Diversity Der letzte Erzählband von Pulitzerpreisträger Junot Diaz zeigt: Migrantische Literatur aus den USA ist auch diesseits des großen Teichs interessant
Der 1968 in der Dominikanischen Republik geborene und in New York aufgewachsene Junot Diaz ist in den letzten Jahren mit Literaturpreisen regelrecht überschüttet worden. Kein Wunder, denn seine lakonische und freche Prosa ist über weite Strecken schlicht zum Niederknien. Der letzte Erzählband „Und so verlierst du sie“ kommt zwar nicht wirklich an seinen genialen, 2007 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Debütroman „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ heran, es dürfte aber dennoch zum Besten gehören, was 2013 an Belletristik hierzulande auf den Markt gekommen ist.
In den Erzählungen geht es um zu Ende gehende und zerstörte Liebesbeziehungen inklusive des damit einhergehenden Trennungsschmerzes. Im Mittelpunkt der
chmerzes. Im Mittelpunkt der meisten Geschichten steht Yunior, eine Manhattaner Ghetto-Figur und literarisches Alter Ego von Junot Diaz. Der dominikanische Möchtegernmacker, Hardcore-Kiffer und Kultur-Nerd ist ähnlich begeistert von Kino und Literatur wie Oscar, der Anti-Held aus Diaz Debütroman, aber nicht ganz so verloren im Nirwana popkultureller Phantasiewelten. Immerhin hat er eine Freundin nach der anderen, wobei jede Beziehung auf dramatische Art schief geht. Das hat vor allem etwas mit seiner Treulosigkeit, aber auch mit immer wieder auftretenden Mackerallüren zu tun. Die teilt Yunior mit seinem Bruder Rafa, bis der einige Jahre ältere beinharte Obermacho der Gegend an Krebs erkrankt und stirbt. Junot Diaz weiß tragische und komische Elemente in seiner Prosa ganz eng miteinander zu verknüpfen. Was in den letzten Monaten vor Rafas Tod geschieht, wie der Kleinkriminelle noch mal kurz einen spießigen Beruf ergreift, aber auch frühere Widersacher verprügelt und eine Frau heiratet, die von seiner Mutter zutiefst gehasst wird, ist beim Lesen ebenso deprimierend wie auch unglaublich komisch. Achterbahnfahrt der Zeitsprünge Die neun längeren Erzählungen sind nicht in einer linearen Zeitlinie angeordnet. Junot Diaz springt vielmehr vom Erwachsenenalter seiner Figur in die frühe Jugend, dann in die Studienzeit, um danach in die frühe Kindheit abzutauchen und schließlich beim vierzigjährigen erfolglosen Schriftsteller mit Schreibblockade zu landen. Einmal geht es um einen Urlaub in der dominikanischen Heimat, wo im Edelressort eine Beziehung gerettet werden soll, die dann aber natürlich doch mit Pauken und Trompeten in die Brüche geht. Dann sind es Jugendschwärmereien auf dem Weg zur Schule und klimatische Schockerlebnisse für dominikanische Einwandererkids im New Yorker Winter, die Yunior beschäftigen. Aber auch zurückgelassene uneheliche Kinder, Auseinandersetzungen mit der Familie, obsessiver Katholizismus, Drogenexzesse, Sex mit der Highschool-Lehrerin, ein Bandscheibenvorfall und jede Menge Alltagsrassismus werden in den Erzählungen verarbeitet. Ironisch gebrochener Gangster-Rap Das Besondere an Junot Diaz Prosa ist der Sound, der in der deutschen Übersetzung überraschend gut zur Geltung kommt. Der spanische Muttersprachler schreibt auf Englisch, streut aber jede Menge aus Mittelamerika stammende spanische Begriffe in seinen flotten Erzählfluss ein, wodurch die Texte beim Lesen regelrecht zu klingen anfangen. Der Sound hat etwas vom Gangster-Rap eines mittelamerikanischen Machos, wobei die mackerhafte Männlichkeit immer wieder ironisch gebrochen wird. Nicht zuletzt durch hier und da eingestreute Verweise auf Star Strek und Fernsehserien wie Flash Gordon, Tarzan und Sesamstrasse. Eine Beziehung Yuniors endet zum Beispiel während eines weiteren vergeblichen Urlaubs, um eine Liebe zu retten, an eben dem neuseeländischen Strand, an dem „Das Piano“ gedreht