Keine große Zukunft mehr

Die Buchmacher Patrick Spät stellt die Mythen des Kapitalismus bloß. Da ist er nicht der Erste, selten aber kommt die Kritik so unerbittlich und leichtfüßig zugleich daher
Ausgabe 30/2016
Keine große Zukunft mehr

Foto: Ipon/imago

Seit Beginn der Krise 2008 gehört Kapitalismuskritik selbst in den bürgerlichen Feuilletons wieder zum guten Ton. Verhalten und allzu gesittet jedoch kommt die einhergehende Sachbuchflut daher; die meisten Werke bringen höchstens mehr oder weniger radikal-sozialdemokratischen Reformgeist zum Klingen. Da stellt ein Satz wie der folgende eindeutig eine Ausnahme dar: „Der Kampf gegen den Kapitalismus wird blutig sein.“ Diese Worte zeugen von einer heute eher unüblich kompromisslosen Haltung. Die nimmt der smarte, 1981 geborene Philosoph Patrick Spät in seinem lesenswerten Buch Die Freiheit nehm ich dir ein.

Eine platte Kampfschrift ist das Buch keineswegs. Spät warnt vielmehr vor der drohenden Reaktion herrschender Eliten gegenüber dem neuen Trend, die bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen. Angesichts des derzeit allenthalben spürbaren Rechtsrucks liegt er damit nicht so falsch. Späts pointiertes Buch zeichnet sich durch seinen verblüffend leichtfüßigen Tonfall aus, in dem er aber recht unerbittlich und überzeugend die Mythen des Kapitalismus bloßstellt – ohne dabei in linken Politsprech oder komplizierte Theorieprosa zu verfallen.

„Die Fratze des Kapitalismus ist überall und jederzeit sichtbar, man muss nur hinschauen. Deshalb braucht es keine übertrieben verschwurbelte Theorie, die Realität spricht für sich: Der Kapitalismus funktioniert nicht!“, schreibt Spät in der Einleitung seines Buches, das in elf Kapiteln einige Stehsätze der neoliberalen Ideologie unter die Lupe nimmt. Ob es die vermeintlich friedliche Entstehung unserer Wirtschaftsordnung, der marktwirtschaftlich angestrebte Wohlstand für alle, der grüne oder nachhaltige Kapitalismus oder das Märchen von der Vollbeschäftigung ist – Spät rückt allem mit Zahlen und Fakten zu Leibe und weiß das sehr süffig und spannend zu erzählen. Jener ist mitunter ein wilder Ritt durch die globale Menschheitsgeschichte. Das reicht von der Entstehung der protestantischen Arbeitsethik in der frühen Neuzeit über Adam Smiths Dogma der unsichtbaren Hand des Marktes und dessen Adaption in der neoklassischen Wirtschaftstheorie, das bundesrepublikanische Verbot des Generalstreiks 1955, die neoliberalen Reformen im faschistischen Chile der 1970er, viele sehr aufschlussreiche Zahlen zum Thema Agrarindustrie bis hin zu Karl Marx’ Vorstellung des Kapitals als automatisches Subjekt. Patrick Spät schafft es, sein faktenreiches, mit zahlreichen weiterführenden Literaturverweisen versehenes Kompendium linker kapitalismuskritischer Debatten als kurzweilige Kulturgeschichte zu erzählen.

Dabei prognostiziert Spät dem Kapitalismus mit seinen immer weiter wachsenden Schuldenbergen keine große Zukunft mehr. Er fühlt sich aktuell an die letzten Jahre der Sowjetunion erinnert, als „Parolen und Verheißungen der Parteikader“ ins Leere liefen. Das oft geforderte bedingungslose Grundeinkommen, über das kürzlich noch in der Schweiz abgestimmt wurde, gilt dem Autor nicht als Lösung. Vielmehr ließe sich damit „ein gigantischer, staatlich subventionierter Niedriglohnsektor rechtfertigen“. Er setzt auf andere Strategien: Vermögensteuer, Schuldenschnitt, Mindestlohn, Rücknahme von Privatisierungen und ein Ende des um sich greifenden Landgrabbing können aber nur Zwischenschritte sein. Denn eigentlich gelte es, den Kapitalismus nicht erträglicher zu machen, sondern ihn endlich zu überwinden. Denn eines ist laut Patrik Spät gewiss: „Entweder stirbt der Kapitalismus oder wir.“

Info

Die Freiheit nehm ich dir. 11 Kehrseiten des Kapitalismus Patrick Spät Rotpunktverlag 2016, 184 Seiten, 9,90 €

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