Magische Klassenkämpfer

Utopie Früher war auch die Zukunft besser: Science-Fiction bot einmal Alternativen der Emanzipation. Heute ist das Genre leider reaktionär
Ausgabe 34/2013
Magische Klassenkämpfer

Bild: Advertising Archives

Science-Fiction muss man, wie jede literarische Gattung, im sozialpolitischen Kontext ihrer Entstehung lesen. Und diese Gattung blüht mehr noch als andere im Kontext der Krise. Es fällt auf, dass sich die Zahl aufwendiger Sci-Fi-Produktionen im amerikanischen Kino häuft. Und es liegt nahe, diesen Boom mit der Krise zu erklären, in die der Kapitalismus sich seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 hineinmanövriert hat. Wenn das so ist, dann geben die Filme traurige Antworten auf die Krise: Der Fortbestand der Zivilisation wird durch die Kraft kämpferischer Männer gesichert. Mehr nicht. Emanzipatorische Vorstellungen sucht man vergebens. Einige Filme sind offen reaktionär.

Den Auftakt machte Ridley Scotts enttäuschendes Prequel zur Alien-Serie. Die Verfügbarkeit über den weiblichen Körper und eine außer Kontrolle geratene Waffentechnologie – das waren Scotts Themen in den siebziger Jahren gewesen. Aber Prometheus bietet nur eine banale Herleitung des Alien-Motivs, in der ein schwarzeneggersch gepimpter Außerirdischer ungebetene Besucher aus seinem Raumschiff prügelt. Mit viel Faustkampf wartet auch der neue Star Trek auf, der Männerfreundschaft und Pflichterfüllung mit schicker Jungsromantik kombiniert, nebenbei noch das 9/11-Motiv ins Star Trek-Universum einschreibt und zu einem soldatisch düsteren Antiterrorspektakel verkommt. Will Smith führt in After Earth eine autoritäre Vater-Sohn-Beziehung, um das Überleben nach der Apokalypse zu gewährleisten, während in Pacific Rim das Grauen aus dem Meer kommt und plumpe Riesenkampfroboter die Schwerfälligkeit der marktorientierten Science-Fiction-Erzählung in Szene setzen.

Reale Dystopie in Mexiko

Dagegen mutet Elysium mit Matt Damon geradezu als Werk sozialkritischer Aufklärung an. Der Film bietet immerhin eine – wenn auch arg verkürzte – Kapitalismuskritik an: ein bisschen „Wir sind die 99 Prozent!“ Die böse Elite befindet sich im wahrsten Sinne „oben“ und die Masse „unten“. Einen Kampf um sozialen Ausgleich gibt es aber auch hier nicht, allenfalls – wie in der Obama-Administration – eine Auseinandersetzung um medizinische Versorgung für alle. Die Aufständischen sind eigentlich eine mafiöse Privatmiliz. Die dystopischen Zukunftsbilder wurden in Mexiko-Stadt gedreht, wo die spätkapitalistische Realität bereits alle Anforderungen an eine solche Filmkulisse erfüllt.

All dies sind Zukunftsentwürfe, die ein Zuviel an männlicher Gewalt und ein Zuwenig an utopischer Perspektive kennzeichnet. Die Krise wird autoritär gelöst. Am deutlichsten zeigt sich das in World War Z. Brad Pitt verteidigt die bürgerliche Kleinfamilie gegen eine Flut unkontrollierbarer Aufständischer. „Unser Krieg hat gerade erst angefangen“, lautet das Schlusswort des Films, in dem das Militär in einem fort systemgefährdende Untote abknallt.

Man sollte Science-Fiction als in die Zukunft projizierte Geschichtsschreibung verstehen. Darum handelt es sich immer um ein politisches Genre. Und jetzt setzt Hollywood in den Zeiten globaler Aufstände die Konterrevolution in Szene.

Von São Paulo bis Istanbul wird unterdessen heftig um sozialen Ausgleich und politische Repräsentanz im postdemokratischen Zeitalter gerungen. Gerade Science-Fiction könnte nun das Genre sein, in dem flankierend Zukunftsszenarien durchgespielt werden. Das gilt besonders auch für die Literatur. Ein Utopieforscher wie der Deutsche Richard Saage oder der US-Literaturwissenschaftler Darko Suvin haben gezeigt, dass utopische Entwürfe vor allem in sozial dynamischen Zeiten verfasst werden, um historische Umbrüche zu spiegeln.

Der hiesige Kulturbetrieb vernachlässigt Science-Fiction dagegen immer noch als minderwertige literarische Gattung. Sogar als der FAZ-Autor Dietmar Dath kürzlich sein Weltraumepos Pulsarnacht vorlegte, übersah ihn das Feuilleton einfach, was man nicht nur damit erklären kann, dass das Werk im Heyne-Verlag erschienen ist.

