Spätestens seit Jonathan Lethems Generationenroman Der Garten der Dissidenten ist bekannt, dass es in den kapitalistischen USA (sogar mitten im Kalten Krieg) sozialistische Kommunen gab – in Brooklyn, aber auch jottwede in der Pampa. Im 19. Jahrhundert boomten frühsozialistische Siedlungen im ländlichen Amerika sogar regelrecht, wie Rudolf Stumberger in seinem reportageartigen Buch Das kommunistische Amerika – Auf den Spuren utopischer Kommunen in den USA berichtet. Zumeist emigrierten die protestantischen und in Europa verfolgten „Kommunarden“ aus Süddeutschland in die Vereinigten Staaten. Mit den Parteikommunisten und subkulturellen Linksradikalen in Jonathan Lethems Roman hatten sie aber nur wenig gemein. Denn die Mehrzahl dieser Kommunen ware
Mehrzahl dieser Kommunen waren in erster Linie religiöse Gemeinschaften, die „kommunistische“ Alltagsorganisation war ein Nebenprodukt.Rudolf Stumberger verfolgt in seinem Buch die Route des Journalisten Charles Nordhoff (dessen Enkel übrigens den Roman Meuterei auf der Bounty schrieb), der 1874 durch die USA reiste, eine Reihe „kommunistischer“ Siedlungen besuchte und sie in einem Buch dokumentierte. Mit Kommunismus im Sinn partei-, bewegungspolitischer oder weltanschaulicher Ausrichtung haben die religiösen Kommunen wenig zu tun. Kommunitaristisch wäre der passendere Begriff. Aber bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde die kollektive Lebensweise ohne Geld und Lohnarbeit, zu der auch durchaus interessante Modelle von Jobrotation gehörten, von Kommunenbewohnern und Außenstehenden als Kommunismus bezeichnet. Als etwa die Amana-Kommune in Iowa nach 77 Jahren kommunitären Wirtschaftens 1932 in eine Aktiengesellschaft überführt wurde, jubelte die konservative Presse und sah sich in der Kritik an den als sozialistisch gebrandmarkten New-Deal-Reformprogrammen Roosevelts bestätigt.Aber auch die Linke hatte im 19. Jahrhundert ihre Schwierigkeiten mit den frühsozialistischen Siedlungsutopien, wie sie ein Robert Owen oder ein Charles Fourier konzipierten. Engels kritisierte, die Frühsozialisten hätten die Idee einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel nur „mehr oder weniger unklar als Zukunftsideal“. Im wissenschaftlichen Sozialismus sollte „die soziale Revolution aus dem Reich der Utopie in das Reich der Wirklichkeit“ treten, so Marx. An den Kommunen der Pietisten, Shaker und Rappisten, wie die unterschiedlichen Gruppierungen hießen, störten Engels die „religiösen Flausen“. Der Kommunismus ließe sich ohne Beten besser verwirklichen.Dem widerspricht die meist mehrere Jahrzehnte lange Lebensdauer der religiös-kommunitären Landkommunen, die anders als die Amish sehr technikverbunden waren. So wurde in der Kommune von Oneida eine Waschmaschine erfunden, für die auch ein Patent gehalten wurde, und eine noch in der Amana-Kommune gegründete Kühlschrankfabrik stellte 1967 die erste Mikrowelle her. Auch finanziell waren die Kommunen erfolgreich. Die aus der 1848 gegründeten Oneida-Kommune hervorgegangene Aktiengesellschaft Oneida Metalware ist seit 1880 bis heute einer der führenden Besteckhersteller in den USA. Wenn einige Kommunen auch bis ins 20. Jahrhundert überlebten, existieren ihre Reste heute nur noch in Heimatmuseen oder kulinarisch. Die frühere Amana-Kommune zieht heute zahlreiche Touristen an, die sich die verträumten kleinstädtischen Holzhäuschen ansehen und „Sauerbraten mit Soße“ essen.In historischen Quellen und der Forschungsliteratur wird durchweg positiv aufdie Gemeinschaften verwiesen, wo zu Zeiten schlimmster Arbeitsbedingungen vergleichsweise entspannt gearbeitet wurde und Kommunenmitglieder zum Teil ab Mitte 40 in den Vorruhestand gingen. „Wie alle Kommunisten, die ich kenne, leben sie lang“, vermerkte Charles Nordhoff über die schwäbischen Separatisten von Zoar, die in der Pampa von Ohio siedelten. Während man zu Musikklängen zum Arbeiten in die Weinberge marschierte oder in Spinnereien Texte zur Erbauung vorgetragen wurden, hatten die utopischen Kommunen aber auch ihre albtraumhaften Schattenseiten, die meist mit ihren Führungsfiguren zu tun hatten.In der als „Sexkommune“ bekannten Siedlung Oneida der sogenannten Perfektionisten wurde die „komplexe Ehe“ praktiziert, die das kleinfamiliäre System aufsprengen sollte. Diese freie Liebe wurde vom Kommunenvorstand kontrolliert und diente außerdem eugenischen Zwecken. Der Kommunengründer John Humphrey Noyes missbrauchte überdies unzählige Mädchen. Die Entwürfe anderer Kommunen beinhalteten wiederum ein radikal zölibatäres, restriktives Sexualleben. Zumeist waren auch die Arbeitszuteilungen in einem feministischen Sinn alles andere als emanzipatorisch. Entsprechend waren die Verlockungen des 20. Jahrhunderts mit Kino und Musik, die in einigen Kommunen als moralisch gefährlich gebrandmarkt wurden, nur eine Verführung der Moderne. Manchmal ging es jungen Frauen, die die Gemeinschaft verließen, wie berichtet wird, schlicht darum, den Putz- und Kochjob für die kommunistische Kollektivküche an den Nagel zu hängen, in die Highschool zu gehen und endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.Placeholder infobox-1Placeholder infobox-2