Fantasy kann manchmal ganz schön borniert sein und ziemlich altbacken daherkommen. Und doch geht es inzwischen immer öfter differenzierter, politischer und auch weniger männerlastig zu. Die wohl am meisten rassismuskritische, feministische und auch antikapitalistische Stoßrichtung im Genre dürfte derzeit N.K. Jemisins Roman Die Wächterinnen von New York haben. In dem gut 500-seitigen Opus der 49-jährigen in New York lebenden Autorin wird von einem Krieg zwischen den Universen erzählt, in dem eine durch und durch üble Macht versucht, die Stadt New York genau in dem Moment zu zerstören, in dem sie geboren wird.
Denn manche großen und bedeutenden Städte, so erfahren wir in dem Roman, erleben einen Geburtsprozess, der dazu führt,
r dazu führt, dass es Avatare gibt, die diese Stadt verkörpern. Im Fall von New York ist das ein queerer junger schwarzer Künstler, der obdachlos durch die Stadt zieht, beim Angriff auf New York aus einem anderen Universum – bei dem die Brooklyner Williamsburg-Bridge einstürzt – schwer verletzt wird und in einer stillgelegten U-Bahn-Station im Koma liegt. Von dem Angriff bekommt sonst niemand etwas mit, der Brückeneinsturz gilt als Unfall. Aber die aus einem anderen Universum stammende Macht setzt sich in New York fest und bereitet eine weitere Attacke vor. Die können nur noch die Avatare der fünf großen New Yorker Stadtviertel – Manhattan, Brooklyn, Bronx, Queens und Staten Island – verhindern. Nur müssen die sich erst einmal finden und sich klarmachen, wer oder was sie plötzlich geworden sind, denn gerade noch waren sie ganz normale Bewohner New Yorks mit alltäglichen Problemen.So konstruiert sich das alles erst mal anhören mag, N.K. Jemisin erzählt diese Geschichte unglaublich spannend anhand der fünf Avatare, die mal durchs normale New York spazieren und dann von einem Moment auf den anderen in eine apokalyptische Realität hingeschleudert werden.Da ist der schwule Manny, der gerade von der Provinz nach New York zieht, um in Jura zu promovieren, als er bei der Ankunft plötzlich unter Amnesie leidet, aber gleichzeitig genau weiß, dass er „Manhattan“ verkörpert. Bald trifft er auf „Brooklyn“, eine ehemalige bekannte Rapperin, die mittlerweile im Stadtrat ihres Bezirks sitzt. Zusammen machen sich die beiden auf ins migrantisch geprägte und proletarische Queens, wo sie auf die indischstämmige Padmini Prakash treffen, die ihren Bezirk verkörpert und gerade von einem Monster angegriffen wird.Der ökonomische Zwang aufert ausDenn es treiben sich immer mehr Materialisierungen der Macht aus dem feindlichen Universum in New York herum, werden als sich viral verbreitende Tentakel an menschlichen Körpern für die Avatare sichtbar; es sind gefräßige Monster, wie es sie auch im Werk des Fantasty-Horror-Meisters H.P. Lovecraft massenweise gibt. Und in der Bronx kämpft derweil die lesbische Latina Bronca Siwanoy als „Bronx“ mit einer Gruppe rechter Trolle.Die Wächterinnen von New York ist ein ausufernder, wilder Fantasy-Roman, der mit viel Sozialrealismus gespickt von der Veränderung New Yorks erzählt, in dem Geschäfte pleitegehen, ganze Blocks im Zuge der Immobilienaufwertung abgerissen werden, die Kunst von ökonomischen Zwängen beherrscht wird und trotz aller Weltläufigkeit homophobe und rassistische Ausgrenzung an der Tagesordnung sind. Die Macht aus dem feindlichen Universum findet schließlich eine Verkörperung in Dr. White, einer Frau, die immer wieder an verschiedenen Stellen der Stadt auftaucht. Mal ist sie eine homophobe Spaziergängerin, die in einem Park Manny und seine Transgender-Mitbewohnerin attackiert, dann wird sie die treibende Kraft der Trolle.Die Frau in Weiß – die Verkörperung der „white supremacy“ – freundet sich aber auch mit Ayslin Houlihan an, einer irischstämmigen und fremdenfeindlichen Polizistentochter, die zum Avatar von Staten Island wird.N.K. Jemisin fächert ein unglaublich dichtes Panorama New Yorker Lebenswelten und urbaner Subkulturen auf, in dem unter anderem Großstadtarchitektur und Grundstücksspekulation in Brooklyn ebenso eine Rolle spielen wie Graffitikunst in der Bronx, Rap-Musik, die Enteignungsgeschichte schwarzer und indigener Communitys. Der so oft beschworene Schmelztiegel-Charakter New Yorks wird ganz handfest mit prallem Leben gefüllt, wenn es um indisches Essen und migrantische Familiengeschichten in Queens geht, die feministischen Künstlerinnen in der Bronx ihre mexikanische oder italienische Herkunft verarbeiten und das gerade zugezogene Provinzei Manny staunend durch Manhattans Straßenschluchten läuft.H.P. Lovecraft lässt grüßenInmitten dieses Tohuwabohu öffnen sich dann auch noch Portale in andere Welten, unter anderem in wandgroßen Gemälden, wo plötzlich die aus H.P. Lovecrafts Werk für alle Genre-Fans bekannte Stadt R’lyeh auftaucht, die als Gegenpol zum kreativen Chaos New Yorks fungiert und die Metropole am Hudson zerstören soll. Um das Erbe dieses für das Phantastik-Genre stilprägenden Autors wird ohnehin immer wieder gestritten. Insofern lässt sich der Roman als eine weitere kritische Auseinandersetzung mit Lovecrafts Werk sehen.N.K. Jemisins Roman, der sich als Auftakt einer Trilogie versteht, ist aber vor allem ein politisches Stück Literatur, das davon erzählt, wie sich Menschen zusammenschließen, um gemeinsam gegen eine Bedrohung zu kämpfen. Die Wächterinnen von New York setzt dem ein empowerndes Narrativ entgegen, in dem erst darum gerungen werden muss, sich überhaupt zusammenzuraufen. Aber das geschieht dann mit der ganzen Wucht und Magie der neugeborenen Stadt New York, die im Kampf um ihr Überleben im großen Finale unglaubliche Kräfte freisetzt. Man darf gespannt sein, wie dieses Opus weitergeht.Placeholder infobox-1