wurde. Ähnlich dramatisch endet dann auch die romantische Liebe. Junot Diaz spielt souverän mit diesen popkulturellen Einsprengseln, ganz so wie in „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“, wenn auch lange nicht so inflationär. Nur haben diese popkulturellen Verweise eben so gar nichts mit dem subproletarischen Mythos des Hispano-Gangsters zu tun. Denn eigentlich gehört der Migrantensproß Yunior, dessen Vater Fabrikarbeiter ist, zum aufstrebenden Bildungsbürgertum. Die Migranten in den Erzählungen machen denn auch fleißig ihre Doktortitel und verfolgen Universitätskarrieren. Yunior selbst arbeitet an einem komplexen Romanvorhaben. Genau das tut auch Junot Diaz. Denn bildete Science Fiction bisher eine Art popkultureller Hintergrundmatrix für seine Literatur, so arbeitet er nach eigenen Angaben aktuell an einem dystopischen Zukunftsroman mit dem Titel „Monstro“. Ein kurzer Auszug von „Monstro“ erschien im Sommer 2012 als werbewirksames Zugpferd in einer Science Fiction-Sondernummer der Zeitschrift New Yorker. In dem apokalyptischen Roman soll eine 14jährige Haitianerin die Erde retten, nachdem ein alles zerstörender Virus um sich greift und 12 Meter große Monster den Planeten terrorisieren. Diaz selbst sagt aber, dass es unklar ist, ob der Roman jemals fertig wird oder ebenso scheitert, wie ein anderer Science Fiction-Roman, den er begonnen, aber nie beendet hat. New Yorker Sci-Fi ExplosionDabei liegt Diaz mit dem Thema Science Fiction durchaus im Trend der jüngeren New Yorker Autoren. Das 33jährige Nachwuchstalent Nathaniel Rich flutete in „Schlechte Aussichten“ per Hurrikan Manhattan und versenkte Seattle mit einem Erdbeben, während der Brooklyner Colson Whitehead in „Zone One“ eine Pandemie den Planeten Erde verwüsten lässt. Lediglich der ebenfalls aus Brooklyn stammende Jonathan Lethem, der ähnlich wie Diaz eine Art Missing Link zwischen literarischer Hochkultur und popkultureller Science Fiction-Sphäre ist, setzt in seinem Roman „Dissident Gardens“ auf knallharten Realismus. Es geht um 80 Jahre linker New Yorker Geschichte und die politischen Utopien von Brooklyner Kommunisten bis hin zu Occupy-Aktivisten. Politisch explizite Aussagen finden sich in Junot Diaz Werk bisher nicht, obwohl der Mittvierziger in Immigrantenverbänden engagiert und Mitglied der kommunistischen „Partido de los Trabajadores Dominicanos“ ist. Diaz spürt vielmehr mit außerordentlicher erzählerischer Wucht den sozialen Koordinaten migrantischer Biographien nach. Das macht auch auf grandiose Art und auf dem internationalen Literaturmarkt recht erfolgreich der im kalifornischen Oakland lebende Daniel Alarcon, Jahrgang 1977 mit peruanischem Migrationshintergrund. Neuer Stern am Himmel der hispano-US-amerikanischen Literatur ist der 1980 geborene Justin Torres, dessen Debütroman „Wir Tiere“ ebenfalls 2013 erschienen ist. Was anfangs als recht burschikos erzählte Geschichte von drei Latino-Kids in Manhattan daherkommt, wird plötzlich zu einem Roman über sexuellen Missbrauch und soziale Ausgrenzung. Auch wenn Justin Torres mit seinem pointiert geschriebenen und stilistisch stellenweise starkem Debüt nicht wirklich an die Genialität von Junot Diaz herankommt, zeichnet sich doch ab, dass die spanischsprachigen US-Autoren mehr als nur eine marginale Rolle in der amerikanischen zeitgenössischen Literatur spielen. Für das hiesige Publikum ist diese Literatur nicht nur deshalb so interessant, weil sie unterhaltsam und sozialkritisch ist. Sie bildet auch migrantische Lebenswelten ab, die hierzulande immer wieder Gegenstand heftiger gesellschaftspolitischer Debatten sind. Der eine oder andere Blick über den Teich, zumal wenn die dortigen Geschichten so lebendig und dicht erzählt werden, erweitert im wahrsten Sinn des Wortes den Horizont.
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