Im Kino boomt Science-Fiction schon seit einiger Zeit. Dementsprechend ist in den Blockbustern regelmäßig Hollywoods erste Garde wie George Clooney und Tom Cruise zu sehen. Mittlerweile hat sich der Sci-Fi-Trend aber auch auf den Literaturbereich ausgedehnt, wo Fantastik nicht mehr nur bei Heyne, sondern auch in zahlreichen Literaturverlagen erscheint. Auch bedienen sich immer häufiger Autoren der Gattung, die bisher keine Fantastik verfasst hatten. Es ist nicht mehr nur Dietmar Dath, der hierzulande im Jahresrhythmus einen voluminösen Zukunftsroman schreibt (im März erscheint im kleinen Verlag Hablizel Venus siegt). 2013 hatte sogar Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl in Nichts von euch auf Erden eine Mars-Dystopie vorgelegt. Und gerade erscheint bei Kiep
int bei Kiepenheuer & Witsch Leif Randts Planet Magnon, eine fantastische Geschichte, die in den Weiten des Universums angesiedelt ist – inklusive Raumschiffen und Dinosauriern.Kupferfelsen auf Planet BlinkDabei wird Leif Randts zukünftige, von Menschen besiedelte Welt aus mehreren Planeten in einem fiktiven Sonnensystem als ganz normaler Alltag in Szene gesetzt. Die Bewohner der Gestirne Cromit, Blink, Blossom, Snoop und Toadstool leben in Kollektiven. Ein gigantisches Computersystem mit dem Namen Actual Sanity, das um einen Mond kreist, erledigt gemäß den „Handlungen, Diskursen und Wünschen“ der Menschen die komplette Verwaltung und trifft alle Entscheidungen, unter anderem die Verteilung finanzieller Mittel. Die technisch hoch entwickelte Zivilisation kennt keine Armut, mithilfe von Shuttles reist man in einer guten Stunde von einem Planeten zum nächsten. Neben gigantischen urbanen Ballungsräumen gibt es ländliche Gegenden, die unter Naturschutz stehen, auf dem Müllplaneten Toadstool schneit es die meiste Zeit, auf Blink liegen Kupferfelsen unter einem kernblauen Himmel, und überall leben – so ganz nebenher – Dinosaurier, die für den Fleischverzehr gezüchtet oder als Haustiere gehalten werden. Die Kollektive, in denen zwei Drittel aller Menschen leben und die auch herkömmliche Familien ersetzen, erinnern an akademische Klubs, deren Mitglieder Theorietexte schreiben, Jahrbücher veröffentlichen, Seminare abhalten und um neue Mitglieder werben.Im Zentrum des Romans steht das Dolfin-Kollektiv, das recht gediegen wirkt und sich um „aparte Attraktivität“ und „wortkarge Sachlichkeit“ bemüht. Dagegen sind die Mitglieder des Westphal-Kollektivs sehr athletisch. Sie leben in wüstenartigen Gegenden, im Volta-Kollektiv trägt man dunkle Farben und trinkt viel. Drogen spielen eine große Rolle. Das titelgebende Magnon ist die Dolfin-Droge. Die kupferfarbene Flüssigkeit vermittelt „stille Euphoriefähigkeit“ und „eine Mischung aus enormer Objektivität und großer Emotion“, ein bisschen wie Kokain also. Das auf Konsens ausgerichtete Leben ändert sich, als plötzlich das „Kollektiv der gebrochenen Herzen“ mit Gift- und Brandanschlägen gegen die bestehende Ordnung ankämpft. „Unser Plan ist es, die Augen für die Gewalt zu öffnen, mit der wir täglich leben“, heißt es in einem Pamphlet.Es ist ein komplexes und stimmiges Science-Fiction-Sujet, das Leif Randt da entwirft. Seine utopische Welt glatter Oberflächen und konsumbewusster Menschen erinnert an Spike Jonzes Film Her. Ähnlich werden Konflikte vor allem im Privaten ausgetragen. Doch die utopische Zukunftsvision ist von einem alles durchdringenden Unwohlsein geprägt, das schließlich in eine politische Bewegung mündet. Nichts weniger als die „Erneuerung der Verhältnisse“ schreiben sich die revolutionären Kollektivisten auf ihre Fahnen. Leider wird dieses spannende Potenzial im Fortlauf des Romans nicht immer packend oder überzeugend umgesetzt. Von der sozialen Gewalt wird kaum etwas sichtbar. Und auch wenn es zwischen Spitzenfellow Marten Eliot und der Anführerin des revolutionären Kollektivs einen großen Showdown gibt, bleiben die Verhältnisse, wie sie sind. Das wäre an sich auch eine politische Aussage, aber eine wirkliche narrative Umsetzung erlebt das nicht. Stellenweise kühn genial, bleibt dieser Zukunftsroman leider unter den Möglichkeiten seines Autors.