Langsam bröckelt die Front

Kapitalismus Eigentlich ist der amerikanische Bestsellerautor David Graeber ein Linksradikaler. Nun aber liebt ihn sogar die FAZ. Warum bloß?

Angefangen hatte es mit einem Aufmachertext in der FAS. Für Frank Schirrmacher war das vor einem halben Jahr nur auf Englisch veröffentlichte Werk debts, das nun auch auf Deutsch vorliegt (siehe nebenstehender Artikel), nichts weniger als eine „Befreiung“, denn „endlich kommt einer und entwindet der technologischen Intelligenz der Ökonomie einen existenziellen Begriff menschlichen Daseins“. Hörte sich an, als sei dem bedrohten Mittelstand in der Finanzkrise ein Messias geboren. Wem der Autor David Graeber da schon ein Begriff war, musste dann doch lächeln und kann es nun wieder, wenn er Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus zur Hand nimmt. Zuerst erschien diese Aufsatzsammlung in Griechenland, wo sie im Buchregal des einen oder anderen Black-Block-Aktivisten stehen dürfte.

„Den Staat zerschlagen und den Kapitalismus zerstören“, wird dort als langfristiges Ziel „zumindest für die radikaleren Elemente“ angegeben. Sonst fächert David Graeber die linksradikale und anarchistische Bewegungsgeschichte der letzten Jahrzehnte in den USA auf. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entstehung anarchistischer Zellen, der „Direct Action Networks“. In einer dieser Gruppen war oder ist Graeber selbst organisiert. 2001 prägte er in einem Aufsatz in der New Left Review den Begriff des „New Anarchism“ und verpasste damit dem damaligen US-Anarchismushype einen Oberbegriff. Mit knackigen Überschriften hat es der als Kopf der Occupy-Bewegung in den US-Medien herumgereichte Graeber sowieso, von ihm stammt der Occupy-Slogan „We are the 99 percent“.

Ideologischer Erdrutsch

Wenn Graeber die Imagination als Motiv emanzipatorischer Politik räsoniert, ist das interessant. Anderes in dieser Aufsatzsammlung ist dagegen wenig substanziell, etwa seine Kritik an Antonio Negris fragwürdigem Konzept der „Multitude“. Statt einer fundierten Analyse unterstellt er Negri reflexartig eine leninistische Grundhaltung. Dennoch verwahrt sich Graeber gegen eine Diffamierung des Begriffs Kommunismus, den er schlicht als Prinzip eines politischen und sozialen Handelns versteht.

„Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedrüfnissen“ so will Graeber den Kommunismus auch in debts verstanden haben; als Lob des Kommunismus ist diese Passage im aktuellen Feuilleton der FAS abgedruckt. Hierzulande würde er normalerweise als „Linksextremist“ abgekanzelt – und die gelten ja eher als Bedrohung, als dass ihnen eine politische Meinung zuerkannt wird. Dieser postpolitischen Pathologisierung entgeht Graeber als leistungslinker Bestsellerautor. Dabei wurde der Anthropologe, der in einem linken New Yorker Hausprojekt aufgewachsen ist und dessen Vater bei den kommunistischen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte, 2005 von der Universität Yale gefeuert – wohl weil er ideologisch nicht ins Konzept passte. 4.500 Menschen unterzeichneten daraufhin eine Petition. Mittlerweile lehrt er an der Universität in London. Bleibt die Frage, was es zu bedeuten hat, wenn einer wie Graeber als Intellektueller ernst genommen wird. Es scheint, als bröckele die Front zur Verdammung aller linksradikalen Positionen zumindest.

Kampf dem Kamikaze-KapitalismusDavid Graeber Pantheon 2012, 192 S., 12,99


Florian Schmid hat Geschichte studiert

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