Heilen und Morden

Literatur Nigeria mausert sich zum Sci-Fi-Land. Tade Thompson ist die nächste große Genre-Entdeckung
Ausgabe 06/2020
Rosen sind rot, Veilchen sind blau, hier sind erstere geröntgt, es ist recht mau
Rosen sind rot, Veilchen sind blau, hier sind erstere geröntgt, es ist recht mau

Foto: Edward Charles Le Grice/Le Grice/Getty Images

Nigerianische Science-Fiction räumt schon seit einigen Jahren die wichtigen Genre-Preise ab. Am bekanntesten ist die in den USA lebende nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin Nnedi Okorafor, die für ihren Roman Binti 2015 den Nebula Award und 2016 den Hugo Award erhalten hat. In dem afrofuturistischen Roman geht es um eine junge Frau aus Namibia, die auf einer intergalaktischen Universität studiert und unglaubliche Abenteuer zu bestehen hat.

Ein wichtiger Autor ist auch der in London geborene und in Nigeria aufgewachsene Tade Thompson. Mit Rosewater erscheint nun der erste Teil einer außergewöhnlichen Trilogie auf Deutsch, die Mitte des 21. Jahrhunderts in Nigeria angesiedelt ist. Sie erzählt von einem riesigen außerirdischen Organismus, der auf der Erde gelandet ist. Für Rosewater erhielt Thompson 2019 den Arthur C. Clarke Award, den renommiertesten britischen Sci-Fi-Preis. Sowohl Okorafor als auch Thompson verknüpfen afrikanische Mythen mit Sci-Fi-Motiven und erzeugen so eine literarische Mischung, die das Genre ungemein bereichert. Während Okorafor komplexe, literarisch dichte Texte komponiert, spielt Thompson sehr gekonnt auf der Klaviatur einer süffigen, popkulturell informierten Science-Fiction.

Im Zentrum seines Romans steht der Geheimagent Kaaro, der für eine nigerianische Behörde arbeitet und mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet ist. Kaaro kann die Gedanken lesen und sie manipulieren. Seit ein riesiger Alien auf der Erde gelandet ist, dabei halb London zerstörte, um sich dann unterirdisch bis Nigeria durchzugraben, existiert eine sogenannte Xenosphäre, eine neue parallele Welt, zu der nur manche Menschen Zugang haben. Diese Sphäre besteht aus Bakterien und Sporen des riesigen Aliens, der als gigantische Kuppel inmitten einer um ihn herum gebauten Großstadt – das titelgebende „Rosewater“ – residiert. Einmal im Jahr öffnet sich die Kuppel, Bakterien und Sporen werden freigesetzt und im Umkreis versammelte kranke Menschen werden von ihren Gebrechen geheilt. Was der Alien will, weiß niemand. Der oft gern als schicksalsschwer inszenierte Erstkontakt zwischen Mensch und Alien wird hier zu einer absurden Konstellation – ähnlich wie im südafrikanischen Film District 9, der 2009 ein weltweiter Erfolg nicht nur bei Sci-Fi-Fans war – mit weitreichenden kulturellen, sozialen und politischen Folgen. Eine ethische Erkenntnis für die globale Menschheit – wie in Denis Villeneuves Blockbuster Arrival von 2016 – bleibt aber aus.

Megapolis Lagos

Beachtlich ist Thompsons ausgeklügeltes „World-Building“, also die Art und Weise, wie er die von ihm erzählte Welt konstruiert. Es gibt hier Kommunikationsimplantate, eine Art Handy im Kopf. Kaaros zweiter Job besteht darin, bei einer Bank zusammen mit anderen Gedankenlesern durch das Vorsprechen literarischer Texte eine Firewall gegen Diebe und Eindringlinge aus der Xenosphäre aufzubauen. Dort wiederum, wo der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, kann Kaaro auf die Avatare anderer Menschen treffen. Nach der jährlichen Öffnung der Alien-Kuppel steigen zombieartige Reanimierte aus ihren Gräbern und streifen mordend durch die Stadt. So wirkmächtig die Heilungskräfte der extraterrestrischen Erreger sind, sie haben diverse Nebenwirkungen.

Thompson verbindet diese fantastischen Elemente mit Beschreibungen urbaner Räume in Nigeria, aber auch mit gesellschaftspolitischen Themen wie Homophobie. Im repressiven Nigeria Mitte des 21. Jahrhunderts ist Homosexualität verboten. Teile des Romans sind in der Megapolis Lagos angesiedelt. Der ironische Tonfall der Story, die ebenso Coming-of-Age-Roman wie Liebesgeschichte, Großstadtepos, Agentenroman, Fantasy und Science-Fiction ist, wird dabei immer wieder äußerst drastisch und brutal.

Kaaro ist zwar meist Sympathieträger, mitunter aber auch ein ziemlicher Dreckskerl. Um ihn herum gibt es eine ganze Reihe tougher, cooler Frauen, von denen eine zur Hauptperson des zweiten Teils dieser Trilogie wird, der im Herbst erscheint. Es gilt die nigerianische Science-Fiction-Literatur im Auge zu behalten.

Info

Rosewater Tade Thompson Jakob Schmidt (Hg.) Golkonda-Verlag 2020, 460 S., 20 €.

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