Ähnliches gilt für das von der internationalen Literaturkritik bejubelte und preisgekrönte Debüt Dunkle Stadt Bohane von Kevin Barry (Klett-Cotta). Im Gegensatz zu Leif Randts stellenweise fast blutarmer Prosa wird hier eine grelle, pittoreske und gewalttätige Welt entworfen. Bohane, eine irische Stadt mit einem Fluss, der dunkles Wasser führt, und einem Umland aus Torffeldern, der sogenannten Großen Nichtsöde, erlebt in der Mitte des 21. Jahrhunderts einen brutalen Krieg zweier verfeindeter Gangs. Das operettenhafte Drama um Liebe, Gewalt, Bandenkriminalität und Machtgier wird in Form einer Steam-Punk-Dystopie in Szene gesetzt, also einer Science-Fiction mit ästhetischen Retro-Elementen aus dem 19. Jahrhundert. Auch wenn es hier für alle Figuren eine bedrohliche soziale Fallhöhe bis hin zum grausamen Massaker in den dunkel verwinkelten Gassen von Bohanes heruntergekommener Altstadt gibt, bleibt Kevin Barry letztlich in der Ästhetik seiner mit beachtlicher Perfektion entworfenen Zukunftswelt hängen. Auch bei ihm bleiben trotz eines regelrechten Tornados an kollektiver Gewalt und mörderischer Intrigen die Verhältnisse in seiner dystopischen Welt stabil.Invasion oder ExperimentDie eigentliche Hauptfigur seines Dramas ist die titelgebende Stadt als erzählerischer Nexus, der die sozialen Abgründe miteinander verknüpft. Das alles erschöpft sich in einer stilistisch zwar spektakulär in Szene gesetzten ästhetischen Schau maskuliner Gewalt und ist rasant verstörend komisch geschrieben. Substanziell hinterfragt wird die in so schrillen Farben ausgemalte soziale Anordnung aber nicht wirklich. Komplexer ist da die zwischen September und März im Kunstmann-Verlag erschienene Southern Reach Trilogie des US-amerikanischen Fantasy- und Science-Fiction-Autors Jeff VanderMeer, die es auch auf die New-York-Times-Bestsellerliste schaffte. Darin geht es um eine als Area X bezeichnete Zone, eine Art tropischen Park, in dem Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind und Monster ihr Unwesen treiben. Ob Area X Folge oder Vorbote einer außerirdischen Invasion ist oder es sich hier um ein Experiment handelt, bleibt unklar. Das ähnelt motivisch dem Strugatzki-Roman Picknick am Wegesrand, der literarischen Vorlage für Andrei Tarkowskis Meisterwerk Stalker. Gleichzeitig erinnern einige Teile des Plots sowie die flotten Perspektivenwechsel an die Fernsehserie Lost, in der eine Gruppe Menschen auf einer Insel mit seltsamen, rational kaum fassbaren Phänomenen konfrontiert wird. In VanderMeers Trilogie sind es Wissenschaftler, die in die Zone vordringen und mit ihren ureigensten Ängsten konfrontiert werden. Dabei spielt die Frage nach Aufklärung immer wieder eine zentrale Rolle, bis schließlich das Drama unumkehrbar wird.So unterschiedlich die Bücher von Leif Randt, Kevin Barry und Jeff VanderMeer stilistisch und dramaturgisch auch sind, haben sie doch eines gemein. Alle erzählen von krisenhaften Einbrüchen in ein mehr oder weniger funktionierendes gesellschaftliches Gefüge. In Randts utopischer Welt mag die Krise vergleichsweise harmlos erscheinen, bei Kevin Barry ist es gleich ein blutiger Bürgerkrieg, und Jeff VanderMeer thematisiert die begrenzte Fähigkeit des wissenschaftlich denkenden, aufgeklärten Subjekts. In all diesen Romanen sedimentiert sich das gesellschaftliche Unbehagen angesichts der noch lange nicht ausgestandenen Krise, wobei Randt und Barry auch das kollektive Infragestellen des bedrohten Status quo in Szene setzen. Was nach der Krise kommen kann – sei es der Untergang oder ein utopischer Neuanfang –, thematisieren diese Romane nicht. Dabei wäre das, wenn nicht die spannendste, so doch die dringlichste Frage.Placeholder authorbio-1Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.