Kassen klingeln, während Bodenschätze im Weltraum abgebaut und politische Machtsphären ausgebaut werden, die Besatzung der Rocinante fliegt fleißig gegen diese Windmühlen an. Hier entwickelt The Expanse ein durchaus utopisches Potenzial, das dem kapitalistischen und imperialistischen Wahnsinn der düsteren Zukunft etwas entgegensetzt.

Angesichts der Aufbruchsstimmung in Sachen Weltraum, die aktuell auf der Erde herrscht – auf Donald Trumps Geheiß hat die NASA gerade den geplanten Mondflug von 2028 auf 2024 vorverlegt –, erscheint eine Serie, die die sozialen Begleiterscheinungen eines imperialistischen Turbokapitalismus im Outer Space durchbuchstabiert, gar nicht mal so phantastisch. Es geht um Helium 3 auf dem Mond oder seltene Erden auf Ceres im Asteroidengürtel: Zahlreiche Firmen von Luxemburg bis ins Silicon Valley bereiten sich mit ausgeklügelten Wirtschaftlichkeitsrechnungen schon jetzt darauf vor, endlich den ökonomisch motivierten Sprung ins All zu vollziehen.

Ausgerechnet Amazon-Chef Jeff Bezos ist mit seiner Firma Blue Origin einer der wichtigsten Player im derzeit hart umkämpften Weltraum-Technologie-Markt. Er will zusammen mit der NASA erneut Astronauten auf dem Mond landen lassen. Für die kalifornische Tech-Industrie ist die Investition in die Weltraumfahrt ein zentrales Anliegen. International gültige Weltraumverträge gibt es unterdessen kaum, während die Rüstung im All auch wegen der Satelliten-Technologie immer wichtiger wird. Zahlreiche Forschungsetats haben eine sogenannte Dual-Use-Ausrichtung, also neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch den militärischen Zweck einer Aufrüstung. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht ist die Science Fiction-Serie The Expanse alles andere als weit von den machtpolitischen und ökonomischen Begehrlichkeiten unserer Tage entfernt.

Info

The Expanse Mark Fergus, Hawk Ostby (nach der Vorlage von James S. A. Corey) Staffel 4 ab 13. Dezember auf Amazon Prime

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden