Die zeitgenössische und massenpublikumstaugliche Science-Fiction lebt davon, actionreich und rasant zu erzählen. Egal, ob wie im jüngsten Star-Trek-Ableger Picard (in Deutschland verfügbar auf Amazon) Raumschiffe mit Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum jagen oder in Westworld (aktuelle Staffel verfügbar auf Sky) schwer bewaffnete, um sich schießende Androiden den Aufstand proben.
Eine andere Form des Erzählens liegt dagegen der Serie Tales from the Loop zugrunde, ein Anfang April erschienenes „Amazon Original“. Die Tales erzählen von einer Kleinstadt im ländlichen Ohio, in der ein Großteil der Bewohner in einem unterirdischen Teilchenbeschleunigerlabor arbeitet, dem titelgebenden Loop, und im Vergleich zu anderen Science-Fiction-Filmen kommt das Ganze fast im Zeitlupentempo daher. Lange Kameraeinstellungen, wenige Schnitte, kurze Dialoge und eine mitunter kammerspielartige Atmosphäre prägen die achtteilige Serie, deren kontemplativer Charakter mit der minimalistischen Musik von Philipp Glass zudem genial unterlegt ist. Es ist kein Zufall, dass viele Szenen in Tales from the Loop, in denen riesige Roboter durch die Pampa laufen und gigantische Kühltürme in den Himmel ragen, wie Gemälde wirken. Inspiriert wurde die Serie von den Bildern des schwedischen Künstlers Simon Stalenhag, dessen digital hergestellte fotorealistische Arbeiten im Stil von Ölgemälden hierzulande als Bildroman ebenfalls unter dem Titel Tales from the Loop erschienen sind.
Die Normalität der Zukunft
Wo Stalenhags Bilder im Buch lediglich von kurzen Prosatexten flankiert werden und eine Art Anthologie mit miniaturisierten Kleinstadtgeschichten entwerfen, entwickelt die Serie eine eigenständige, vertrackte Story. Im Zentrum steht eine im ersten Moment ganz normal scheinende amerikanische Kleinfamilie. Ihr Leben ist eng mit dem Loop verbunden: Der Großvater (dargestellt von Jonathan Pryce) ist der Gründer und Leiter der skurrilen unterirdischen Einrichtung, in deren Mitte eine riesige Kugel aus schwarzem Stein schwebt. Hier werden Dinge möglich gemacht, die eigentlich unmöglich sind, erklärt er seinem staunenden Enkel Cole (Duncan Joiner). Dessen Vater und Mutter (Paul Schneider und Rebecca Hall) sind Wissenschaftler, arbeiten in leitenden Positionen im Loop, der ältere Bruder Jakob (Daniel Zolghadri) steht kurz vor dem Schulabschluss und soll demnächst auch im unterirdischen Laborkomplex anfangen.
Aber der außergewöhnliche Teilchenbeschleuniger hat Nebenwirkungen. Er öffnet immer wieder Spalten im Raum-Zeit-Gefüge, sodass Menschen meist unfreiwillig in ihre Vergangenheit oder Zukunft reisen, sich dort auch selbst begegnen und unter Umständen hängenbleiben. Genau das passiert auch einzelnen Familienmitgliedern – mit tragischen Folgen. Das abrupte Ende bisheriger Lebensverläufe und der Verlust geliebter Menschen ziehen sich als motivischer Faden durch die Serie, die auch von anderen Kleinstadtbewohnern erzählt, wobei der Loop sowohl als Arbeitgeber als auch als Auslöser schicksalsschwerer Veränderungen stets verbindendes Element bleibt.
Tales from the Loop ist irgendwo in den 1970er oder 1980er Jahren angesiedelt und verknüpft den Vintage-Schick stylisher Retro-Klamotten, alter Autos und 70er-Jahre-Interieurs mit einer futuristischen Technologie, die etwas geradezu Magisches hat. Immer wieder treffen Jugendliche und Kinder, aus deren Perspektive weite Teile der Serie erzählt werden, in einsamen Kiefernwäldern auf mehrere Meter große Roboter, die wie eine Mischung ausrangierter Ersatzteile von Star Wars und Industriemaschinen aussehen.
Müllhalden alter Technik
Dann aber schneit es plötzlich mal von unten nach oben und Häuser zerlegen sich in ihre Einzelteile, um sanft in den Himmel zu schweben. In einer Folge findet eine junge Frau beim Angeln am Strand einen oxidierten Metallzylinder, der einmal aktiviert die ganze Welt wie eingefroren stillstehen lässt, während sie und ihr geheimer Liebhaber dann monatelang ihre Zweisamkeit genießen – mit fatalem Ausgang. Überhaupt ist die ganze ländliche Gegend voll mit altem Technologiemüll, über dessen Sinn und Zweck niemand genau Bescheid weiß. Genauso wie die Auswirkungen des Loops für niemanden absehbar sind, als wäre die Kleinstadt ein großer wissenschaftlicher Versuchsaufbau. Das erinnert ein Stück weit an Andrei Tarkowskis Science-Fiction-Klassiker Stalker, in dem sich Menschen durch eine geheimnisvolle Zone voll mit außerirdischem Müll und technologischen Artefakten kämpfen. Wobei die Figuren in Tales from the Loop der Technologie und ihren oft schwer vorhersehbaren Auswirkungen staunend wie kleinen Wundern gegenüberstehen.
Tales from the Loop polarisiert seine Zuschauer. Vielen, vor allem an Kurzweil gewöhnten Science-Fiction-Fans, dürfte diese Serie um einiges zu langatmig sein. Dementsprechend wurde das mit prominenten Regisseuren besetzte Projekt – die letzte Folge wurde von Jodie Foster inszeniert – ziemlich verrissen. Andere aber entdeckten das Besondere an diesem geradezu lyrisch anmutenden Science-Fiction-Opus.
Die Serie hat ihre Längen – die gewollt sind. Es wirkt ein wenig so, als hätten sich Ridley Scott und Ingmar Bergman darauf eingelassen, gemeinsam eine Crossover-Episode ihrer jeweiligen kinematografischen Welten zu drehen. Mit Kindern und Jugendlichen als Hauptdarsteller – was auch der Grund dafür ist, dass Tales from the Loop immer wieder mit Stranger Things und Dark verglichen wird und auf den ersten Blick fast zu gut in das derzeitige Erfolgsschema „jugendliche Retroserie“ zu passen scheint. Nur dass Tales eben kein popkulturelles Feuerwerk ist, darauf ausgerichtet, den Retro- und Vintage-Hype zu bedienen, wenngleich die Serie ein Stück weit davon profitiert. Vielmehr verbindet sie spekulative Science-Fiction, Coming-of-Age-Drama und Familiensaga zu einem ziemlich einzigartigen Kunstwerk, das dazu herausfordert, sich darauf einzulassen.
Info
Tales from the Loop Nathaniel Halpern USA 2020; 8 Folgen, verfügbar auf amazon.de
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.