Welch emanzipatorisches Potenzial in der Science-Fiction-Literatur steckt, zeigte sich in den Siebzigern, als Frauen die vermeintliche Jungsdomäne revolutionierten. Ursula K. Le Guin, Marge Piercy und Joanna Russ bildeten ein Triumvirat linksradikaler Feministinnen, die fast zeitgleich anarchistische Utopien vorlegten. Den Anfang machte 1974 Ursula K. Le Guin mit Die Enteigneten (früher: Planet der Habenichtse). Eine frei assoziierte Gesellschaft ist darin nach einer gescheiterten anarchistischen Revolution auf einen Mond ausgewandert. Ein Physiker nimmt nach Jahrzehnten strikter Trennung Kontakt zum Heimatplaneten auf, da dort seine bahnbrechende Entdeckung zur interstellaren Kommunikation gefördert wird. Anfangs begeistert vom Luxus, den der Kapitalismus auf dem Planeten hervorbringt, kehrt er nach einem niedergeschlagenen Aufstand in die anarchistische Gesellschaft zurück.

Rollback der Achtziger

Le Guins utopischer Entwurf ist eine Mischung aus Landkommune und Kibbuz samt urbanen Ballungsräumen. Sie thematisiert Kindererziehung, Bildung, Arbeit, Wissenschaft, das Wohnen, die Paarbeziehungen, die Stellung der Frau, das ständige Umherreisen und, in Gestalt ihrer Hauptfigur, die Frustration. Anarchistische Freiheit geht hier mit materiellem Mangel einher, dessen Beseitigung immer wieder gesellschaftlich neu ausgehandelt werden muss.

Mangel herrscht weder auf Joanna Russ’ Planet der Frauen (1975) noch in der utopischen Welt, die Marge Piercy zeichnet. In Frau am Abgrund der Zeit (1976) pendelt eine zwangseingewiesene schwarze Frau zwischen der Psychiatrie, wo ein gehirnchirurgischer Eingriff vorgenommen werden soll, und einer phantastischen Zukunft hin und her. Diese, so wird im Lauf des Romans klar, kann nur Wirklichkeit werden, wenn sie sich der Operation in ihrer Gegenwart widersetzt.

Mit dem konservativen Rollback der Achtziger verschwinden solche Utopien. In Marge Piercys dystopischem Roman Er, sie und es (1990) kämpft eine anarchistische Stadtgemeinde jüdischer Emigranten an der US-Ostküste in einer hyperkapitalistischen Welt gegen übermächtige Konzerne mithilfe eines golemartigen Cyborgs. Am Ende des Romans bilden sich basisgewerkschaftliche Organisierungen in den gigantischen Elendsvierteln heraus. Der Widerstand an sich wird hier zum utopischen Moment.

Ähnlich ist das bei dem britischen Schriftsteller China Miéville. Der 40-Jährige ist nicht nur Autor voluminöser Fantasy-Romane inklusive ekliger Rieseninsekten und mit magischen Fähigkeiten ausgestatteter Klassenkämpfer, sondern auch Mitglied einer trotzkistischen Partei und Mitherausgeber der marxistischen Theoriezeitschrift Historical Materialism. 2001 kandidierte er für die „Socialist Alliance“ erfolglos für das Unterhaus. Den Aufstand als utopische Projektion setzt er am deutlichsten in dem von der globalisierungskritischen Bewegung beeinflussten Roman Der eiserne Rat (2004) um.

Sehnsucht nach Militanz

Darin reorganisiert sich der Widerstand, um gegen die Herrschaft in der krisengeschüttelten Handels- und Kriegsmetropole New Crobuzon zu Felde zu ziehen. Miéville fährt eine Menge proletarischer Helden auf, die in freier Assoziation leben und gegen Rassismus und Homophobie kämpfen. Die Idee, eine Widerstandsbewegung vergangener Zeiten zu reaktivieren, findet sich auch in Dietmar Daths Pulsarnacht. Dort wird die Befreiung des ehemaligen Oberbefehlshabers der geschlagenen Rebellenarmee von einem Gefängnisplaneten vorbereitet. In beiden Romanen wird der Aufstand in Stellung gebracht. Das utopische Element verharrt in der Sehnsucht nach einer militanten Aushebelung der bestehenden Ordnung, wie sie philosophisch auch im Theoriebestseller Der kommende Aufstand verhandelt wurde.

Es mag verführerisch sein, wenn soziale Bewegungen die kapitalistische Herrschaftsordnung zeitweise außer Kraft setzen und die widerständige Ästhetik als utopisches Element reproduzieren. Aber es reicht nicht. Trotz aller Alternativlosigkeit gilt es, sich das utopische Denken wieder anzueignen. Den waffenstarrenden Kampfformationen in World War Z und dem autoritären väterlichen Kommando in After Earth muss man mehr entgegenhalten – Utopien, die nicht kollektive Ängste schüren, sondern das Begehren nach einer anderen, besseren Welt wecken. Science-Fiction kann das.

Florian Schmid ist Historiker. Für den Freitag schrieb er über das Dietmar-Dath-Jahr 2012

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